Über die Schwierigkeit, ein Kind zu adoptieren – und die Seelenqual,

das eigene wegzugeben…

Manchmal ist es die einzige Möglichkeit, Eltern zu werden. Wer sich für die Adoption eines Kindes entscheidet, braucht viel Kraft auf dem Weg zum Familienglück. Doch auch wer sein Kind zur Adoption freigibt, zum Beispiel weil man ihm kein gutes, behütetes Zuhause bieten kann, muss stark sein. Schon allein um die Gewissensbisse auszuhalten, die bei den meisten, die ihr Kind weggeben, unweigerlich kommen. Natürlich gibt es die Fälle von Müttern, die an der Nadel hängen und denen zugedröhnt alles egal ist. Und auch nicht für ihr Baby sorgen könnten, selbst wenn sie es wollten. Doch das sind eher die Ausnahmen. Gründe für eine Adoptionsfreigabe sind nur in den seltensten Fällen Drogen oder Gewalt in der Familie, viel häufiger aber psychische Krankheiten, eine schwierige finanzielle Situation, fehlende Unterstützung im persönlichen Umfeld oder das Gefühl, durch ein Kind völlig überfordert zu sein. Die Adoption scheint dann irgendwann der einzige rationale Ausweg zu sein. So war es bei Sylvia, die inzwischen offen damit umgeht, dass ihr viertes Kind nicht bei ihr, sondern in einer Adoptivfamilie lebt. „Lange Zeit habe ich mich wie eine Rabenmutter gefühlt, weil mir das auch von vielen so eingeredet wurde. Ich weiß aber, dass ich das nicht bin, Ich denke oft an meinen Sohn und träume manchmal sogar von ihm! Auch wenn seit der Adoption jetzt schon 15 Jahre vergangen sind.“

 

„Fühlte mich wie eine Aussätzige…“

Die Post-Angestellte lebt im Landkreis Lüneburg in einem kleinen Ort mit knapp 400 Einwohnern. „Mein erstes Kind habe ich schon mit 17 bekommen, das zweite mit 19, das dritte mit 21. Als ich mit 22 wieder mit einem Jungen schwanger war, habe ich einfach gewusst: Das schaffe ich nicht mehr. Dann ging auch noch die Beziehung mit meinem damaligen Mann auseinander und bei meinen Eltern fand ich auch keine Unterstützung mehr, was ich zum Teil sogar verstehen kann. Ich bin mit allem viel zu sorglos umgegangen. Die Entscheidung zur Adoption habe ich in der Klinik gefällt, nach einem Gespräch mit meiner Hebamme. Ich weiß es noch wie heute: Ich lag da mit anderen frischgebackenen Müttern in einem Zimmer und fühlte mich ganz plötzlich wie eine Aussätzige. Letztendlich war es aber gut, dass ich es gemacht habe, ich bin sicher, meinem Sohn geht es gut!“

Das Eignungsverfahren ist kompliziert

So schwer es für die meisten ist, ihr Kind wegzugeben, so kompliziert ist es auch, in Deutschland ein Kind zu adoptieren: Paare, die das wollen, müssen zunächst eine Vermittlungsstelle – das Jugendamt am Wohnort oder einen freien Träger – kontaktieren und ein Eignungsverfahren absolvieren. Die Fachkräfte überprüfen genau, wer als Adoptiveltern in Frage kommt. Im Jahr 2021 gab es bundesweit lediglich 3.843 vermittelte Kinder – die Zahlen gehen bundesweit zurück. Ein Klischee ist, dass viele Paare Kinder aus anderen, ärmeren Ländern adoptieren. Vor rund 30 Jahren wäre damit noch ein beträchtlicher Teil der Adoptionen beschrieben. 1992 hatte etwa ein Fünftel der adoptierten Kinder keinen deutschen Pass. 2021 waren nur noch neun Prozent aller Adoptionen international. Dass es mit Adoptionen nicht in jedem Fall klappt, ist zwar schlecht dokumentiert, aber auch logisch. Aus Studien geht hervor, dass bis zu 15 Prozent aller Adoptionen abgebrochen oder aufgelöst werden. Werden ältere Kinder betrachtet, kann sich diese Quote auch auf über 20 Prozent erhöhen. Dass adoptierte Kinder öfter verhaltens-auffällig werden, gilt als erwiesen. Dafür gibt es viele Ursachen, fast immer könnte frühzeitig gegengesteuert werden, doch es fehlt bundesweit an Unterstützung für Adoptivfamilien. 

Jedes Kind hat seine eigene Geschichte

Gerade wenn bereits Kinder da sind, kann es zu größeren Problemen kommen. Dabei spielt keine Rolle, ob es sich um ein leibliches oder ein adop-tiertes Geschwisterkind handelt. Sie müssen die Aufmerksamkeit der Eltern plötzlich teilen und können deswegen eifersüchtig sein. In jedem Fall beginnt für die annehmenden Familien eine neue „Zeitrechnung“. Denn das adoptierte Kind bringt schließlich schon eine eigene Geschichte mit. Es hat eine Bindung zur leiblichen Mutter, die sich nicht so einfach aus dem Gedächtnis und auch nicht aus dem Herzen löschen lässt. Und das soll auch so sein. Letzlich beginnt von der ersten Sekunde an für alle Beteiligten ein permanenter Lernprozess, sagen Psychologen und Familienberater. Glücklich, wer nach Jahren ein ähnliches Zwischenfazit ziehen kann wie Petra und Stefan L.: „Unser Kind haben wir vor acht Jahren adoptiert. Ein absolutes Wunschind.“ Daraus, dass das Paar ihre Tochter adoptiert hat, haben sie nie ein Geheimnis gemacht, erzählen sie: „Unsere Julia weiß von ihrer leiblichen Mutter und soll auch an sie denken und jederzeit über sie sprechen dürfen…“ Demnächst ist sogar ein erstes Treffen mit der leiblichen Mutter geplant: „Natürlich sind wir etwas aufgeregt, aber wir sind sicher, alles ist genau richtig so: Nicht immer ist Blut dicker als Wasser…“

Infos: www.landkreis-lueneburg.de/fuer-unsere-buergerinnen-und-buerger/menschen-im-landkreis/eltern-und-kinder/pflegekinderdienst-und-adoption.html;

www.pflege-und-adoptivkinder-lueneburg.de

Am Anfang war Moses

Die Geschichte der Adoption reicht weit zurück, wie unter anderem die Geschichte von Moses zeigt, der von seiner leiblichen Mutter in einem Weidenkorb ausgesetzt wurde. Von der Tochter des Pharao wurde er aus dem Nil gefischt und am Hof des Pharao groß gezogen. Im Alten Rom hörte man wieder von Adoptionen, diesmal wurden Kinder von reichen und mächtigen Römern angenommen, die selbst keine Kinder bekommen konnten. Um 1900 gab es erste Adoptionen auch im damaligen Deutschen Reich. (RT)

Foto: Pixabay

Von „Wunschkindern“ und „Rabenmüttern“
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