Warum immer mehr Menschen trotz Abschlägen raus aus dem Job wollen

Mehr Zeit für die Familie und für Hobbys? Keine Lust mehr auf Stress oder Ärger mit dem Chef? Immer mehr Arbeitnehmer wollen schnell raus aus dem Job, akzeptieren dafür sogar drastische Renten-Abschläge, um vorzeitig in den Ruhestand zu gehen! Wer das auch plant, sollte sich allerdings die finanziellen Konsequenzen genau durchrechnen. Nur ein Jahr länger oder kürzer zu arbeiten, kann sich bereits stark auf die Rentenhöhe auswirken. Nach Zahlen der Rentenkasse wurden 2021 zirka 210.000 neue Altersrenten gekürzt – 8,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit war laut Deutscher Rentenversicherung jede vierte Altersrente (24,5 Prozent) von Kürzungen betroffen. Im Schnitt gingen die Betroffenen 27,7 Monate vor dem regulären Renteneintritt aufs Altenteil. Die betroffenen Renten wurden dafür durchschnittlich um 110 Euro pro Monat gekürzt. Der Run auf die Frührente überrascht aus zwei Gründen: Erstens scheint es angesicht von hoher Inflation beziehungsweise der gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten gerade jetzt keine gute Idee zu sein, auf Einkommen zu verzichten. Zweitens steigt die Zahl der Rentner, die sich ihren Ruhestand mit Sozialhilfe aufstocken müssen. Was macht die vorgezogene Rente für viele dennoch so attraktiv?

Verantwortlich dafür könnte unter anderem auch eine neue gesetzliche Regelung sein, heißt es auf Nachfrage beim Lüneburger Beratungszentrum der Deutschen Rentenversicherung (Altenbrücker Damm 14, Tel. (0 41 31) 75 95-0.

Hinzuverdienstgrenze und Sonderzahlungen

Denn die bisher geltende Grenze für einen Hinzuverdienst im Ruhestand soll praktisch gestrichen werden. Im Jahr 2023 hätte diese Grenze nach zwei Corona-Jahren, in der sie hinaufgesetzt wurde, wieder bei „lediglich“ 6.300 Euro pro Jahr gelegen. In Zukunft soll jeder Rentner im Jahr nun bis zum 14-fachen der sogenannten monatlichen Bezugsgröße (2022: 3.290 Euro) hinzuverdienen können. Dazu kommt: Es ist interessanter (und einfacher) geworden, etwaige Abschläge durch Sonderzahlungen auszugleichen. Die Möglichkeit hat, wer mindestens 50 Jahre alt ist und die Voraussetzungen für eine vorgezogene Altersrente erfüllen kann. Auf Antrag erstellt die Rentenversicherung eine Auskunft über die Höhe der maximal möglichen Sonderzahlung. Die Berechnung erfolgt nach einer im Gesetz exakt festgelegten Formel und ist an die geltenden Rechengrößen der Rentenversicherung gekoppelt. Danach steigt im kommenden Jahr der zu zahlende Betrag um rund elf Prozent. Die Frist läuft also: Wer über eine Sonderzahlung nachdenkt, sollte sich daher noch in diesem Jahr mit der Rentenversicherung in Verbindung setzen und einen entsprechenden Antrag stellen. Bei einer Zahlung innerhalb von drei Monaten nach Erteilung der Auskunft über die Höhe der maximal möglichen Sonderzahlung gelten dann weiterhin die bei Antragstellung günstigeren Konditionen.

Nicht alles ist Gold, was glänzt

Allerdings ist eine solche Sonderzahlung keine ganz „billige“ Lösung, wie auch Karin P. aus Artlenburg festgestellt hat. Sie hat sich über das kostenlose Servicetelefon der Deutschen Rentenversicherung (0800 1000 4800) beraten lassen, will ein Jahr vor der für sie geltenden Regelaltersgrenze in Rente gehen und mit ihrem Mann nach Spanien auswandern: „Kanarische Inseln – der Sonne wegen.“ Bei einer Rente von knapp 820 Euro im Monat (brutto) würde sich ihre Monatsrente um 3,6 Prozent beziehungsweise um 29,52 Euro verringern, ließ sie sich ausrechnen. Zusatzbeiträge an die Rentenversicherung zum vollen Ausgleich des Abschlags würden rund 6.000 Euro kosten. Karin P. hat sich dagegen entschieden: „Das bringt viel zu wenig und können wir uns gar nicht leisten.“ Das Beispiel der Verkäuferin aus dem Landkreis Lüneburg zeigt ein Problem auf: Die hohen Sonderzahlungen sind nur von wenigen zu stemmen. Was bleibt, ist Verzicht oder Zuarbeit, wie es heute schon die Mehrheit der Älteren macht. Doch knapp 90 Prozent der erwerbstätigen Rentner üben lediglich einen Minijob aus. Von der Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen haben sie eigentlich gar nichts. Dennoch werden die Anträge auf Frühverrentung nicht weniger werden, sagen Sozialpolitik-Experten. Im Gegenteil. „Die Ursachen sind vielfältig“, heißt es zum Beispiel beim DGB. „Oft herrschen in Unternehmen große Arbeitsverdichtung und schnelle Taktzeiten.“ Das gelte so auch für den Dienstleistungsbereich, wo zusätzlich Schichtarbeit und unregelmäßige Arbeitszeiten stark zugenommen hätten. Der Frust am Arbeitsplatz nehme so immer mehr zu. Auch die Deutsche Rentenversicherung sieht den Druck, ständig zu kommunizieren sowie eine allgemeine Zukunftsangst als die brennensten Probleme bei vielen. Für das Rentensystem, wie es heute aufgebaut ist, ist die Enwicklung in jedem Fall fatal. 2020 kamen auf 100 Beitragszahler bereits 57 Rentner; im Jahr 2030 dürften es 68 sein, im Jahr 2050 etwa 78. Die Beitragssätze müssten deshalb eigentlich kräftig steigen. Tun sie das, erhöht das die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer aber noch mehr. Karin P. freut sich inzwischen wieder auf die Zukunft: „Unsere Kinder sind groß, die müssen jetzt selbst auf sich aufpassen. Und ich will noch was von meinem Leben haben, da nehme ich auch in Kauf, mit etwas weniger Geld auszukommen. Mein Mann sieht das ähnlich. Glücklicherweise. Sonst hätten wir auch ein Problem“, erklärt sie lachend…(RT)

Weitere Tipps:

Wie hoch sind die Abschläge?

Die Abschläge bei einer vorzeitigen Altersrente betragen 0,3 Prozent pro Monat. Bis zu 14,4 Prozent der Rente können es maximal sein – und das für die gesamte Zeit des Rentenbezugs.

Rentenbeginnrechner

Über den Rentenbeginnrechner können Sie den frühestmöglichen und den regulären Rentenbeginn aller Renten wegen Alters ermitteln. https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Online-Dienste/Online-Rechner/RentenbeginnUndHoehenRechner/rentenbeginnrechner_node.html

 

Foto: Adobe Stock/Viacheslav Yakobchuk

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