Der Pensionär Peter Hesse ist ehrenamtlicher Schulmediator
Streiten will gelernt sein. Einer, der das Schlichten von Streitigkeiten unter Grundschulkindern gelernt hat, ist der Lüneburger Peter Hesse. Der 65-Jährige arbeitet ehrenamtlich als „Seniorpartner in School”. In seinem Berufsleben war Peter Hesse Kriminalbeamter in leitender Funktion. Bei Konflikten unter Kollegen zu vermitteln, ist ihm von daher nicht unbekannt, gewaltfreie Kommunikation gehörte dazu. Noch mehr Spaß macht es dem zweifachen Vater und Großvater aber, mit Kindern zu arbeiten. „Mir ist der Präventionsaspekt wichtig”, erzählt er. So kam ihm der Aufruf zum Mitmachen der „Seniorpartner in School” gerade gelegen, als er ihn in der Zeitung entdeckte.
Der niedersächsische Landesverband von Seniorpartner in School wurde 2008 in Braunschweig gegründet und ist inzwischen an rund 50 Schulen in sieben Städten tätig. In Lüneburg gibt es seit 2009 Seniorpartner in School. Die Vereinsmitglieder, allesamt im Seniorenalter, lassen sich zu Schulmediatoren und Schulmediatorinnen ausbilden und engagieren sich ehrenamtlich und unentgeltlich. Die Ausbildung, die in Gruppen von meist zwölf Personen durchgeführt wird, ist für die Teilnehmenden kostenfrei und wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Seniorpartner in School treffen sich auch miteinander zum Austausch. Zweimal im Jahr findet eine Supervision statt und bei Bedarf wird eine Weiterbildung sowohl zu Themen der Mediation als auch in anderen Bereichen wie EDV angeboten.
Peter Hesse begann seine Ausbildung als Schulmediator im Jahr 2019. Die Ausbildung umfasst zehn Tage à acht Stunden sowie eine 20-stündige Einzelgesprächsausbildung – insgesamt also 100 Stunden. Einzige Voraussetzung: Man sollte im Seniorenalter sein und verpflichtet sich, nach der Ausbildung mindestens zwei Jahre als Seniorpartner in School tätig zu sein. „Die Ausbildung war eine tolle Sache”, meint Peter Hesse, „in der ich auch viel über mich selbst entdecken durfte.”
Lösung kommt von den Kindern
2020, ausgerechnet in Jahr eins der Corona-Pandemie, sollten Peter Hesse und seine Mit-Auszubildenden ihren Dienst an einer Schule beginnen. Eigentlich – denn aus Anfang 2020 wurde für den Lüneburger pandemiebedingt November 2021. Derzeit sind mit ihm nur fünf Lüneburger Schulmediatoren geblieben. Mit seiner Kollegin Andrea Bockelmann ist Hesse nun einmal die Woche für vier Stunden an der Grundschule Häcklingen, um den Kindern zu helfen, ihre Konflikte untereinander zu lösen. Dass ein Mann und eine Frau zusammen als Seniorpartner vor Ort sind, erleichtert den Zugang für Kinder aus unterschiedlichen Kulturkreisen. „Die Kinder haben die Möglichkeit, zu uns zu kommen. Entweder kommen sie freiwillig, oder sie werden von einer Lehrkraft geschickt. Es ist aber immer so, dass die Kinder selbst bestimmen, ob sie ihren Streit besprechen wollen, niemand wir gezwungen”, erklärt Peter Hesse. Die Mediation findet während des Unterrichts in einem Extraraum statt – die Lehrkräfte müssen also darüber informiert werden. „Im Regelfall kommen die Kinder zu dritt oder zu viert, aber wir versuchen, höchstens mit zweien zu arbeiten”, sagt der Mediator. Die Probleme, mit denen die Kinder zu ihnen kommen, sind meist schulischer oder privater Natur, gemeinsam wird versucht, eine Lösung zu finden. Die Besonderheit: „Die Lösung soll von den Kindern erarbeitet werden. Wir begleiten sie nur auf dem Weg dahin.” Manchmal sei die Lösung schon nach einer Sitzung gefunden, manchmal vertage man auch auf die Woche darauf. „In der Woche danach stellt sich das Problem schon verändert dar oder sie haben sich inzwischen vertragen”, erzählt der Seniorpartner. Die Grundschule Häcklingen ist in Lüneburg zurzeit die einzige Grundschule, an der Seniorpartner in School tätig sind – durch die Corona-Pandemie ist die Schulmediation durch den Verein fast ganz zum Erliegen gekommen. Vor der Pandemie waren die Seniorpartner in School noch an acht Lüneburger Schulen tätig. „Einige haben ein anderes Betätigungsfeld gefunden, andere sind zehn Jahre dabei gewesen und hören mit über 70, fast 80 Jahren aus gesundheitlichen Gründen auf”, so Hesse. Dabei bestehe hoher Bedarf, auch um die Lehrkräfte zu unterstützen: „Eigentlich bräuchte man in Lüneburg eine höhere zweistellige Zahl an Schulmediatoren.” Etwas Hoffnung besteht ab Februar 2023. Dann sind rund 20 neue Lüneburger Schulmediatorinnen und -mediatoren fertig ausgebildet und bereit, in den Schulen ihren Dienst anzutreten. Gefolgt waren die Seniorinnen und Senioren – wie damals schon Peter Hesse – einem Aufruf in der Zeitung.
Unabhängig und vertraulich
Zwar sind an einigen Schulen auch eigene Lehrkräfte zu Mediatoren ausgebildet, das weiß auch Peter Hesse. Aber er sieht bei den Seniorpartnern in School einen entscheidenden Vorteil: „Wir sind unabhängig und beurteilen die Kinder nicht. Sie merken, dass die Gespräche geheim sind und finden das toll. Außerdem nehmen wir uns – falls erforderlich – auch mehr als 15 bis 20 Minuten Zeit für die Kinder – so viel Zeit haben die Lehrer oft nicht.” Für die Lehrkräfte bestehe außerdem häufig ein Interessenkonflikt, wenn es um die Beurteilung der Kinder gehe. Den Bedarf an externen Schulmediatoren melden die Schulen bei Seniorpartner in School selber an. Bestand an der Grundschule Häcklingen zu Anfang noch eine gewisse Skepsis, als Peter Hesse und seine Kollegin dort neu waren, haben sich die Ergebnisse inzwischen herumgesprochen. „Die Schule und die Lehrkräfte nehmen uns gut an”, meint der Seniorpartner, der zusammen mit seiner Kollegin in regelmäßigem Kontakt mit den Lehrkräften und Betreuern der Schule steht. Es gibt typische Probleme, die in der Schule oft auftauchen. „Bei den Jungs ist es oft die sportliche Komponente: Der hat mich getreten…, der foult immer…! Bei Mädchen sind es viel Freundschaftsthemen. Die haben teilweise richtig Streit”, erzählt Hesse. Auch wenn er als Erwachsener meist sofort eine Lösung parat habe, sei es seine Aufgabe, die Kinder mit ihren Problemen ernst zu nehmen und das Ganze zu moderieren. „Wir fragen: Wie fühlst du dich? Hast du mitbekommen, wie der andere sich fühlt? Was kannst du anbieten?”, so der Mediator. „Sie kommen zu tollen Lösungen, mit Verträgen und Handschlag. Für mich ist das eine ganz tolle Geschichte, wenn sie sich vertragen oder davon berichten.” Auch für die Lehrkräfte sei es ein Gewinn, wenn die Kinder wieder zufriedener in den Klassenverband zurückkommen würden.
Coaching – keine Therapie
Teilweise kämen auch Kinder mit häuslichen oder außerschulischen Problemen zu den Seniorpartnern, berichtet Peter Hesse, das könnten auch Probleme mit Geschwisterkindern sein. „Sie können sich mal bei uns ausweinen. Es ist wichtig, dass sie frei darüber reden können”, so der 65-Jährige. Bei Problemen mit häuslicher Gewalt dürfen die Seniorpartner mit niemandem darüber sprechen, können das Kind aber zum Beispiel an den Sozialarbeiter der Schule verweisen. „Wir nehmen jeden Zustand so, wie er ist. Die Kinder sind das Wichtigste”, ergänzt der Pensionär und betont: „Unsere Ausbildung geht in Richtung Gesprächsführung, wir therapieren nicht.” Dass die Mediation durch die Seniorpartner in School erfolgreich ist, zeigen die Schülerinnen und Schüler, die Peter Hesse und Andrea Bockelmann gerne und regelmäßig aufsuchen und dann irgendwann nicht mehr kommen, weil sie gelernt haben, ihre Probleme selbstständig zu lösen. Der Großteil der Hilfesuchenden besucht die zweite und dritte Klasse, einige kommen aus reiner Neugier. „Die Erstklässler müssen erstmal ankommen – und die Viertklässler können häufig selbst ihre Probleme lösen”, erklärt Hesse. Der Kontakt zu den Grundschulkindern, die ihn und seine Kollegin mit deren Lebenserfahrung respektieren, bereitet dem Pensionär große Freude. „Es ist ein Gefühl wie mit den Enkelkindern.” Berührungsängste gebe es nicht. „Die Kinder sind erleichtert, dass sie sich ihre Probleme von der Seele reden können”, so Hesses Beobachtung. „Die Sozialkontakte sind anders als vor Corona.” Mit seiner Kollegin Andrea Bockelmann hatte Peter Hesse bereits die Mediations-Ausbildung im Jahr 2019 gemacht. Sie harmonieren in ihrer Teamarbeit gut, können sich aufeinander verlassen. „Mir ist von anderen Mediatorenteams berichtet worden, dass die Kinder sogar gefragt haben, ob wir verheiratet sind”, so Hesse. Wer Interesse an der ehrenamtlichen Tätigkeit als Seniorpartner in School hat und sich auch zum Schulmediator oder zur Schulmediatorin ausbilden lassen möchte, kann sich an Barbara Plötner-Raulf wenden unter Tel. 01 71 – 4 74 93 60 oder per E-Mail an barbara@ploetner-raulf.de. Ein neuer Ausbildungsdurchgang kann voraussichtlich ab Februar 2023 beginnen. (JVE)
Foto: Seniorenpartner in School/privat