Der Lüneburger Julius
Julius Niclas hat sein Herz an Japan verloren. Nach einem Schüleraustausch und einem Freiwilligen Sozialen Jahr in Japan studiert der 22-Jährige nun für ein Jahr an einer japanischen Universität.
Seinen ersten Besuch in Japan hat Julius Niclas seiner damaligen Schule, dem Lüneburger Gymnasium Johanneum zu verdanken. Mit einer Delegation reiste er im Jahr 2018 für zehn Tage in die Lüneburger Partnerstadt Naruto – und war begeistert. „Ich war immer interessiert an Japan”, erinnert sich der Lüneburger, „seit Ende der Grundschulzeit fand ich Animes toll.” Das sind in Japan produzierte Zeichentrickfilme. Bei seinem ersten Besuch in Japan war er „total geflasht”, wie er sagt, „alles war komplett anders als bei uns.”
Dass Julius nach seinem Abitur im Jahr 2019 für ein Jahr ins Ausland gehen würde, war ihm klar. Doch nach seiner eindrucksvollen Reise schwenkte er von Kanada auf Japan um. Ohne jegliche Sprachkenntnisse ging er im Sommer 2019 nach Japan, um ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Tagespflege eines Seniorenheims in der Nähe von Osaka zu machen. Seine Aufgabe war die Beschäftigung mit den Senioren – nicht leicht, wenn man nur die Wörter „Danke”, „Hallo” und „Bitte” auf Japanisch kennt. „Niemand konnte Englisch, wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt”, erzählt Julius. „Das war am Anfang hart. Die ersten drei Monate hatte ich nichts beizutragen. Aber meine Kollegen waren sehr hilfreich.”
Dass Julius den Beginn der Corona-Pandemie in Japan erlebte, empfand er nicht als schlimm. Auch als deutsche Behörden bei Pandemiebeginn versuchten, alle Deutschen aus dem Ausland zurückzuholen, wollte der Lüneburger unbedingt in Japan bleiben – was ihm schließlich gelang. Zwar gab es vor Ort Hygienevorschriften und eine Maskenempfehlung und Julius musste sich gegen Grippe impfen lassen. Doch öffentliche Einrichtungen waren nur auf freiwilliger Basis und wesentlich kürzer als in Deutschland geschlossen. So verbrachte er die erste Zeit der Pandemie entweder bei der Arbeit im Seniorenheim oder in seinem kleinen Einzelappartement, doch im Sommer sei alles schon wieder recht normal gewesen, erzählt er.
TV-Shows auf Japanisch
Um sich gesellschaftlich nicht total abgehängt zu fühlen, lernte Julius im Freiwilligen Sozialen Jahr privat Japanisch. „Ich habe mir am Anfang Textbücher besorgt und japanische TV-Shows geguckt und nebenher etwas Vokabeln gelernt. Und ich habe ja bei der Arbeit immer Japanisch gehört”, erklärt er. Dass er nach der Arbeit pro Tag ungefähr noch zwei Stunden Japanisch lernte, habe ihm Spaß gemacht. Im Sommer 2020 kehrte Julius Niclas nach dem FSJ nach Lüneburg zurück. Seiner Idee, sich für ein Studium beim Auswärtigen Amt zu bewerben, folgte eine einjährige Bewerbungsphase, während der er im Supermarkt jobbte. Doch aus dem Auswärtigen Amt wurde nichts, und so begann Julius im Herbst 2021 den Studiengang „International Business Management (East Asia)” am Ostasieninstitut der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft (HWG) Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz. Während des vierjährigen Bachelorstudiums sind zwei Semester, in der Regel das fünfte und sechste, im Ausland vorgesehen – Julius entschied sich für ein weiteres Jahr in Japan. Auch seine Freundin, eine Japanerin, die er im Sommer 2020 kennengelernt hatte, konnte er so wieder mehr sehen. Seit Sommer 2023 lebt Julius Niclas nun in Shimonoseki, einer Stadt mit rund 250.000 Einwohnern im Südwesten von Honshu, der Hauptinsel von Japan. Hier studiert er komplett auf Japanisch – und auch europäische Kommilitoninnen oder Kommilitonen hat er kaum. Die Studierenden kommen hauptsächlich aus Japan, China, Vietnam und Südkorea. Von ihnen spricht kaum jemand Englisch, so dass die Verständigung auf Japanisch stattfindet. Julius beherrscht die Sprache inzwischen so gut, dass er vor zwei Jahren beim Japanischtest die höchste Stufe erreichte. „Ich kann alle 2.200 Schriftzeichen lesen und etwa die Hälfte per Hand schreiben”, erzählt der 22-Jährige. Bei seinen Unikursen komme er deshalb gut mit.
Kein Leistungsdruck
Im Vergleich zu seinem Studium in Ludwigshafen hat Julius in Japan eine entspannte Zeit. Seine Kurse kann er frei wählen und muss diese nur bestehen, für ihn als Austauschstudent gibt es keinen Leistungsdruck. Auch die Sprache stellt für ihn beim Studium keine Hürde dar. Rund 2.000 Studierende lernen an der Shimonoseki City University, und für Julius kommt das erste Mal ein „Campusgefühl” auf, das er am Ostasieninstitut in Ludwigshafen nicht hat. Julius hat sich seinen Stundenplan so gelegt, dass er nur an drei Tagen in der Woche Kurse hat – der Rest ist Freizeit. Er empfindet sein Studium in Japan als so locker, dass er sich einen Job im Fitnessstudio gesucht hat. Seine Freundin, die er mindestens einmal im Monat sieht, lebt auf Okinawa, eine gute Flugstunde entfernt. Mit ihr hat er in den Semesterferien, die von Februar bis April gingen, Südkorea und Vietnam bereist. Wenn der Lüneburger Ende August wieder zurück nach Deutschland geht, möchte sie nach Deutschland oder England gehen, um Englisch zu lernen.
Wenn Julius über Japan redet, gerät er schnell ins Schwärmen. „Japan ist ein unglaublich praktisches Land”, erzählt er, „Die Infrastruktur und der öffentliche Nahverkehr sind perfekt, alles ist auf die Minute pünktlich, angenehm und leise.” Neben den ganzen Annehmlichkeiten sei die Natur unglaublich schön. Besonders fallen dem 22-Jährigen der Service und das Miteinander in der Gesellschaft auf. „Während es in Deutschland heißt: Der Kunde ist König, heißt es in Japan: Der Kunde ist Gott!”, erklärt er. Die Menschen seien überall sehr rücksichtsvoll und höflich. „Ich fühle mich hier sehr wohl.” Auch das Essen sei besonders. „Das japanische Essen ist nicht nur Sushi und Ramen, es ist sehr vielfältig. Es werden nicht so viele Öle verwendet, der natürliche Geschmack bleibt. Die traditionelle japanische Küche ist sehr gesund”, meint er.
Exot als Europäer
Von Deutschland, wenn sie es überhaupt kennen, haben die Japaner, die Julius bisher getroffen hat, ein positives Bild: „Deutschland hat einen sehr guten Ruf in Japan. Sie verbinden mit uns die Klischees aus dem Süden wie Bier und Würste, aber auch gute Autos. Und wir Deutschen gelten als diszipliniert und höflich.” Wenn man offen auf die Menschen zugehe, lerne man in Japan schnell neue Leute kennen, meint der Student. Doch er hat auch schon festgestellt, dass einige nur mit ihm befreundet sein wollen, weil er als Europäer ein „Exot” ist. „Ich habe einen Sonderstatus und werde anders behandelt, weil ich Europäer bin.” Durch seine blonden Haare falle er überall auf, und in der Stadt Shimonoseki und auf dem Land würden ihn die Menschen unverhohlen anstarren – was ihm in der Metropole Tokio nicht passieren würde, wo er mehrmals war. Auch wenn seine Präfektur – vergleichbar mit dem Bundesland in Deutschland – zum Ausgehen nicht viel hergeben würde, lasse es sich in Japan gut weggehen und feiern, meint Julius. So gebe es in einer knappen Stunde Entfernung eine größere Stadt, in der man gut feiern könne. In Hinblick auf den Alkohol hat der Lüneburger beobachtet: „Die Japaner trinken und vertragen viel weniger als wir, aber dafür trinken sie viel häufiger, bestimmt viermal pro Woche. Gerade bei Treffen von großen japanischen Firmen ist das ein fester Bestandteil.” Im Sommer geht es für Julius zurück nach Deutschland, wo er noch ein Jahr in Ludwigshafen studieren muss. Er kann sich vorstellen, später wieder nach Japan zu gehen und hier zu arbeiten. „Aber der Yen steht im Moment sehr schlecht. Ich würde in Japan 30 bis 40 Prozent weniger Gehalt als in Deutschland bekommen”, weiß er. „Ich würde mir erstmal in Deutschland einen Job suchen, vielleicht bei einer japanischen Firma.” Momentan komme ihm der Yen-Euro-Wechselkurs zugute. „Aus deutscher Perspektive ist es hier sehr billig. Mit 20 Euro am Tag könnte ich richtig schlemmen.” Julius weiß, dass auch für die Studierenden aus Japan die Unizeit im Vergleich zur Schulzeit sehr locker ist: „In Asien sind Mittelstufe und Oberstufe richtig hart und man muss lernen, lernen, lernen. Aber an der Uni können sie die Beine hochlegen. Man sagt hier: Das Studium ist der Sommer deines Lebens. Entfalte dich, schließe Kontakte, entwickle Fertigkeiten, um für das Berufsleben gewappnet zu sein. Es ist hier schwierig, an einen Studienplatz zu kommen, aber dann ist der Lernaufwand gering.” (JVE)