Gisela Reuter-Jungermann ist Predigerin im Ehrenamt

Gisela Reuter-Jungermann ist keine studierte Theologin, übernimmt aber im Gottesdienst viele Aufgaben eines Pastors. Die Lüneburgerin ist seit mehr als 20 Jahren Predigerin im Ehrenamt an der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde.

Gisela Reuter-Jungermann ist in ihrem Leben „weit gereist”, wie sie sagt. Die 78-Jährige wurde auf der Flucht aus Ostpreußen geboren, hat an vielen Orten gelebt und nennt seit Anfang der siebziger Jahre die Stadt Lüneburg ihre Heimat. Seitdem gehört sie auch der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Lüneburg-Uelzen an. „Ich wurde in die reformierte Kirche reingeboren und bin da reingewachsen”, erzählt sie. „Ich habe einige Jahre im Rheinland gelebt und wurde auch reformiert konfirmiert.” Schon seit 1970 ist Gisela Reuter-Jungermann an der reformierten Kirchengemeinde in Lüneburg aktiv, gehörte schon der Gemeindeversammlung an, leitete Kindergottesdienste und übernahm als Lektorin Lesungen im Gottesdienst. Ihr Ehemann Gerd Jungermann, ein Klarinettist und Jazzmusiker, spielte schon oft in ihrer Kirche. Auch ihre beiden inzwischen erwachsenen Söhne nahm sie mit in die Kirche, konnte sie jedoch mit wachsendem Alter nicht dafür begeistern. Von Beruf Lehrerin für Deutsch, Religion und Musik an der KGS Bad Bevensen, brachte Gisela Reuter-Jungermann eine Begeisterung für die Schönheit und Ausdrucksstärke der Sprache und der Gedanken mit an die Gemeinde. Da die Inhalte der Gottesdienste sie bewegten und ihr etwas bedeuteten, wurde sie schließlich gefragt, ob sie sich vorstellen könne, eine Ausbildung zur „Ältestenpredigerin” zu machen, wie das Ehrenamt damals hieß. Ende der neunziger Jahre begann sie die Ausbildung, die aus Wochenendkursen über einen Zeitraum von zwei Jahren bestand. Als Ältestenpredigerin im Ehrenamt mit Segensspruch ordiniert, also ins Amt eingeführt, wurde Gisela Reuter-Jungermann im Jahr 2001. Seitdem gehört sie zu den regelmäßigen Predigerinnen auf der Kanzel der Christuskirche. Dass sie das darf, ist eine Besonderheit der Evangelisch-reformierten Kirche.

Literatur als Predigtfutter

Einer der Gottesdienste, die sie jedes Jahr vorbereitet und an ihrer Gemeinde hält, ist der am ersten Weihnachtsfeiertag. Wie immer hat sie die Predigt schon Wochen im Voraus vorbereitet, verpasst ihr dann nur noch den letzten Schliff. Als Grundlage für die Predigten dient allen Pastoren und Predigern die Perikopenordnung, eine Zusammenstellung von Bibelabschnitten, die zur gottesdienstlichen Lesung in der Predigt im Laufe des Kirchenjahres vorgesehen sind. „Zwar gibt es diese Perikopenreihe, aber wir sind da ziemlich frei”, erklärt Gisela Reuter-Jungermann, die sich zunächst gern in theologische Texte einliest, die sich mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen. Auch auf eine Art Bibliothek oder Archiv eines ehemaligen Pastors ihrer Gemeinde kann sie zurückgreifen. „Ich brauche Texte von anderen Leuten, die sich über die Themen schon den Kopf zerbrochen haben. Ich nenne das mein Predigtfutter”, so die Predigerin, „es gibt unheimlich gute Literatur.”  Im Unterschied zu einem hauptamtlichen Pastor – an der Evangelisch-reformierten Kirche Lüneburg ist das Martin Hinrichs – sei die Vorbereitung für sie wesentlich aufwendiger, meint Gisela Reuter-Jungermann, deren Amt seit ein paar Jahren nicht mehr Ältestenpredigerin, sondern Predigerin im Ehrenamt heißt. „Ich gehe da nicht so schnell ran, ich muss die richtigen Wörter und Sätze finden”, meint sie. „Und ich muss immer überlegen, ob ich das meiner Gemeinde zumuten kann.” Nicht nur die Predigt schreibt die 78-Jährige selbst, auch die Gebete und Lesungen, die im Gottesdienst andere Lektoren übernehmen, stammen aus ihrer Feder. Außerdem wählt sie die Lieder für den Gottesdienst aus. Der Evangelisch-reformierten Kirche in Lüneburg gehören rund 900 Menschen an, die aus den Landkreisen Lüneburg, Harburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen kommen. „Bei den Gottesdiensten erscheint immer nur eine kleine Schar, es sind nie mehr als 20 Besucher”, erklärt Gisela Reuter-Jungermann. „Weihnachten sind es eher 30 bis 40 Leute. Aber das ist mir letztlich auch egal, weil wir nur das Sprachrohr sind.” Im Unterschied zur Evangelisch-lutherischen Kirche seien die Predigten bei der reformierten Kirche mit etwa 20 Minuten um einiges länger – für die Ehrenamtliche ein Gewinn. „Die Predigten in unserer Gemeinde sprechen mich jedes Mal an”, meint sie. Die Lüneburgerin schätzt auch das Zusammenkommen mit den Gemeindegliedern nach dem Gottesdienst, bei dem sie auch gelegentlich auf ihre Predigt angesprochen wird.

 

Ehrung beim Tag des Ehrenamts

Die Evangelisch-reformierte Kirche Lüneburg-Uelzen verfügt über drei Predigerinnen im Ehrenamt, die sich mit der Gottesdienstgestaltung abwechseln und so den einzigen Pastor entlasten. „Die anderen beiden sind eine Richterin und eine Studienrätin. Sie haben noch mal einen anderen Blick auf die Welt”, meint Gisela Reuter-Jungermann. Auch Pastoren im Ruhestand halten hier Gottesdienste – dann ist die Kirche gleich voller. Zwar sei ihre Gemeinde von der Personenzahl her klein, aber die Wenigen seien sehr aktiv, und durch die Konfirmandenarbeit, die ausschließlich in Seminar- und Freizeitform stattfindet, kämen motivierte junge Leute nach, erzählt die ehrenamtliche Predigerin, die rund zehnmal im Jahr einen Gottesdienst hält. Die 78-Jährige ist schon vor einigen Jahren offiziell entpflichtet worden, aber geändert hat das an ihrem Ehrenamt und ihrem Engagement nichts. Wegen ihres Einsatzes schlug Pastor Martin Hinrichs sie vor Kurzem für eine Ehrung durch die Hansestadt Lüneburg am Tag des Ehrenamts im Dezember vor, die sie in der Musikschule Lüneburg mit rund 40 anderen Ehrenamtlichen erhielt. Eine Ehrung, die Gisela Reuter-Jungermann gar nicht für nötig hält. „Ich sitze hier nur und schreibe was und erzähle das den Leuten”, meint sie, „ich mache das auch gerne. Das ist ein tolles Hobby, ich sehe das nicht als Arbeit an.” Die 78-Jährige beschäftigt sich gerne mit theologischen und biblischen Texten und überträgt sie auf die heutige Zeit, ohne politisch zu werden. „Solange mein Kopf das noch mitmacht, mache ich weiter”, sagt sie. Von Routine möchte Gisela Reuter-Jungermann bei ihrem Ehrenamt nicht sprechen. „Es gibt immer wieder interessante Texte. Es wiederholt sich nichts, die Bibel ist ja sehr reichhaltig.” Aufgeregt vor ihrer Predigt sei sie von Anfang an nicht gewesen. Dennoch hält sie ihre Predigten nie frei, weil sie möchte, dass jeder Satz sitzt und sie nicht ins Trudeln gerät. Und auch wenn ihr während des Gottesdienstes keine bestimmte Kleidung vorgeschrieben ist, möchte sie dem Anlass eine besondere Ehre erweisen. „Ich kann einen Talar tragen, möchte es aber nicht. Ich trage meist eine schwarze Hose, eine schwarze Jacke und ein helles Hemd. Ich empfinde es als notwendig, den Sonntag zum Sonntag zu machen”, sagt sie. Einmal habe sie sich bisher einen Talar geliehen, als sie im Gottesdienst Kinder getauft habe. Denn die ehrenamtliche Predigerin darf auch Taufen, Trauungen und Beerdigungen übernehmen. Das kommt vor allem vor, wenn der Pastor krankheitsbedingt ausfällt. Bei der einzigen Trauerpredigt, die sie bisher gehalten habe, sei sie dann doch sehr aufgeregt gewesen, erinnert sie sich. „Ich habe schon drei Taufen gemacht, das ist auch schon ein bisschen aufregend”, fügt sie hinzu. Ein besonderes Ereignis sei für sie auch, das Abendmahl auszuteilen. Gisela Reuter-Jungermann ist ein Satz ihrer Mutter bis heute im Ohr geblieben. „Sie hat immer gesagt, du wärst eine gute Pastorin geworden. Aber ich war Lehrerin, und das war gut so.” Zu der theologischen Ausbildung und dem Beruf der Pastoren gehöre noch weit mehr. „Pastoren haben sehr viel Arbeit und müssen sehr viel begleiten. Wir schlecken nur den Honig vom Brot.” (JVE)

 

 

Wenn Predigen ein Hobby ist
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