Die Kletteraktivistin Cécile Lecomte setzt sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung ein
Sie engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Atomkraft und in der Klimabewegung – und für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Cécile Lecomte, die sich durch ihre Baumbesetzungen in Lüneburg den Spitznamen „Eichhörnchen” einhandelte, klettert immer noch gerne, auch politisch. Obwohl sie seit einigen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist, denkt sie nicht ans Aufhören – und bringt Menschen mit Behinderung das Klettern bei.
Aufgewachsen ist die 41-jährige Cécile Lecomte in Frankreich, wo sie früh das Bergsteigen lernte und sich an Meisterschaften im Sportklettern beteiligte. Schon in ihrer Jugend war die Französin politisch aktiv, auch während ihres BWL-Studiums in Bayreuth und später in Erlangen engagierte sie sich in grünen Gruppierungen politisch. Nach einem ebenfalls abgeschlossenen Studium als französische Sprachenlehrerin zog Cécile Lecomte 2005 nach Lüneburg, wo sie zunächst ein paar Jahre an Schulen Französisch lehrte und in ihrer Freizeit politische Aktionen plante.
Inzwischen ist Cécile Lecomte „Vollzeitaktivistin”, wenn auch zunehmend ausgebremst durch eine chronische Autoimmunerkrankung (Rheumatoide Arthritis). „In Deutschland habe ich die Antiatomkraftbewegung kennengelernt”, so die Aktivistin, die in Lüneburg und bundesweit mit Gleichgesinnten gut vernetzt ist. In der öffentlichen Wahrnehmung viel in Erscheinung getreten ist „das Eichhörnchen” durch seine Kletteraktionen zur Zeit der Castortransporte, der Atommülltransporte nach Gorleben, die bis 2011 durchgeführt wurden. Durch ihre Abseilaktionen blockierte sie oft stundenlang Atommülltransporte in vielen Teilen Deutschlands. Nach der Beendigung der Castortransporte nach Gorleben und der Abschaltung der Atomkraftwerke stehen für sie der Umschlag von Uran am Hamburger Hafen und die Uran-Ex- und -Importe aus Russland im Mittelpunkt.
Gewaltfreier Protest
Dabei legt sie bei ihren Aktionen immer Wert auf gewaltfreien Protest. „Man kann dem Gegner auch mal Probleme bereiten, aber nicht ohne sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen”, meint die 41-Jährige. Durch ihre Aktionen wolle sie eine Botschaft vermitteln, aber überlegt. „Da liegt für mich der Unterschied zwischen aktivistisch und aktionistisch. Aktionismus ist nur frech. Ich nenne Aktivismus die Kunst des Happenings an der richtigen Stelle – kreativer Protest.” Ihre Kletteraktionen betrachtet sie rückblickend nicht als gefährlicher, als ein paar Meter von den Bahnanlagen entfernt zu stehen, doch die Polizei sah das oft anders. Einige Male wurde sie in Gewahrsam genommen, verbrachte wegen ihres Verhaltens bis zu drei Tage in Ordnungshaft.
Durch ihre öffentlichkeitswirksamen Kletteraktionen hat die Polizei Cécile Lecomte zunehmend auf dem Kieker. „In deren Augen bin ich eine Art Rädelsführerin”, meint sie. So sei sie 2008 bereits vor dem Castortransport in Gewahrsam genommen worden, „weil die Polizei Angst hatte, dass ich in einen Baum klettere.” Diese Präventivhaft, die heute bei den Aktivisten der Letzten Generation in einigen Bundesländern auch angewendet wird, war damals eine Besonderheit. „Im Gegensatz zur Letzten Generation hatte ich nicht angekündigt, es wieder zu machen”, erklärt sie. Dagegen, dass sie in den Jahren 2002 bis 2016 bei der Polizei als „Relevante Person” eingestuft wurde – was sonst eher Personen aus dem extremistischen oder terroristischen Spektrum zugedacht ist –, klagte die Französin mit Erfolg. 2019 stieg sogar die Bundespolizei ein in ihre Überwachung – wogegen sie ebenfalls klagte und erst vor Kurzem Recht bekam. Die regelmäßige Überwachung sowie der unfreundliche Ton und die Verdächtigungen, mit denen ihr Polizeibeamte oft gegenüberträten, machen der Aktivistin seit Jahren zu schaffen. „Es macht keinen Spaß, was mir passiert”, erklärt sie. „Inzwischen verstehe ich, warum viele Aktivisten ihr Gesicht verdecken und die Herausgabe ihrer Personalien verweigern. Ich wollte selbstbestimmt in die Öffentlichkeit treten, aber ich war mir nicht bewusst, was das für Folgen hat.” Dass man sie deutschlandweit erkennt – wie jüngst bei den Protesten gegen die Räumung in Lützerath – sei für sie ein „schwieriges Gefühl.” „Problematisch sind die polizeilichen Einträge. Wenn die Polizisten sie sehen, werden sie gleich aggressiv.” Auch körperliche Gewalt durch Polizisten habe sie schon erfahren müssen.
Kletterkurse im Garten
Solidarisch mit den Menschen, die sich bei Protestaktionen nicht zeigen wollen, nutzt Cécile Lecomte inzwischen ihre Bekanntheit für die Öffentlichkeitsarbeit. So hält die Französin Vorträge und schreibt Hintergrundberichte – über die Atomkraft und was sie mit den Menschen macht, aber auch über die Protestaktionen und was den Menschen dabei passiert. In ihrem 2014 erschienenen Buch „Kommen Sie da runter!” berichtet sie über ihre Erfahrungen als Aktivistin, aus dem sie in den Folgejahren oft bei Veranstaltungen las.
Dass Cécile Lecomte außerdem ihr Wissen und ihre Fähigkeiten des Kletterns an Menschen mit Behinderung, oft an Rollstuhlfahrer, weitergibt, macht die Situation in Bezug auf die Polizei für sie nicht gerade einfacher. „Mir wird oft eine hervorgehobene Rolle im Wissen über Klettern vorgeworfen. Aber bei meinen Kletterkursen für Menschen mit Behinderung geht es um Teilhabe und Leidenschaft”, meint sie. Die Aktivistin, die im Lüneburger Wohnprojekt Unfug lebt, gibt die Kurse mit professioneller Ausrüstung kostenlos an alten Bäumen in ihrem Garten. Beim Abseilen mit Rollstuhl wird ein Flaschenzug verwendet. „Ich habe oft Menschen mit Spastik in meinen Kursen, da muss man beim Klettern individuelle Lösungen finden. Es ist toll, wie glücklich die Leute dann sind.” Auf einem der Bäume in ihrem Garten hat Cécile Lecomte eine Baumplattform, auf die sie sich gerne zurückzieht, um den Sonnenuntergang zu betrachten – oder um sich zu regenerieren. „Es muss nicht immer die Baumbesetzung sein”, sagt sie schmunzelnd. Weil die 41-Jährige früher Leitungssport getrieben hat, geht sie beim Klettern trotz ihrer Erkrankung bis zur Schmerzgrenze, probiert aus, was geht. „Ich habe Ideen statt Kraft, ich klettere nach einem eigenen System”, erklärt sie.
Aktivisten mit Behinderung
In den vergangenen Jahren hat sich die Arbeit der Aktivistin immer mehr auf die Rechte von Menschen mit Behinderung – insbesondere bei Protestaktionen – fokussiert. „Wenn du die Rechte und Sicherheit der Menschen nicht wahren kannst, darfst du sie nicht in Gewahrsam nehmen”, meint die Französin. Sei eine Person beispielsweise auf ein Sauerstoffgerät angewiesen, müsse immer gewährleistet sein, dass sich bei der Ingewahrsamnahme jemand damit auskennt. Mit der Zeit hat sie sich überdurchschnittliche juristische Kenntnisse angeeignet. „Auch damit werde ich als Gefahr angesehen – das ist absurd”, erzählt sie. „Ich habe einfach das Bedürfnis, selbstbestimmt damit umzugehen. Es gibt auch solidarische Rechtsanwältinnen, die ihr Wissen weitergeben. Es ist nicht so schwer, sich Wissen anzueignen.” Ihre Erfahrung: „Sie mögen alle nicht, wenn man Contra gibt. Wir stellen Fragen, die es so noch nicht gegeben hat. Es ist so ungewöhnlich, dass Menschen mit Behinderung so aktiv sind, auch als Klimaaktivisten. Und dann finden sie es plötzlich gefährlich.” Auch wenn Cécile Lecomte sehr aktiv ist und viel rumreist, muss sie inzwischen oft im Bett liegen und sich erholen. „Nach viel Anstrengung gibt es immer einen Crash, das kann auch ein Krankheitsschub sein. Ich brauche Pausen und viel Zeit.” So hat sie für ihre Unternehmungen inzwischen eine persönliche Assistenz. Drei Personen begleiten sie im Wechsel zu Demos, Vernetzungstreffen oder zum Klettern. „Es sind Menschen, die politisch mit mir Überschneidungen haben. Die Assistenz macht keine Aktionen, ist aber immer dabei”, erklärt sie. Genau wie Menschen ohne Behinderung sei sie aktiv, halte Vorträge, betreibe Aufklärungsarbeit und plane Aktionen. Sie fährt zu allen Aktionen bundesweit mit der Bahn – als Rollstuhlfahrerin oft beschwerlich und voller Ärgernisse. Auch über ihre persönlichen Erlebnisse beim Bahnfahren schreibt sie deshalb regelmäßig. Außerdem ist sie Sprecherin für „Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit” bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL). „Mir ist die Betroffenenperspektive wichtig – von Menschen mit Behinderungen für Menschen mit Behinderungen”, so Cécile Lecomte. Durch ihre Mutter, die heute noch in den Bergen in Frankreich lebt, lernte Cécile Lecomte die Widerstandsbewegung kennen. Ihre Mutter hatte an den gewaltfreien Protesten im französischen Larzac gegen die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes der französischen Armee teilgenommen, die von 1971 bis 1981 andauerten. Zwar war Cécile da noch nicht geboren, doch die Geschichte hat sie geprägt. „Meine Mutter hat mich auf viele Demos mitgenommen, aber selbst keine Aktionen gemacht”, erzählt sie. (JVE)