
Alexander Tesmer engagiert sich
Ob Schützenverein, Heimatverein, Sportclub oder Feuerwehr: Alexander Tesmer hat es sich zur Aufgabe gemacht, dorthin zu gehen, wo queeres Leben noch nicht angekommen ist. Der 47-Jährige, der bei „Queer in Lüneburg” aktiv ist, will die Menschen dazu ermutigen, zu ihrer Sexualität zu stehen.
Queer wird laut Verband Queere Vielfalt LSVD+ häufig als Sammelbegriff für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen verwendet. Als Selbstbezeichnung wird er aber oft auch benutzt, um eine Identität, jenseits von Kategorien wie „Mann“ und „Frau“ oder „heterosexuell“ und „lesbisch“ oder „schwul“ zu bezeichnen. Queer kann sich auch auf eine Haltung beziehen, die Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität in Frage stellt.
„Queer in Lüneburg” ist eine ehrenamtliche Initiative, die kurz vor der Vereinsgründung steht und in Lüneburg und Umgebung für die Akzeptanz von queeren Menschen wirbt. Neben der Wahl des Schwulen Heidekönigs organisiert die Gruppe unter anderem Partys, Stammtische, Gesprächsrunden und Kooperationsprojekte wie „Queer und Kirche” – mit dem Ziel, Räume für Austausch, Sichtbarkeit und Gemeinschaft zu schaffen.
Wahl zum Schwulen Heidekönig
Alexander Tesmer aus Lüneburg kam 2023 in die Gruppe. Dirk Ahrens von „Queer in Lüneburg” hatte ihn bereits 2022 versucht zu motivieren, für das Amt des Schwulen Heidekönigs zu kandidieren. „Da konnte ich mir das aber noch nicht vorstellen”, erinnert sich Tesmer. Der Verwaltungsbeamte, der beim Regionalen Landesamt für Schule und Bildung in Lüneburg tätig ist, stand bis dahin nicht gerne im Mittelpunkt, wurde von Dirk Ahrens jedoch langsam an das Thema Schwuler Heidekönig und die Gruppe „Queer in Lüneburg” herangeführt. Ahrens und Tesmer hatten sich vor Jahren über eine Dating-Plattform kennengelernt, inzwischen verbindet sie eine Freundschaft.
Ins Leben gerufen wurde das Amt des Schwulen Heidekönigs im Jahr 2000 durch die Lüneburger Kampagne „Hin und Wech”. Mit dem Titel sollte ein queeres Pendant zu traditionellen Majestäten wie der Heidekönigin geschaffen und zugleich Aufmerksamkeit für die Gefahren von HIV geweckt werden. Vor 25 Jahren wurde in Lüneburg der erste Schwule Heidekönig Leo I. gekürt. Seitdem hat sich das Amt zu einer wichtigen Plattform für queere Sichtbarkeit und kulturellen Austausch entwickelt.
Alexander Tesmer wurde schließlich Anfang 2023 zum Schwulen Lüneburger Heidekönig gewählt. „Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, in der Öffentlichkeit zu stehen”, erinnert er sich. „Es macht aber manchmal Spaß!” In seinem Jahr als Schwuler Heidekönig war er viel auf Veranstaltungen unterwegs, zu denen auch die anderen traditionellen Majestäten eingeladen sind – vom Heideblütenfest in Amelinghausen über Spargel- und Erntedankfeste. In der Regel sind diese Veranstaltungen heteronormativ, das heißt, hier wird Sexualität zwischen Mann und Frau sowie die damit verbundene Zweigeschlechtlichkeit als Norm behandelt. „Es waren überwiegend Volksfeste. Die Rückmeldungen waren immer positiv”, erzählt Tesmer. „Es haben viele erkannt, dass wir ein Zeichen für Akzeptanz und Vielfalt setzen müssen.” So habe es auch einige Jahre gebraucht, bis die Stadt Lüneburg erkannte, dass das Amt des Schwulen Lüneburger Heidekönigs ernst zu nehmen und unterstützenswert sei. „Wir haben sehr dafür gekämpft, mit der Wahl ins Lüneburger Rathaus zu kommen, was erst seit der neuen Bürgermeisterin möglich ist”, so Tesmer. „Die Stadt hielt uns für über flüssig und verwies darauf, dass sie schon den Sülfmeister hat.” Inzwischen habe man erkannt, dass man durch die queere Veranstaltung Bereiche erschließen kann, die man bisher nicht erreichen konnte. Dirk Ahrens hatte auch lange für eine Aufnahme in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche KönigInnen gekämpft. Eine Aufnahme galt als schwierig, da alle Majestäten für ein Produkt stehen. „Aber unser Produkt ist das Werben für Akzeptanz und Vielfalt”, so Tesmer, der besonders dem Heideköniginnenhaus aus Amelinghausen dankbar für die selbstverständliche Einbeziehung der Schwulen Heidekönige ist.
Generationen verbinden
Sichtbar werden in Vereinen, die besonders traditionell geprägt sind – das ist eines der erklärten Ziele von „Queer in Lüneburg”. So habe es ein erstes gemeinsames Projekt mit den Eisenbahnern der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsfreunde Lüneburg (AVL), einen Ausflug mit dem Heide-Express nach Amelinghausen gegeben. Geplant sind auch andere niedrigschwellige Angebote wie ein Feierabendbier im Sommer im Park mit Outdoorspielen für alle. Auch die Generationen sollen mehr verbunden werden, was durch die Organisation der Pride in Lüneburg bereits begonnen hat. „Durch die Pride-Orga sind wir mehr mit der Uni Lüneburg verbunden und es kommen mehr junge Leute zu unseren Veranstaltungen”, meint Alexander Tesmer. Junge Leute zu erreichen sei für sie aber leichter als ältere, was nach seiner Einschätzung an dem Umgang mit queeren Menschen noch vor einigen Jahrzehnten liegt. „Vielen jungen Menschen ist nicht bewusst, wie die Situation vor 40 bis 50 Jahren war. Da hatten queere Menschen noch ganz andere Kämpfe auszutragen.” Deshalb gehe
es bei „Queer in Lüneburg” auch darum zu schützen, was in den vergangenen Jahrzehnten für queere Menschen bereits erreicht werden konnte. So müsse das Gleichstellungsgesetz unbedingt erhalten werden, so Tesmer.
Alexander Tesmers persönliche Geschichte ist wahrscheinlich typisch für seine Generation. „Ich bin unbedarft aufgewachsen und hatte eine schöne Kindheit. Damals war schwul noch ein Schimpfwort”, erzählt er. Der 47-Jährige wurde in Lüneburg geboren und lebte ab dem Alter von sechs Jahren in Scharnebeck. Rückblickend sei er immer anders als andere Jungs gewesen. „Mein Spielhäuschen hatte zum Beispiel immer Gardinen.” Zwar habe er gemerkt, dass es durchaus Männer gibt, die mit Männern zusammenleben. Dass er schwul ist, sei ihm aber erst in der Pubertät bewusst geworden. Lange habe er sein Interesse an Männern versucht zu ignorieren und sich auf Beziehungen mit Mädchen eingelassen. „Dabei bin ich grandios gescheitert.” Doch auch seine ersten Erfahrungen mit Männern mit 16 Jahren seien nicht schön gewesen. Nach weiteren gescheiterten Beziehungsversuchen mit Frauen hatte er mit Anfang zwanzig seinen ersten Freund.
Erste Berührungspunkte mit der Schwulenszene bekam Tesmer über einen Arbeitskollegen aus Hamburg. „Er hatte wohl gemerkt, dass ich schwul bin und hat mir das Schwulenmagazin Hinnerk mitgebracht. Das habe ich total verschlungen”, erinnert sich der Lüneburger. Eine Coming-Out-Gruppe in Lüneburg half ihm daraufhin sehr und verschaffte ihm erste Kontakte in die Szene. Seinen Eltern sagte er mit 19 Jahren, dass er homosexuell ist – eine Überraschung, die aber für sie irgendwie ins Bild passte. „Das war für meine Mutter zuerst ganz schlimm, für sie war das sehr mit Aids und Diskriminierung verbunden. Mein Vater hat nicht viel dazu gesagt”, erinnert er sich. Zu der Zeit sei Schwulsein noch vor allem mit Aids und Sterben verbunden gewesen. „Schwul war damals entweder Tod und Krankheit oder Bunt und Tütü, meine Eltern haben sich dann erstmal damit auseinandergesetzt.” Er habe seinen Eltern damals Bücher zur Information gegeben, zum Teil mit Erfahrungsberichten von Eltern. Bis es alle aus Tesmers Umfeld erfuhren, dauerte es auch noch eine Weile. „Von Freunden und Familie wurde mir nie etwas Negatives entgegengebracht. Am ehesten hatte noch mein Opa ein Problem damit, er war ja noch aus einer anderen Generation.”
Unterwegs immer aufmerksam
Heute ist Tesmers Homosexualität für seine Eltern kein Thema mehr. „Ich habe keine Geschwister, das ist für Eltern dann schon schwierig. Bei meinen Eltern sind sicher Träume geplatzt, was zum Beispiel Enkelkinder angeht. Ich kann das verstehen, dass das für Eltern schwierig ist.” Das Verhältnis zu seinen Eltern sei jedoch nach wie vor sehr gut. „Sie haben meine Partner immer gut aufgenommen, das rechne ich ihnen hoch an.” Auch bei seiner Arbeitsstelle habe er noch keine Diskriminierung erlebt. Dennoch meint Tesmer: „Ich erfahre die gleiche Diskriminierung wie andere queere Menschen. Wenn ich zum Beispiel mit meinem Partner in der Öffentlichkeit Hand in Hand gehe, habe ich immer ein Auge auf andere Menschen.” Gerade nach zwei tätlichen Übergriffen auf schwule Männer im Dezember in Lüneburg sei er auch in der Stadt immer aufmerksam. Und auch ein „Schwule Sau” werde ihm mal hinterhergerufen. „Es gibt immer noch viele, die mit queeren Menschen ein Problem haben”, so seine Erfahrung, was man auch an krassen, negativen Kommentaren in den sozialen Medien sehen würde. Gerade deshalb ist ihm an der ehrenamtlichen Arbeit von „Queer in Lüneburg” gelegen. „Ich möchte akzeptiert werden, das erwarte ich auch von der Gesellschaft ”, meint er. „Wir müssen aufpassen, dass es sich nicht zurückentwickelt.” Angst als schwuler Mann in der Gesellschaft hat Alexander Tesmer nicht: „Ich bin kein ängstlicher Mensch, ich verstecke mich nicht. Das habe ich schon in meiner Kindheit und Jugend genug gemacht.” Es sei zwar immer ratsam, wenn man in der Gesellschaft auffalle, aufzupassen, wie die Stimmung sei. „Aber ich fühle mich grundsätzlich schon sicher.”
Bei „Queer in Lüneburg” haben alle den Anspruch, den Fokus auf das Verbindende, das Gemeinsame zu setzen. Da „queer” alle einschließt, die sich anders erleben, als die Norm es tut, gibt es auch in der Gruppe ganz unterschiedliche Menschen. Die früher gängige Einteilung in schwul, lesbisch, heterosexuell reicht nicht mehr aus, daneben gibt es noch viele andere Lebensformen. „Wir wollen dafür werben, dass jeder sein Privatleben leben darf, wie er will”, fasst Tesmer es zusammen.
- Am Samstag, 8. Februar, 16 Uhr wird im Fürstensaal des Lüneburger Rathauses der 21. Schwule Heidekönig gewählt. Gesucht wird der Nachfolger für König Keno I.. Zur Wahl stehen bisher zwei Kandidaten, man kann jedoch auch vor Ort noch kandidieren. Auch Politikerinnen und Politiker werden dabei sein. Im Anschluss an die Wahl findet ab 21 Uhr eine Krönungsparty im Strawberry Basement beim September statt. (JVE)
Fotos: Privat