Der Lüneburger Kinderarzt Dr. Thomas Struck hat in Malawi medizinisches Personal ausgebildet
Der Lüneburger Kinder- und Jugendarzt Dr. Thomas Struck ist seit einem Jahr im Ruhestand. Doch aufgehört hat er nur mit seiner Praxis: Gerade war der 63-Jährige im ostafrikanischen Malawi, um sein medizinisches Wissen an malawische Ärzte weiterzugeben.
Der afrikanische Kontinent ist für Thomas Struck seit langer Zeit ein Sehnsuchtsort. Durch Verwandtschaft vor Ort besuchte er schon als Kind Südafrika – in den sechziger und siebziger Jahren ungewöhnlich. Während seines Medizinstudiums verbrachte er nicht nur anderthalb Jahre an englischen Universitäten – der gebürtige Hamburger absolvierte Mitte der achtziger Jahre auch eine zweimonatige Famulatur, wie das Praktikum des Medizinstudenten genannt wird, im westafrikanischen Sierra Leone. Seine Frau, die Lüneburger Künstlerin Anja Struck, damals angehende Grundschullehrerin, begleitete ihn, um für ihre Examensarbeit über Afrika im Grundschulunterricht zu recherchieren. „Danach wollten meine Frau und ich eigentlich als christliche Entwicklungshelfer nach Afrika gehen”, erinnert sich Dr. Thomas Struck, doch das Leben habe sich anders entwickelt. Seit 1984 lebt er in Lüneburg, wo er 31 Jahre lang als niedergelassener Kinderarzt tätig war. Zuvor hatte er fünf Jahre in der Kinderklinik in Hamburg-Eppendorf gearbeitet.
Familie und „das Dorf“ halten alles zusammen
2012 war es schließlich soweit: Thomas Struck reiste das erste Mal als Arzt ins Ausland. Indem er eine längere Auszeit aus der Praxis in Lüneburg nahm, konnte er für die German Doctors auf die Philippinen gehen. Die ärztliche Hilfsorganisation ist in medizinischen Notstandsgebieten von Entwicklungsländern tätig, die Ärzte arbeiten ehrenamtlich dort, wo Hilfe gebraucht wird. Fünf Jahre später, im Jahr 2017, ging er für German Doctors nach Sierra Leone. Beide Male übernahm er für jeweils sechs Wochen die Patientenversorgung in einem Krankenhaus. Nach solchen Einsätzen, die Dr. Thomas Struck jedes Mal um einige Zeit fürs private Reisen vor Ort verlängerte, holte ihn der gewohnte Alltag in seiner Lüneburger Praxis immer schnell wieder ein. Doch der Kinderarzt machte sich so seine Gedanken. „Es geht mir immer so, dass ich denke, es geht uns hier unheimlich gut – ich freue mich über meine Dusche und dass in Deutschland alles sauber und geordnet ist”, erklärt der 63-Jährige. Bei der wiederholten Frage an ihn, ob die Menschen in diesen Ländern nicht an schrecklichen Krankheiten sterben würden, sehe er aber darüber hinaus etwas anderes, Positives, das für ihn sehr bedeutend sei: Die Menschen hätten einen ganz anderen sozialen Verbund, die Familie und die Dorfgemeinschaft hielten in diesen Kulturen alles zusammen. „Ich bin ja auch Psychotherapeut. Ich erlebe in Deutschland viel Elend und Traurigkeit bei Kindern und Jugendlichen, weil ihnen die familiären Bande fehlen”, erklärt er. Mehr gemeinsame Zeit in der erweiterten Familie habe er in seinem Berufsleben vielen Eltern nahegelegt. Dazu gehören auch Freunde und Nachbarn. Wie schon ein bekanntes afrikanisches Sprichwort sagt: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.”
Durch seine Aufenthalte in Entwicklungsländern verspürt Thomas Struck eine verstärkte persönliche Dankbarkeit und Lebensfreude – Themen, die im Lüneburger Alltag für ihn an Bedeutung gewannen. „Rückbezug zu gewinnen ist für mich ein religiöser Kontext”, so der Mediziner, der eine starke Bindung zur Kirche und zu seiner Lüneburger Kirchengemeinde hat, schon mehrmals einige Zeit im Kloster verbrachte. Eine Art „himmlischer Erdung” erlange er durch diese Auslandsaufenthalte, die ihn kritischer gegenüber Konsum und Medien gemacht hätten.
Ausbildung von Ärzten in Malawi
Nachdem Dr. Thomas Struck zweimal mit den German Doctors direkt Patienten im Ausland versorgt hatte, konzentrierte er sich bei seinem nächsten Einsatz im Jahr 2019 in Malawi auf die Ausbildung der Einheimischen vor Ort. Bei dem Projekt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bildete der Arzt in dem ostafrikanischen Land vier Wochen lang „Clinical Officers” aus – medizinisches Fachpersonal, aber keine Ärzte, die in fernab gelegenen Kliniken ärztliche Tätigkeiten übernehmen. Eine weitere Reise nach Malawi liegt gerade erst hinter dem Mediziner: Im Rahmen des IPUN-Projektes (International Pediatric Ultrasound Network) der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und internationale Kindergesundheit (GTP) hat Dr. Thomas Struck im Juni drei Wochen lang einen Ultraschallkurs für Kinderärzte in Malawi gegeben. In dieser Zeit wurden rund 50 Ärzte in drei Kursen von jeweils einer Woche in pädiatrischer Ultraschalldiagnostik unterrichtet. Statt selbst Patienten zu versorgen, wie er es zuvor für die German Doctors getan hatte, nun Kolleginnen und Kollegen weiterzubilden, hält Dr. Thomas Struck für nachhaltiger. „Diese Projekte sind für mich mit einer langfristigeren Wirkung verbunden. Anschließend können Untersuchungen und Behandlungen von lokalen Ärzten in ihrem Land durchgeführt werden“, erklärt der Mediziner. Finanziert werden diese Kurse durch Stiftungsgelder – inklusive Ultraschallgeräten, die in Malawi Mangelware sind. Mit den einheimischen Ärzten, die Thomas Struck in Malawi ausgebildet hat, hat er gerne zusammengearbeitet. „Das sind kluge, tolle Leute. Einige von ihnen wurden in Übersee ausgebildet. Sie kennen sich mit den örtlichen Gegebenheiten bestens aus”, erzählt er. Zusammen mit den Kollegen des IPUN-Projektes hat er malawische und tansanische Ärztinnen als Ausbilder mit in die Weiterbildung einbezogen „Die Idee ist, alles zunehmend in die Hand der Ärzte vor Ort zu geben.”
Not der
Entwicklungsländer
Dass Dr. Thomas Struck ein paar Jahre vor dem Rentenalter in den Ruhestand gegangen ist, liege auch darin begründet, dass er noch viel vorhabe, erklärt er. Tropenmedizin und globale Kindergesundheit ist eine seiner Passionen. Kontakt hält er nach seinen Auslandsaufenthalten mit Ärzten aus aller Welt. „Es war immer kollegial und nett mit den afrikanischen Kollegen”, erzählt er, „wir sind auch mal feiern gegangen. Man sollte sich aber an die lokalen Verhaltensregeln halten und zum Beispiel in Malawi nicht abends zu Fuß durch die Stadt gehen. Es ist dann einfach nicht mehr sicher auf den Straßen.” Afrika sei immer ein vernachlässigter Kontinent gewesen, der medizinische Standard in Asien zum Beispiel sei insgesamt deutlich höher, erklärt der Arzt. „Man findet in vielen Ländern Asiens oft gut ausgebildetes Personal.” Aber sowohl in Asien und eben noch mehr in vielen Ländern Afrikas sei die Schere zwischen Arm und Reich so groß. Viele Menschen hätten überhaupt keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Deshalb mache es Sinn, mit den Ärzten vor Ort Hilfe zu leisten. Nicht nur in Asien oder Afrika möchte Struck Mediziner ausbilden, auch im Inland. So hat er kürzlich angehende Allgemeinärzte in Niedersachsen in Kinderlungenkrankheiten weitergebildet. Aber die Not der Entwicklungsländer bewegt ihn – besonders in der Versorgung der Kinder. So erklärt er: „In Afrika ist das ein ganz anderes Altersspektrum. 50 Prozent der Bevölkerung sind unter 15 Jahren, bei uns sind das nur 15 Prozent. Und ganz Sierra Leone hat bei einer Bevölkerung von fast neun Millionen Menschen keine zehn Kinderärzte – Deutschland hat über 11.000!” So sähen in vielen afrikanischen Ländern einige Menschen in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Kinderarzt. „Kinderärzte sind eine Rarität, und wenn, dann sind sie nur in den Unikliniken in großen Städten.” Und auch hier sei das Elend groß, der Standard nicht mit dem Europas zu vergleichen. „Das sind schon ganz andere Verhältnisse. Ich musste erleben, wie einem Patienten unter der Hand wegsterben. In Sierra Leone sind mir teilweise fünf Kinder an einem Tag gestorben.“
Horizont erweitert sich
Auch wenn Thomas Struck und seine Familie, der neben drei Kindern inzwischen fünf Enkelkinder angehören, immer gerne und weit gereist sind, hängt sein Herz vor allem an Afrika. So bereisten sie auf dem Kontinent schon Uganda, Namibia, Marokko und Südafrika. Bei all seinen Tätigkeiten möchte er immer Hoffnung und Zuversicht vermitteln, erklärt der 63-Jährige. Die Aufenthalte hätten ihn Freude und Dankbarkeit gelehrt über das, was er habe – aber auch Weltoffenheit und keine Sorge und Vorbehalte gegen Menschen aus anderen Kulturen zu haben. „Ich war auch mein Leben lang in der Kirche aktiv. Mein Eindruck ist, bei religiöser Anbindung ändert sich die Perspektive, die Ich-Bezogenheit verliert sich.” Sein Horizont habe sich immer mehr erweitert: „Lebensfreude ist meine Einstellung, und dieses Positive möchte ich weitergeben.” Auf den Straßen Lüneburgs regelmäßig erkannt zu werden, liegt bei dem Kinderarzt auf der Hand – in seiner Lüneburger Kartei befanden sich weit mehr als 50.000 Patienten, die er in seiner Laufbahn gesehen hat. „Ich habe mehrere Generationen von Lüneburger Kindern behandelt und ihre Eltern beraten”, sagt er. Doch Ruhm und Bewunderung gegenüber seinen Tätigkeiten sind für ihn nicht entscheidend. So lieferte auch seine Lüneburger Praxis nie einen Hinweis auf seine Auslandstätigkeiten, und sei es nur durch Fotos. Eine Ehrung „von oben” erhielt Dr. Thomas Struck jedoch Ende 2023 von der Ärztekammer Niedersachsen: So wurde ihm für sein jahrelanges karitatives Engagement die höchste Auszeichnung der Ärztekammer Niedersachsen, die Ehrenplakette, verliehen. (JVE)
Foto: Andreas Tamme