Luca Gauer arbeitet für den Verein Schuldenhilfe Sofort

Einst arbeitete er beim Finanzamt in der Vollstreckung, heute berät er Menschen mit Schulden: Luca Gauer ist Schuldnerberater in Lüneburg.

Geld und Finanzen waren immer schon sein Gebiet. Deshalb war es für Luca Gauer zunächst nur logisch, beim Finanzamt eine Ausbildung zum Finanzwirt zu absolvieren. Doch die Arbeit beim Finanzamt erfüllte ihn nicht, stellte sich für ihn als seelenlos heraus. „Es war nicht meins. Irgendwann musste ich in die Vollstreckungsstelle, habe jeden Tag Konten geschlossen und war bei Vollstreckungen dabei”, erzählt der 29-Jährige aus Stelle. „Das war nicht schön.” Besonders einschneidend sei für ihn eine Barpfändung im laufenden Betrieb eines Unternehmens gewesen, bei dem Geld direkt aus der Kasse gepfändet wurde. So beschloss er, sich ein neues Betätigungsfeld zu suchen. Nach einer Zeit in der Bauwirtschaft reifte in ihm der Wunsch, mit Finanzen zu tun zu haben und gleichzeitig beratend mit Menschen. „Ich suchte etwas Sinnstiftendes”, erinnert er sich. Seine damalige Partnerin war es, die ihm riet: „Dann werd doch Schuldnerberater!”

Seit zwei Jahren arbeitet Luca Gauer inzwischen bei der Schuldnerberatung Schuldenhilfe Sofort e.V. in Lüneburg als Teamleiter und Berater. Der gemeinnützige Verein ist eine anerkannte Schuldnerberatungsstelle des Landes Niedersachsen, die im Auftrag des Landkreises Lüneburg tätig ist. Jeder, der nicht mehr weiß, wie er aus eigener Kraft seinen Schuldenberg beseitigen soll, kann die Schuldnerberatung aufsuchen. Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Schuldnerberatungsstellen ist Schuldenhilfe Sofort eine „soziale Schuldnerberatung”. „Jeder mit Anspruch auf Prozesskostenhilfe kann zu uns kommen”, erklärt Gauer. Für diesen Personenkreis sei nicht nur das Erstgespräch kostenlos, sondern die gesamte Beratung. Nur sehr wenige in der Beratung seien so gut situiert, dass sie die Beratung selbst zahlen müssten.

Der Karriereweg zum Schuldnerberater ist nicht einheitlich – in Deutschland ist es kein Ausbildungsberuf. Voraussetzung für die Mitarbeit beim Verein Schuldenhilfe Sofort ist entweder eine Ausbildung im Finanzbereich oder eine sozialpädagogische Ausbildung. Luca Gauer hatte als gelernter Finanzwirt gute Voraussetzungen in Sachen Finanzen, Neuland war für ihn das Sozialrecht. „Für die Schuldnerberatung braucht man immenses Wissen”, erklärt der Berater. Deshalb hat er, wie die meisten bei der Schuldenhilfe, innerhalb von einem Jahr eine zertifizierte Weiterbildung zum Schuldner- und Insolvenzberater über die Hochschule Koblenz gemacht. Außerdem erhalten die Mitarbeitenden einmal im Monat eine Rechtsschulung durch Rechtsanwälte.

Erfahrungsschatz im Kollegenkreis

Schuldenhilfe Sofort hat in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein insgesamt sechs Standorte – neben Lüneburg sind das Winsen und Buchholz, Hamburg-Neugraben und -Eimsbüttel sowie Schenefeld. Die meisten – wie auch Luca Gauer – arbeiten hauptberuflich bei der Schuldnerberatung, daneben gibt es Teilzeitkräfte, Ehrenamtliche und Praktikanten. Die Qualifikationen der Mitarbeitenden sind bunt gemischt: Neben Kolleginnen und Kollegen, die wie Luca Gauer vom Finanzamt kommen, haben einige zuvor in Banken oder als Investmentbanker gearbeitet. Auch Sozialpädagogen, Psychologen und Juristen arbeiten hier. So spielt auch der Erfahrungsschatz im Kollegenkreis für alle eine wichtige Rolle.

Einen typischen Ratsuchenden gibt es nicht – Schulden zu haben zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Luca Gauers Erfahrung: „Schulden ist eins der am meisten verschwiegenen Themen – es tritt gesamtgesellschaftlich auf.” Die häufigsten Gründe, warum jemand sich verschulde, seien Krankheit, Jobverlust, Trennung und Scheidung. Wer die Beratung durch den Verein Schuldenhilfe Sofort sucht, erhält immer ein kostenloses Erstgespräch. Luca Gauer weiß: Wer es geschafft hat, die Schuldnerberatung anzurufen, hat die größte Hürde bereits genommen. Wer von einer Notlage betroffen ist, zum Beispiel bei einer drohenden Räumungsklage oder Energiesperre, erhält schnellstmöglich einen Beratungstermin, alle anderen innerhalb von rund zwei Wochen. „Man muss am Telefon abwägen, wie sehr es brennt”, erläutert der Schuldnerberater. Beim ersten Gespräch verschaffen sich die Berater zunächst einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Ratsuchenden. „Es geht darum, die Existenzgrundlage zu erhalten. Zum Beispiel gibt es unpfändbare Beträge. Dann muss man sondieren, was gangbare Wege sind – das kann eine Stundung der Schulden oder eine Einigung sein. Es muss nicht immer die Privatinsolvenz sein”, erklärt der Berater. In der Schuldnerberatungsstelle erstellen der 29-Jährige und sein Team Refinanzierungspläne und geben Tipps zur wirtschaftlichen Haushaltsführung. „Wir wollen Informationen bereitstellen, um die Leute zu bemächtigen.” Oft würden Personen die Schuldnerberatung jedoch zu spät aufsuchen, zum Beispiel wenn schon Pfändungen stattfinden oder das Konto kurz vor der Schließung steht.

So verschieden die Probleme sind, mit denen die Menschen die Schuldenhilfe aufsuchen, so unterschiedlich müssen Luca Bauer und seine Mitstreiter sie auch behandeln. „Die Verschuldungssituation ist in der Regel nur ein Symptom, oft steckt mehr dahinter”, weiß er. Oft sei eine zusätzliche sozialpädagogische Beratung notwendig. „Wieso trauen sich Leute nicht mehr an den Briefkasten und haben eine Angststörung entwickelt?” Manchen Menschen müsse man mehr abnehmen, während andere sich selbst helfen könnten. So kämen in die Schuldnerberatungsstelle immer wieder Migranten, die sich aufgrund von mangelnden Deutschkenntnissen verschuldet haben. Es scheitere oft an Kleinigkeiten wie einem fehlenden Verständnis für das in Deutschland übliche Abrechnungssystem mit Strom- oder Energieversorgern. Rentner hingegen gerieten oft aus Unwissen durch die Nachforderung von Steuern in die Bredouille. Jugendliche hingegen verschuldeten sich durch Käufe mit Zahlungsdiensten wie Paypal oder Klarna, bei denen oft intransparente Kreditkosten entstünden. Bei Eheleuten seien ein häufiger Grund für Verschuldung Unterhaltszahlungen. Daneben gebe es natürlich auch sozial Benachteiligte oder Menschen mit Suchterkrankungen, die in Schulden gerieten.

Arbeit mit Partnerträgern

Da bei vielen Ratsuchenden nicht nur eine finanzielle Beratung vonnöten ist, arbeitet die Schuldnerberatungsstelle Schuldenhilfe Sofort eng mit zahlreichen Partnerträgern in Lüneburg zusammen, zum Beispiel mit sozialen und familiären Beratungsstellen, der Drogen- und Suchtberatung, aber auch den Jobcentern, wo der Verein einmal monatlich eine offene Beratung anbietet. So könne man erst die Situation stabilisieren und sich dann dem Hauptproblem widmen, erklärt Gauer.

Bei all den Schicksalen und Problemen der Ratsuchenden ist es für den Schuldnerberater nicht immer leicht, sich abzugrenzen. „Es ist schon vorgekommen, dass mir Fälle besonders nahegingen, vor allem wenn sie nah an meiner eigenen Lebensrealität waren”, erzählt Gauer. Es sei dann hilfreich, darüber im Team zu sprechen. „Ich reiche die Hand und tue mein Bestes, aber ich kann nicht das Leben für andere Menschen leben.” Um die Menschen nicht von oben herab zu beraten, gibt er auch mal persönliche Erfahrungen preis und erzählt von sich. „Viele kommen buchstäblich auf Knien gerutscht zu uns. Da ist es dann schon entlastend, wenn ich klar mache, dass jeder im Leben schon mit Schulden zu tun hatte.” In der Beratung seien schon viele Tränen geflossen. „Es ist nicht selten, dass im Umfeld der Person niemand von den Schulden weiß. Das ist ein sehr schambehaftetes Thema. Dabei ist es etwas ganz Normales – wir leben in einem Schuldgeldsystem”, sagt Luca Gauer.

Neben den Außensprechstunden bei Partnerträgern kann sich jeder Ratsuchende direkt einen Termin bei Schuldenhilfe Sofort holen. Jeden Dienstag in der Zeit von 9 bis 15 Uhr ist außerdem offene Sprechstunde, zu der man ohne Anmeldung kommen kann. Wenn es nötig ist, begleiten die Schuldnerberater auch bis zur Schuldenfreiheit. Doch zunächst geben sie den Ratsuchenden entscheidende Informationen an die Hand. Das Kernteam in Lüneburg besteht aus vier Mitarbeitenden, wobei man keinem festen Sachbearbeiter zugeteilt wird. „Man wird vom selben Team, aber nicht von einem Berater betreut”, erklärt Gauer. „Das hat auch einen Qualitätshintergrund, so gucken verschiedene Berater auf einen Fall.”

Rechtsnahe Beratung

Da die Berater immer wieder auf persönliche Situationen stoßen können, mit denen sie sich nicht auskennen, ist der Austausch im Team, auch mit den anderen Standorten, von großer Bedeutung. Dennoch kann die Schuldenhilfe nur eine rechtsnahe Beratung geben, keine Rechtsberatung. Die Schuldnerberater geben bei ihren Partnerträgern auch so genannte Multiplikatoren-Schulungen, um sie zu einer ersten Hilfe bei verschuldeten Personen zu befähigen. Sie geben außerdem Schulungen für Streetworker und im Jobcenter mit dem Einmaleins der Schuldenprävention. Und Luca Gauer war schon an den BBS und im Jugendzentrum, um finanzielle Inhalte und sinnvolle Haushaltsführung zu vermitteln.

Luca Gauer hat seinen Seitenwechsel vom Finanzamt zur Schuldnerberatung nicht bereut. „Es ist eine sehr vielfältige und sinnstiftende Arbeit, man ist mitten im Leben.” Seine Tätigkeit könne er jedem empfehlen, zumal die Nachfrage gestiegen sei – nicht zuletzt durch die Inflation und den Kaufkraftverlust der vergangenen Jahre. „Klar gehen einem gewisse Fälle sehr nahe, aber Unterstützung geben zu können ist tröstlich.” (JVE)

Foto: Heribert Eickholt

Vom Finanzamt zur Schuldnerberatung
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