Thorben Peters leitet seit einem Jahr die Herberge plus in Lüneburg
Wohnungslosigkeit kann viele Ursachen haben. Ebenso viele Vorurteile gegen Menschen ohne Obdach sind verbreitet. Einer, der gegen diese Stigmata angehen möchte, ist Thorben Peters, der mit obdachlosen Menschen arbeitet. Der 36-Jährige leitet seit einem Jahr die Herberge plus des Lebensraums Diakonie in Lüneburg.
Bevor Thorben Peters sich auf die Leitungsposition der Herberge plus bewarb, dachte er noch, die Stelle sei eine Nummer zu groß für ihn. Dabei bringt er reiche Erfahrung aus der sozialen Arbeit mit. Geboren in Hamburg und aufgewachsen in Schwarzenbek, lebt Peters seit 2007 in der Stadt Lüneburg, wohin er zum Studieren kam. An sein Bachelorstudium der Sozialen Arbeit hängte er noch einige Jahre Masterstudium der Bildungs- und Erziehungswissenschaft an. Zusätzlich engagiert er sich seit seinen Studienzeiten politisch, war AStA-Sprecher an der Uni und Teil der linken Hochschulgruppe. Für die Partei Die Linke war er seit 2013 im Kreisvorstand, später Kreisvorsitzender. Seit 2023 ist Thorben Peters Landesvorsitzender der Partei Die Linke in Niedersachsen. Zusätzlich zu seiner 35-Stunden-Stelle bei der Herberge plus gehen viele Stunden seiner Freizeit für sein politisches Engagement drauf. Vor seiner Stelle für die Diakonie war Thorben Peters 14 Jahre in der Jugendarbeit tätig. Schon als Student hatte er mit der Jugendarbeit begonnen, Jugendgruppenleiterausbildungen geleitet und war vielerorts als Betreuer tätig. Zuletzt arbeitete er als Projektkoordinator für den Stadtjugendring, für den er noch ehrenamtlich tätig ist. Weil die Finanzierung der Projekte jedes Jahr neu beantragt werden musste und so keine sichere, langfristige Planung möglich war, beschloss Thorben Peters, sich beruflich umzuorientieren. Er ließ den Job im Sommer 2022 auslaufen, war einige Monate arbeitslos. Dann half ihm der Zufall: Auf einer von Peters organisierten Friedensdemo lief ihm der Diakonie-Vorsitzende Michael Elsner über den Weg. „Er hat mich angesprochen, ob die freie Leitungsposition der Herberge plus nicht etwas für mich wäre”, erzählt Thorben Peters. „Ich habe sehr geschmunzelt und das erst nicht so richtig ernst genommen. Ich hatte noch nie in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet und hatte großen Respekt vor der Arbeit.” Es folgten mehrere Treffen, Gespräche und Hospitationen, bevor Thorben Peters sich schließlich vorstellen konnte, sich auf die freie Stelle zu bewerben. „Ich komme aus der Jugendarbeit, aber aufgrund meiner Arbeit mit Jugendlichen und meinem politischen Engagement als Linker habe ich mir im Umgang mit schwierigen Persönlichkeiten Erfahrung angeeignet”, meint der 36-Jährige. Auch der Umgang mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei für ihn nichts Neues, da er auch beim AStA in leitender Funktion mehr als 30 Angestellte gehabt habe.
50 Schlafplätze
Im Januar 2023 trat Thorben Peters seine neue Stelle als Leiter der Herberge plus in Lüneburg an. Ihm war klar: Hier arbeiten 30 Kolleginnen und Kollegen mit hundert Klientinnen und Klienten, meist Menschen mit großen Problemen, unter undankbaren Bedingungen, da die Hilfesysteme rundum stark belastet sind. Dennoch sagt er nach einem Jahr: „Es ist ein tolles Team, macht großen Spaß und man kann viel Positives bewirken. Es ist anstrengend, alles unter einen Hut zu bringen, aber es ist eine sehr sinnstiftende Arbeit.” Auch wenn Peters selbst keine Klienten betreut, setzt er sich viel mit ihnen auseinander, übernimmt vermittelnde Arbeit, führt Gespräche nicht nur mit den Kolleginnen und Kollegen, auch mit Behörden, der Polizei, der Psychiatrischen Klinik. Die Herberge plus gliedert sich in drei Bereiche. Der erste Bereich ist das Obdach. 50 Schlafplätze gibt es hier, in Notfällen werden auch mehr Menschen aufgenommen, die aber dann zeitnah in der städtischen Unterkunft in Rettmer unterkommen sollen. „Wir sind übervoll, immer zu mehr als hundert Prozent”, meint Peters. Die Nachfrage habe über die Jahre zugenommen und sei in der kalten Jahreszeit stärker. Der zweite Bereich ist die stationäre Hilfe, die als langfristige Hilfe angelegt ist. Die Klientinnen und Klienten haben hier immer einen Sozialarbeiter in der Nähe und erhalten Hilfe bei Behördengängen und medizinischen Fragen. In einem Hilfeprozess soll für die Klienten eine Perspektive aufgebaut werden mit dem langfristigen Ziel, ein selbstbestimmtes Leben in einem abgesicherten Wohnraum führen zu können. Der dritte Bereich, der in der Öffentlichkeit am sichtbarsten ist, ist die Streetwork-Arbeit, die in Abstimmung mit Behörden, Institutionen und Kooperationspartnern durchgeführt wird. Die Streetworker suchen Menschen auf, die auf der Straße leben und meist dem Drogenklientel angehören. Sie suchen das Gespräch, bieten Unterstützung an, organisieren medizinische Hilfen.
Letztes Netz und Ausfahrt
Thorben Peters als Leiter der Herberge plus überschaut alle diese Bereiche, begleitet Kollegen, berät sich mit ihnen. Genug Zeit für die Schreibtischarbeit bleibt ihm dabei nie. Auch wenn sein Resümee nach einem Jahr positiv ausfällt, stimmt ihn seine Arbeit oft nachdenklich. „Ich bin auf einen Beruf gestoßen, der unter schwierigen Bedingungen stattfindet. Wohnungslosigkeit, psychische Probleme und Drogenkonsum treten oft in Kombination auf. Es ist eine schwierige Arbeit, sich auf diese Biografien einzulassen. Dabei nicht das Pathos zu verlieren, davor habe ich Respekt. Es lässt einen viel nachdenken über gesellschaftliche Probleme.” Dem Sozialarbeiter ist klar, dass sie nicht allen Klienten aus ihrer Not helfen können. „Wir sind letztes Netz, aber auch Ausfahrt für die Menschen”, meint er und erklärt weiter: „Von acht Klienten geht es mit vieren voran, bei zweien dreht es sich im Kreis und bei zweien wird die Verschlechterung nur ausgebremst.” Um viele Baustellen anzugehen und Verbesserungen anzustreben, wagt die Diakonie nun den Schritt, für die Herberge plus einen Neubau zu errichten. So sollen nach dem Abriss des alten Holzhauses hinter dem Haupthaus Beim Benedikt 11 insgesamt 36 neue Wohneinheiten entstehen – 20 als sozialer Wohnraum, 16 für die stationäre Hilfe für Wohnungslose. „Das ist ein großer Schritt”, meint Thorben Peters. „Wir haben uns auf den Weg gemacht und können einiges schaffen.” Ein großes Anliegen ist dem Sozialarbeiter auch der Abbau von Vorurteilen in der Gesellschaft. „Es kann jedem Menschen passieren, dort zu landen, wo wir sind. Es ist sehr bequem zu sagen, die Leute haben selber Schuld. Diese Menschen haben Rechte, und ihnen muss geholfen werden, diese Rechte wahrzunehmen.” Das Klientel, mit dem er in der Herberge plus zu tun hat, war ihm auch zuvor nicht unbekannt. „Ich habe meine Vorurteile schon vor einigen Jahren abgebaut, als ich eine Mieterinitiative in Kaltenmoor gegründet habe. Dort war auch eine soziale Verwahrlosung sichtbar.” Rund 500 Menschen in Lüneburg sind wohnungslos. Mit der Situation in Großstädten sei die in Lüneburg jedoch nicht vergleichbar, meint Peters. So sei Hamburg völlig überrannt, man komme leichter an Drogen – aber auch an Jobs und Hilfesysteme. „Mancherorts sind die Bedingungen zur Unterbringung so schlimm, dass obdachlose Menschen die Straße vorziehen. Das ist bei und nicht so”, ist Thorben Peters überzeugt. „Leute, die auf der Straße schlafen, tun das in Lüneburg in der Regel aus ganz anderen Gründen.” Durch die Hilfsangebote von drobs, Psychiatrischer Klinik und Klinikum sei Lüneburg gut aufgestellt. Einige Menschen kämen auch aus Hamburg nach Lüneburg oder gingen dahin zurück, weiß er. Denn grundsätzlich könne man sich obdachlos erklären, wo man wolle. „Der Notzustand der Obdachlosigkeit ist ein Ordnungsrecht. Das heißt, es wird geholfen – Punkt.” Die Hilfe suchende Person bekomme zunächst ein Bett und erhalte nach einem Besuch beim Sozialamt entweder eine Zuweisung zur Herberge plus oder zum Obdach in Rettmer. Nicht viele Leute blieben in Lüneburg auf der Straße, da die Zustände in der Herberge plus in Ordnung seien – die Unterbringung erfolge in Doppelzimmern mit Bett, und die ersten drei Tage erhalte man Essen, bevor alles Weitere geklärt und Hilfe in die Wege geleitet werde. Finanziert wird dies auch durch Spendengelder.
Traurige Lebensschicksale
Zweimal in der Woche gibt es beim Clearing Gespräche mit neuen Klienten, bei denen erörtert wird, inwieweit sie sich um sich selbst kümmern können. Die Gründe für ihre Obdachlosigkeit sind vielfältig: „Es ist selten, dass Leute einfach Pech hatten. Am häufigsten sind Streit mit Vermietern oder der Nachbarschaft, dann Trennung und Scheidung. Oder sie werden aus anderen Hilfeeinrichtungen entlassen, ihre Leistungen laufen aus und sie haben finanzielle Probleme – auch bei der Entlassung aus Therapien, Entgiftungen oder dem Gefängnis”, erklärt Thorben Peters. „Für mich ist das eine gescheiterte Sozialpolitik, wir sind kein gesunder Ort.” Einige Fälle nehme er schon abends gedanklich mit ins Bett, meint der Sozialarbeiter, auch wenn er versuche, sich davon abzugrenzen. Doch Vorfälle wie Suizide oder andere Todesfälle im Haus lassen niemanden kalt. „Wir organisieren für diese Menschen eine Trauerfeier, aber manchmal kann keiner etwas zu ihnen sagen. Darüber denke ich viel nach”, erzählt er. Auch wenn sich Menschen herablassend über arme Menschen äußerten oder von der „sozialen Hängematte” redeten, könne er das nicht ertragen. „Es geht hier um tieftraurige Lebensschicksale.” Seine Arbeit bestätige ihn einmal mehr bei seinem politischen Engagement. „Armut ist in diesem reichen Land ein Thema. Ich bin froh, dass ich in dieser sozialen Frage etwas bewegen kann.” Auch die Herberge plus ist auf Spenden angewiesen, nicht nur für den Neubau, auch für das Bestreiten des Alltags der Klienten, zum Beispiel für die Beschaffung von Bahnfahrkarten und Medikamenten. Eine Besonderheit bei der Herberge plus ist, dass eine Ärztin einmal pro Woche ehrenamtlich für medizinische Beratung aufs Gelände kommt – gut für die Klienten, die oft nicht einmal den Gang zum Arzt noch schaffen. „Das ist zivilisatorischer Mindeststandard. Jeder kann selbst entscheiden, in welcher Form man sich helfen lässt”, meint Peters. Auch wenn es oft nicht leicht sei, sich durch die Irrungen und Wirrungen der deutschen Vorschriften, Rechte und Gesetze zu kämpfen, sind für ihn nicht die bürokratischen Hürden das größte Problem. „Die größte Hürde ist mangelnder Wohnraum – und die Einstellung, die Leute seien selbst schuld an ihrer Armut.” (JVE)
Foto: Herberge Plus