
Vorurteilen behaftet – ist: Lil-Nantje Kirchner aus Uelzen ist Poledance-Tänzerin. Für ihren Sport nimmt sie weite Fahrtwege in Kauf.
Ursprünglich tanzte die Uelzenerin seit einigen Jahren Ballett. Als sie für ihre Ausbildung zur Erzieherin vor fünf Jahren nach Hamburg ging, setzte die heute 24-Jährige ihren Wunsch um und suchte sich eine Möglichkeit, das Poledancing kennenzulernen. „Ich wollte es immer mal ausprobieren”, erzählt Lil Kirchner. In Hamburg bot sich die Gelegenheit, denn das Studio, in dem sie den Sport testen wollte, war nur fünf Minuten von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Sie belegte einen Anfängerkurs – und blieb seitdem beim Poledance. Poledancing erfreut sich in Deutschland wachsender Beliebtheit. Über den Ursprung wird in der Pole-Community heiß diskutiert. Es wird oft mit Stripclubs in den USA in Verbindung gebracht, wo die Tänzerinnen „Exotic Pole” tanzten und woraus sich andere Stile entwickelten. Der aus der asiatischen Akrobatik stammende Stangentanz männlicher Ringer hat mit dem heutigen Poledance nicht mehr viel zu tun.
Kraft und Ausdauer
Beim Poledance gilt es, an einer senkrechten, meist zwischen Boden und Decke befestigten Stange, die sich in der Regel dreht, verschiedene akrobatische Übungen zu vollführen. Sich aus eigener Kraft an der Stange zu halten, erfordert Übung, weshalb Lil Kirchner jedem einen Kurs zum Einstieg empfehlen würde. „Es ist schon herausfordernd – und auch der Sicherheitsaspekt sollte nicht aus den Augen gelassen werden”, meint sie. So beginne man mit bodennahen Übungen und Basics für Anfänger, bevor es an schwierigere Tricks gehe, bei denen man sich auch mal kopfüber an der Stange halte. „Vieles baut aufeinander auf”, erklärt sie. „Elementar wichtig ist das Klettern.” Doch bevor man mit den Übungen an der Stange beginne, sei das Aufwärmen aller Körperbereiche wichtig. Was oft unterschätzt werde, sei die Muskelkraft, die für den Sport gebraucht werde, erklärt die Tänzerin – besonders die der Bauchmuskeln. „Bei uns im Studio wird gezieltes Muskeltraining mit eingebaut. Aber ich mache noch zusätzlich Kraftsport”, erklärt sie. Obwohl Lil Kirchner schon vor drei Jahren, nach dem Abschluss ihrer Ausbildung, wieder zurück nach Uelzen zog, ist sie ihrem Studio in Hamburg bis heute treu geblieben. Knapp hundert Kilometer Autostrecke pro Weg nimmt sie dafür in Kauf. Neben ihrem Beruf als Erzieherin in Bienenbüttel schafft sie es deshalb meist nur noch einmal die Woche ins Studio. Lil Kirchner fährt meist samstags zu ihrem Kurs nach Hamburg. Inzwischen ist sie in der Stufe „Pole Gym 2” angekommen, in ihrem Studio gibt es drei Levels. An den Tagen dazwischen trainiert sie zu Hause an ihrer eigenen Stange. Hier bereitet sie sich auch auf Meisterschaften und Wettkämpfe vor, an denen sie regelmäßig teilnimmt. „Zu Hause habe ich nicht die Deckenhöhe wie im Studio, da ist sie doppelt so hoch. Deshalb geht das Üben zu Hause schlechter”, erklärt sie. Mit anderen Tänzerinnen miete sie sich deshalb zur Wettkampfvorbereitung auch mal einen Übungsraum im Studio.
Es gibt unzählige Tricks
Bei der Anschaffung der eigenen Stange für zu Hause hat sie sich von Trainerinnen beraten lassen. „Bei der Stange muss man auf Qualität achten und nicht einfach eine bei Amazon bestellen”, rät sie. Die angebotenen Poledance-Stangen würden sich in Material – zum Beispiel Chrom oder Edelstahl – und in der Dicke unterscheiden. „Ich mag lieber dünnere Stangen, aber daran scheiden sich die Geister”, meint sie. Ihre Poledance-Stange zu Hause ist fest zwischen Decke und Fußboden gespannt. Die sollte man auch mal nachziehen, denn durch Temperaturunterschiede könne sie sich lockern, erklärt die Uelzenerin. Matten hat sie in ihrem Zuhause nicht unter der Stange liegen. „Ich falle nicht”, meint sie. Wichtig sei jedoch im Training, dass jemand dabeisteht und das Training begleitet. So gehe der Trainer im Kurs herum und gebe Hilfestellung und Impulse zur Orientierung bei Übungen über Kopf. Die einstündige Kursstunde sei für Einsteiger von der Anstrengung her belastend genug, auch wenn sie durch den Kraftsport Anstrengung gewöhnt sei, erzählt Lil Kirchner. „Mal werden die Arme, mal die Beine mehr belastet”, erklärt sie. „Es gibt unzählige Tricks. Man lernt nie aus, auch nach Jahren nicht.” Schon ein Jahr nach dem Einstieg in den Sport begann sie, an Poledance-Wettbewerben teilzunehmen. „Die Herausforderung hat mich gereizt. Ich habe das vorher schon bei einer Freundin gesehen.” Die Anmeldung erfolge in der Regel nach Leistungs- und Altersklassen. „Manchmal muss man für die Bewerbung auch ein Video einschicken”, erklärt sie. Ihr erster Wettbewerb war die Aerial Amity Art in Baden-Württemberg, auf den sie sich ein halbes Jahr vorbereitete. Innerhalb eines festen Regelwerks konnten die Teilnehmer ihr drei- bis vierminütiges Programm hierfür selbst gestalten. „Bei der ersten Choreographie hat mir noch eine
Trainerin geholfen, dann kommt man da so rein”, sagt sie. Die Teilnahme an Wettbewerben ist für sie wichtig, und auch die Aufregung im Vorfeld gehöre dazu, um das Ganze ernst zu nehmen. Bei sechs Wettkämpfen war sie schon dabei, zuletzt im Juli bei den Nordic Pole Plays in Hamburg. Bei den Gravity Art Games in Darmstadt erreichte sie den dritten Platz in ihrer Kategorie „Pole Single Beginner”. Auch an einem Wettbewerb in Österreich hat sie schon teilgenommen.
Eigene Energie bei Wettkämpfen
Die Atmosphäre bei den Wettkämpfen gefällt der 24-Jährigen besonders gut. „Die Pole-Community ist total offen, man kommt mit jedem ins Gespräch und kann schnell Kontakte schließen”, meint sie. Inzwischen kenne sie bei den Meisterschaften schon einige Gesichter. „Es ist eine ganz eigene Energie, die da herrscht. Es ist immer jeder willkommen und sehr herzlich.” Ihr Mann begleitet sie zu den Wettkämpfen – er muss aber im Zuschauerraum bleiben. Welche Voraussetzungen sollte man für den Sport mitbringen? „Spaß an der Bewegung und man muss sich darauf einlassen können”, erklärt Lil Kirchner. Koordination und Körperkontrolle kämen bei dem Sport von selbst. Als Tänzerin oder Tänzer an der Stange müsse man auch nicht besonders schlank sein. „Ich bin keine 90-60-90-Kandidatin, und ich kenne auch Mehrgewichtige, die Poledance machen. Das sollte niemanden davon abhalten.” Für die meist leichte Bekleidung der Tänzerinnen und Tänzer gibt es eine einfache Erklärung: „Man braucht die Haut als Kontaktpunkt, man hält sich oft mit Hautkontakt an der Stange.” Manche Tricks seien dadurch am Anfang zwar schmerzhaft, aber man gewöhne sich daran. Die Haut einzucremen, auch schon einen Tag vorher, werde auf keinen Fall empfohlen, für den besseren Halt gibt es außerdem ein Gripmittel. Die extra für den Sport entworfene Pole-Kleidung besteht aus einer knappen High-Waist-Hose und Sport-BH.
Komplexer, als man denkt
Für den Poledance-Sport scheinen sich noch mehr Frauen als Männer zu begeistern, so Lil Kirchners Eindruck. So gebe es in ihrem Studio und bei Wettbewerben immer mehr Frauen als Männer. Vom Alter her sei der Sport jedoch sehr durchmischt. „Wir haben im Studio alles dabei. Manche kommen erst spät auf den Sport, wir haben auch Ü50-Sportlerinnen”, sagt die Tänzerin, die sich auch schon zur Trainerin hat ausbilden lassen. Bei Lil Kirchner liegt der Spaß am Poledance in den immer neuen Herausforderungen. „Man stagniert nicht, man hat immer etwas Neues, das man ausprobieren kann, es gibt immer wieder neue Variationen.” Um sich eigene Ziele zu stecken, hat die Uelzenerin eine Liste erstellt mit den Tricks, die sie noch lernen möchte. „Ich habe sie schon mal im Unterricht gemacht, aber ich arbeite daran, dass sie noch besser werden.” Insgesamt habe sie sich den Sport einfacher vorgestellt – er sei wesentlich komplexer, als man denkt. Lil Kirchner ist daran gelegen, Poledance als Sport noch bekannter und beliebter zu machen. Auch deshalb hat sie den Organisatoren des Dance-Battles „Style of You” in Uelzen vorgeschlagen, bei der Veranstaltung mitzumachen. An einer mobilen Stange mangelt es der 24-Jährigen nicht: Mit ihrer auf einem Plateau befestigten Stange kann sie auf jeder ebenen Fläche auftreten. Die heißen Sommertage, die nun langsam der Vergangenheit angehören, gefallen nicht jedem, der Poledance ausübt. „Einige mögen den Sport mehr im Sommer, einige mehr im Winter. Im Sommer ist es schwitziger, aber ein leichter Schweißfilm ist besser und hält gut. Wenn es zu trocken ist, hat man keinen richtigen Halt.” (JVE)