Stefan Wahlefeld arbeitet ehrenamtlich für den Weißen Ring

Sie sind keine Therapeuten und keine Anwälte, doch ihre Arbeit ist immens wichtig für Menschen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Der Weiße Ring ist die größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität und Gewalt. Der Lüneburger Dr. Stefan Wahlefeld ist ehrenamtlich für den Verein tätig.

Der Weiße Ring hat sich zwei Aufgaben verschrieben. Im Rahmen der Opferhilfe geben die bundesweit rund 3.000 Ehrenamtlichen in 400 Außenstellen Beratung und Betreuung. Der zweite große Bereich ist die Prävention: Mit gezielten Kampagnen in der Öffentlichkeit sollen Straftaten von vornherein verhindert werden. An den Weißen Ring können sich alle wenden, die Opfer einer Straftat geworden sind – unabhängig davon, ob sie Strafanzeige erstattet haben oder wie lange die Tat zurückliegt. Über das zentrale Opfertelefon 116 006 werden die Betroffenen zur zuständigen Außenstelle weitergeleitet, die im Internet auch direkt zu finden ist. Am Telefon ist keine detailreiche Beschreibung der Straftat notwendig, sie spielt auch für die weitere Betreuung keine Rolle. In der Regel folgt ein Gesprächstermin in der nächstgelegenen Außenstelle. Hier kommt Stefan Wahlefeld zum Einsatz. Der 37-Jährige ist einer von zurzeit drei Ehrenamtlichen, die in der Außenstelle Lüneburg an der Wallstraße tätig sind. Der gebürtige Bremer lebt seit 2019 in Lüneburg und kam schon 2012 zum Weißen Ring – zunächst in seinem damaligen Wohnort Berlin, seit 2019 in Lüneburg. „Ich stand am Ende meines Studiums und am Anfang meiner Promotion und habe mir angesichts von Plagiats- und Betrugsaffären, die durch die Presse gingen, die Frage gestellt: In welcher Form der Gesellschaft möchtest du leben?”, erzählt er. Er machte sich auf die Suche nach einem Ehrenamt, das zu seinen Arbeitszeiten passte und wurde durch eine Anzeige auf den Weißen Ring aufmerksam.

Grundseminar und Fortbildungen

Wer sich für die ehrenamtliche Mitarbeit beim Weißen Ring interessiert, wird zunächst zu einem Gespräch und zu einem Teamtreffen vor Ort eingeladen. Von Vereinsseite ist es vorgesehen, dass die Ehrenamtlichen bei der zu ihrem Wohnort gehörenden Außenstelle tätig sind, um lange Wege zu vermeiden. Damit man eine Vorstellung von der Tätigkeit hat, gehen die Interessenten bei mindestens drei Fällen zum Hospitieren mit. „Das Hospitationsverfahren hat mir sehr gut gefallen, deshalb bin ich dabeigeblieben”, berichtet Stefan Wahlefeld. Nach der Hospitation besuchen die zukünftigen Ehrenamtlichen das Grundseminar des Weißen Rings, das über ein Wochenende geht. Hier lernen die Teilnehmenden das Handwerkszeug für ihr späteres Ehrenamt, dazu gehören Informationen aus den Bereichen Recht, Psychologie und Trauma. Alle Kosten für seine Ehrenamtlichen übernimmt der Weiße Ring, der sich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge, aber auch durch Erbschaften finanziert. Nach dem Besuch des Grundseminars ist die eigenständige Betreuung von Fällen möglich, nach einiger Zeit sollte das Aufbauseminar besucht werden so wie in regelmäßigen Abständen weitere vertiefende Fortbildungen des Weißen Rings. Auch Stefan Wahlefeld hat bereits verschiedene Fortbildungen beim Weißen Ring gemacht, zum Beispiel zu häuslicher Gewalt, zum neuen Sozialgesetzbuch, zu körperlichen Schäden nach Straftaten sowie zu Kommunikation. „Wir sollten alle zwei Jahre eine Fortbildung besuchen. Das ist auch sehr sinnvoll, um sich mit anderen auszutauschen”, meint Wahlefeld. „Impulse von außen sind sehr wertvoll, ich bin ja kein Anwalt und kein Psychologe.”

„Hilfelotsen” im System

Die Ehrenamtlichen des Weißen Rings übernehmen die Funktion von „Hilfelotsen” im System, sie können die Betroffenen an die passenden Stellen vermitteln. Im persönlichen Gespräch wird zunächst der Hilfsbedarf festgestellt, denn jeder leidet an den Folgen der an ihm verübten Straftat anders, zumal die Bandbreite der Straftaten groß ist – von Sexual- oder Gewaltdelikt bis zum Einbruch. Als Opferhilfe bietet der Verein die Finanzierung einer anwaltlichen Erstberatung an – oft schrecken die Betroffenen vor den möglichen hohen Anwaltskosten zurück. Der Anwalt kann frei gewählt werden, auf Wunsch begleitet ein Ehrenamtlicher des Weißen Rings den Klienten zu dem Termin. Bei psychischen Problemen finanziert der Weiße Ring auch eine psychologische Erstberatung. Die Organisation arbeitet eng mit einer Auswahl an Psychologen zusammen, bei denen sie relativ zeitnah Termine organisieren können. Auch bei finanziellen Schwierigkeiten, die durch die Straftat hervorgerufen wurden, gibt der Weiße Ring Soforthilfe. Diese kann auch darin bestehen, für den Klienten einen Selbstbehauptungskurs zu bezahlen. Hinzu kommen beim Weißen Ring auch immaterielle Hilfeleistungen, die zum großen Teil aus Zuhören und dem Wahrnehmen des Menschen bestehen. „Braucht der Klient Begleitung zum Anwalt, zur Polizei, zur Behörde oder zum Gericht? Das machen wir auch”, erklärt Stefan Wahlefeld. Die Ehrenamtlichen des Weißen Rings beraten außerdem zu gängigen Abläufen bei Gerichtsverfahren oder nach dem Stellen einer Strafanzeige bei der Polizei. Denn viele Opfer sind sich darüber nicht im Klaren, welche Konsequenzen eine Anzeige für sie hat. Auf Wunsch bereiten die Ehrenamtlichen ihre Klienten auf die Gerichtsverhandlung vor und klären über Rechte und Pflichten auf. Ein vorheriger gemeinsamer Besuch des Gerichtssaals zur Vorbereitung ist möglich, ebenso die Begleitung zur Verhandlung durch einen Ehrenamtlichen. In seinem Grundseminar hörte Stefan Wahlefeld den Hinweis, dass man seinen ersten Fall als Ehrenamtlicher beim Weißen Ring nie vergesse. Nach mehr als zehn Jahren im Ehrenamt kann er das bestätigen. „Mein erster Fall drehte sich um häusliche Gewalt. Ein Herr wurde von seinem Partner in der eigenen Wohnung zusammengeschlagen. Wir haben uns zweimal getroffen, und er hat eine anwaltliche Beratung bekommen”, erinnert sich der 37-Jährige. Wie oft der Klient und sein Berater sich sehen, hängt vom Wunsch des Klienten ab, oft reiche eine Erstberatung. „Bei gerichtlichen Verfahren dauern die Fälle auch mal länger”, so Wahlefeld.

Bedarf an Ehrenamtlichen

Der Weiße Ring hat eine Vier-Augen-Regelung für Gespräche mit den Opfern, die besagt, dass bei Straftaten wie sexualisierter Gewalt immer zwei Berater dabei sein sollten. Doch der Personalschlüssel in Lüneburg gibt das zurzeit nicht immer her, weshalb dringend Verstärkung gebraucht wird. Die Außenstelle Lüneburg wird seit Anfang 2024 durch die Außenstelle Harburg unterstützt und kommissarisch geleitet, die aber inzwischen selbst weitere Ehrenamtliche sucht. Stefan Wahlefeld, der in Hamburg im Bereich erneuerbare Energien in der Geschäftsfeldentwicklung arbeitet, hat in seinem Ehrenamt einen Ausgleich gefunden, der ihn erfüllt. „Bei meinem Ehrenamt wird der Sinn in den Vordergrund gestellt”, meint er. „Man ist jemand, der hilft, Orientierung zu geben. Für uns stehen die Menschen im Vordergrund, wir versuchen, sie bestmöglich zu unterstützen. Das ist eine sehr befriedigende Arbeit.” Für das Ehrenamt beim Weißen Ring ist vor allem Mitgefühl gefragt, auch ein bisschen Zeit sollte man mitbringen. „Man sollte auch Lust haben, mit anderen Menschen zu arbeiten, zu kommunizieren”, erklärt Stefan Wahlefeld. Der Ehrenamtliche, der sich den Weißen Ring auch wegen der flexiblen Zeiteinteilung ausgesucht hat, meint, dass das Mitgefühl mit dem Opfer aber nicht zu weit gehen dürfe: „Mitgefühl ist gut, aber nicht das Hineinsteigern in die andere Seite, das Identifizieren mit der Person. Ich kann das gut ausblenden, wenn ich nach Hause gehe.” Wenn er besonders stark gefordert sei, seien seine Weiterbildungen für ihn ebenso hilfreich wie die Rücksprache im Verein. „Ich weiß, ich mache das nur im Ehrenamt, ich bin kein Profi. Ich kann mir immer Feedback einholen. Durch den Verein haben wir ein breites Netzwerk, das ist ein großer Anker.” So spreche man auch bei den monatlichen Teamsitzungen über einige Fälle – während er seine Familie nicht mit seinen Erlebnissen behellige. Stefan Wahlefeld ist der Meinung, ein Ehrenamt tue jeder Person gut. „Unabhängig von Alter, Herkunft und Geschlecht ist es gut, mit anderen Themen in Berührung zu kommen.” Das Miteinander im Verein sei sehr kollegial, die Altersstruktur bunt gemischt. Der Weiße Ring, der 1976 auf Initiative von Eduard Zimmermann („Aktenzeichen XY… ungelöst”) in Mainz gegründet wurde, sei eine Organisation mit sehr wichtiger Aufgabe, nämlich unverschuldeten Opfern einer Straftat aus Lebenskrisen zu helfen. „Jeder kann ganz schnell ein Opfer werden”, weiß der 37-Jährige. (JVE)

Foto: Weißer Rind, Viktor Strasse Photography

Ersthelfer für die Seele
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