Eine Studie zeigt, wie brisant die Folgen von Lockdown und Pandemie-Einschränkungen sind

Homeschooling statt Präsenzunterricht, allein im Zimmer statt draußen mit Freunden – nicht nur Corona ist schlimm, sondern auch die staatlich verhängten Einschränkungen im Zuge der Pandemie können krank machen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich massive Gesundheitsfolgen, bestätigen neueste, brandaktuelle Untersuchungsergebnisse der DAK. Dazu gehören nicht nur psychosomatische Stresssymptome wie Gereiztheit, Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit, die auch viele Lüneburger Kinderärzte bei ihren kleinen Patienten immer häufiger diagnostizieren. So stiegen auch die Adipositas-Zahlen zuletzt wieder stark an: Dabei fällt die Zunahme bei Jungen stärker aus als bei Mädchen. Genau andersherum ist es bei der Depression – hier sind Mädchen mehr betroffen. Bei den 10- bis 14-Jährigen waren es 23 Prozent mehr im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Bei Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren nahmen Behandlungen um fast 20 Prozent zu. Besonders auffällig auch: Jugendliche Mädchen mit psychischen Erkrankungen wurden zuletzt verstärkt mit Medikamenten behandelt. Bei Neuerkrankungen stieg die Verordnung von Antidepressiva sogar um 65 Prozent! Auch Julia ist schon lange in ärztlicher Behandlung. Seit neun Monaten genau, dabei ist sie gerade einmal 13. Mit ihren Eltern lebt sie in Adendorf. Ganz zerbrechlich wirkt sie, wie sie da in ihrem zu groß wirkenden Pullover auf dem Stuhl sitzt. „Sie war immer so fröhlich, jetzt spricht sie kaum noch“, erzählt ihre Mutter. Als sie dem Mädchen über das Gesicht streicheln will, dreht Julia sich weg. „Wenigstens kann sie jetzt wieder zur Schule gehen“, sagt die Mutter. „Sie braucht diese ganz normalen Strukturen des Alltags dringend.“ Für die repräsentative Analyse der Krankenkasse wurden ambulante und stationäre Behandlungsdaten von 782.000 Kindern und Jugendlichen wissenschaftlich untersucht und mit der Situation vor der Pandemie verglichen. „Die neuen Daten zeigen bei Depressionen, Ängsten und Essstörungen eine dramatische Entwicklung“, sagt DAK-Chef Andreas Storm. Wichtig seien jetzt vor allem offene Schulen im nächsten Corona-Winter. Auch Sportvereine müssten unbedingt weiter offen bleiben, fügt er an. „Kinder brauchen einen sicheren Raum, um sich selbstbestimmt und gesund zu entwickeln.“

 

Der Berufsverband der Kinder- und Jugend-ärzte bestätigt die Kernergebnisse. „Die Corona-Pandemie, die sich inzwischen im dritten Jahr befindet, hat insbesondere bei Kindern und Jugendlichen tiefe Spuren hinterlassen. Die Bewegungs- und Entwicklungsfreiheit der Mädchen und Jungen in unserem Land darf nicht weiter eingeschränkt werden“, erklärt Präsident Dr. Thomas Fischbach. Vor allem den explosionsartigen Anstieg bei der Verschreibung von Antidepressiva hält der Experte für sehr bedenklich: „Hier müssen wir genau hinschauen. Fest steht, dass die Versorgungsstrukturen für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche verbessert werden müssen. Die Versorgung war bereits vor der Corona-Pandemie nicht zufriedenstellend. Das Problem hat sich jetzt verschärft.“

Hohe Dunkelziffer befürchtet

Das gilt auch und besonders im Hinblick auf die zu erwartende Dunkelziffer psychisch erkrankter Kinder und Jugendlicher. Denn: Während Pandemie und Lockdown wurden viele Erkrankungen weder diagnostiziert noch so behandelt, wie es sonst möglich gewesen wäre. Zu rechnen ist mit chronischen Verläufen und Langzeitfolgen, warnen Mediziner. Zudem sind weitere negative psychische und somatische Auswirkungen der Pandemie zu erwarten, die erst verspätet einsetzen oder erkannt werden. Jetzt müsse gegengesteuert werden. Damit es ihrem Nachwuchs besser geht, können auch Eltern einiges tun, sagen Psychologen. Der Mutter der kleinen Julia aus Adendorf hat man geraten, doch an ihrer eigenen Stressbewältigung zu arbeiten: „Unser Arzt hat mir etwas von Resilienz erzählt und dass die Art, wie ich mit Herausforderungen im Alltag umgehe, sich auch widerspiegelt bei meinem Kind. Tatsächlich bin ich sehr hektisch, das weiß ich, oftmals auch schnell gestresst und fühle mich dann auch überfordert. Das muss ich ändern.“

Eigene Resilienz trainieren

Experten bezeichnen Resilienz häufig als unser psychisches Immunsystem, man kann auch vom Immunsystem der Seele sprechen, ein Immunsystem, das uns hilft, mit schwierigen Situationen im Leben besser umzugehen. Es gibt einige Möglichkeiten, die innere Stärke zu fördern, ein positives Selbstbild zu entwickeln ist hilfreich, starke soziale Bindungen sind es ebenso. Das kann auch die Beziehung zu einem guten Freund oder der besten Freundin sein. Auch Julia, die im nächsten Monat 14 wird, hat so eine beste Freundin. Mit der will sie sich nach Ende des Gesprächs zum Inline-Skaten treffen. „Macht Spaß“, sagt sie leise und deutet beim Abschied sogar ein zartes Lächeln an … (RT)

Sie fühlen sich betroffen?

Hier erreichen Sie die Telefonseelsorge der Deutschen Depressionshilfe rund um die Uhr telefonisch.

Telefonseelsorge

Telefon: (08 00) 11 10 111

Telefon: (08 00) 11 10 222

Kinder- und Jugendtelefon Beratung am Telefon, im Chat und per Webmail: kostenlos und anonym

Telefon: (08 00) 111 0 333

Web: www.nummergegenkummer.de

Sprechzeiten: Montag bis Samstag von 14 bis 20 Uhr

Foto: Pixabay

Das Leid der Kinder
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