Wir finden sie im Supermarkt, in der Drogerie oder in der Apotheke: Kräutermischungen aller Art gegen Übergewicht, Eiweißpulver zum Muskelaufbau, Vitamin C zur Stärkung des Immunsystems – das Angebot an Pillen, Pulvern und Kapseln ist groß, der Markt boomt wie nie zuvor. Nach Schätzungen konsumiert über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland mehr oder weniger regelmäßig Vitamine, Mineralstoffe und andere Nahrungsergänzungsmittel. Der Umsatz stieg die letzten fünf Jahre im Durchschnitt um 5,1 Prozent auf zuletzt über 2,5 Milliarden Euro. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht.
Auf eigenes Risiko
Das Problem: Verbraucher verordnen sich die Vitamine, Mineralstoffe und Pflanzenextrakte in der Regel selbst, ohne Rücksprache mit einem Arzt (das tun angeblich nur 5 Prozent!). Ob es sich bei den Präparaten um Nahrungsergänzungsmittel, also Lebensmittel, handelt oder um frei verkäufliche Arzneimittel, spielt bei der Kaufentscheidung häufig keine Rolle. Doch nutzen die Pillen, Pulver oder Kapseln wirklich etwas oder geben wir nur unnötig Geld für etwas aus, das uns gar nicht fitter, schöner und gesünder macht? Experten vermuten, dass der überwiegende Teil der Käufer die Mittel aus medizinischer Sicht gar nicht benötigt. In manchen Fällen besteht sogar das Risiko einer Überdosierung mit bestimmten Stoffen, warnt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentrale Klaus Müller. Sicher ist: Die meisten Vitamine und Mineralstoffe sind für uns alle essentiell – der Mensch braucht sie zum Leben. Das heißt aber keineswegs, dass man, je mehr man davon aufnimmt, auch immer gesünder wird. Das Gegenteil ist der Fall. Für einige Vitamine gilt zwar, dass sie einfach ausgeschieden werden, wenn die Konzentration im Körper hoch genug ist. Bei anderen Vitaminen und Mineralstoffen kann eine Überversorgung aber durchaus mit gesundheitlichen Risiken verbunden sein. So kann zu viel Vitamin A im ersten Drittel der Schwangerschaft fruchtschädigend wirken. Mögliche Folgen einer Überdosierung von Vitamin B3 (Niacotinsäure) sind unter anderem Hautrötungen, Kopfschmerzen und Migräneanfälle, Blutdruckabfall und sogar eine Leberschädigung. Bei langfristiger hoch dosierter Einnahme von Vitamin B6 sind Störungen der sensiblen Nerven möglich. Auch überschüssiges Vitamin C kann bei Menschen mit bestimmten Krankheitsbildern Risiken bergen. So kann Ascorbinsäure in hoher Konzentration zu Nierensteinen führen. Bei zu viel Vitamin E besteht die Gefahr von Blutungsneigungen. Also doch besser gänzlich auf alle Pillen, Pulver & Co verzichten? Auch das wäre in dieser Entschiedenheit völlig falsch. Denn auch ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen kann gesundheitsschädlich sein: Schwangere etwa, deren Versorgung mit dem Folsäure-Vitamin unzureichend ist, haben ein erhöhtes Risiko für Spina-bifida-Erkrankungen des Neugeborenen; ein Krankheitsbild, das auch als „offener Rücken“ bezeichnet wird. Für Veganer und Vegetarier sind zusätzliche Dosen an Vitamin B12 empfohlen (pro Tag 4 Mikrogramm), da Vitamin B12 nur in tierischen Lebensmitteln wie etwa Käse oder Fleisch enthalten ist.
Keine Wunderdinge
erwarten
Vorsicht ist immer geboten, wenn Wunderdinge versprochen werden, wie etwa beim Vitamin D, dem einzigen Vitamin, das unser Organismus eigentlich selbst bedarfsdeckend herstellen kann (zumindest dann, wenn genügend ultraviolettes Licht von der Sonne verfügbar ist). Die zusätzliche Gabe von Vitamin D soll laut manchem Anbieter angeblich vor Krebs, Diabetes, Depressionen, Herz-Kreislauf-Leiden schützen. Wissenschaftlicher Beweis: Null. Sicher scheint dagegen, dass bei zu hohen Vitamin-D-Einnahmen unter anderem Kopfschmerzen, Nierensteine sowie eine irreversible Schädigung der Nieren und Herzrhythmusstörungen auftreten können. Aber: Mindestens genauso richtig ist, dass Haus-ärzte heute mehr Fälle von Vitamin-D-Mangel in ihren Praxen feststellen als früher. Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) bleiben etwa 60 Prozent der Deutschen unter dem empfohlenen Wert von 50 Nanomol pro Liter Blut, und fast 20 Prozent erreichen nicht einmal die Hälfte des empfohlenen Wertes. Ein schwerer Mangel (unter 12,5 Nanomol pro Liter) ist sehr selten, aber gefährlich, weil er zu einer Demineralisierung der Knochen führt. Das bedeutet: Vitamin D in Maßen zu sich genommen, kann für bestimmte Menschen fast ebenso wichtig sein wie das tägliche Brot. Ein Mangel kann seriös nur über einen Bluttest festgestellt werden. Denn nur im Labor kann im Blutserum das sogenannte 25-Hydroxyvitamin D bestimmt werden. Es spiegelt die Vitamin-D-Zufuhr über die Nahrung und die körpereigene Produktion wider.
Empfohlene Tageshöchstdosis beachten
Auch der Mangel an Magnesium muss behandelt werden, gehört es doch zu den lebenswichtigsten Mineralstoffen. Fehlt dem Körper Mag-nesium, können der Energiestoffwechsel sowie Muskel- und Nervenfunktionen gestört sein. Allerdings deutet nicht jeder Wadenkrampf gleich auf einen Magnesiummangel hin – auch wenn das einem die Werbung vermitteln will. Muskelkrämpfe können viele Ursachen haben. Häufig sind es Überforderung oder Unterforderung des Muskels (durch Sport, falsches Schuhwerk, Fehlstellungen), aber auch zu wenig Trinken oder Störungen im Elektrolythaushalt (zum Beispiel durch übermäßiges Schwitzen) ursächlich. Bei anhaltender Symptomatik sollte immer zuerst der Arzt gefragt werden, um die Ursache herauszufinden. Eine Supplementierung ist wie beim Vitamin D daher nur in den wenigsten Fällen sinnvoll. Dazu kommt: Im Handel wird Magnesium häufig überdosiert angeboten, legt man die vom Bundesinstitut für Risikobewertung (www.bfr.bund.de) empfohlene Tageshöchstdosis – 350 bis 400 Milligramm – zugrunde. (RT)