Die Lüneburgerin Martina Hagen Leitet das Fundbüro der Hansestadt

 Nicht alles, was man verliert, ist unwiederbringlich verschwunden. Vieles landet auch bei Martina Hagen. Die 50-Jährige leitet seit drei Jahren das Fundbüro der Hansestadt Lüneburg. Es gibt kaum etwas, das noch nicht bei Martina Hagen abgegeben wurde – von Keyboard über Fahrradhelm bis zur Buddha-Figur oder dem Winkelschleifer. Die häufigsten Fundstücke sind Schlüssel, Geldbörsen und Fahrräder, doch auch skurrile Dinge lagern manchmal monatelang in den Räumen des Fundbüros. Rund 1.440 Fundsachen gingen im Jahr 2019 im Fundbüro der Stadt Lüneburg ein. 538 fanden ihren Weg zurück zu ihrem rechtmäßigen Besitzer. 

Auch wenn manche Finder vielleicht ihr Fundstück lieber behalten wollen als es irgendwo abzugeben, gibt es eine grundsätzliche Regel: „Ab einem geschätzten Wert von 10 Euro muss man etwas Gefundenes abgeben”, erklärt Martina Hagen. Jeder solle die Möglichkeit haben, sein Eigentum wiederzubekommen. Die gelernte Einzelhandelskauffrau verwaltet nur Fundstücke aus dem Stadtgebiet, im Landkreis verfügt jede Gemeinde über ihr eigenes Fundbüro. „Da, wo etwas gefunden wird, soll es auch verwaltet werden”, so Martina Hagen. Während die KVG und die Leuphana Universität eigene Fundstellen haben, kommt im städtischen Fundbüro auch Liegengebliebenes aus den Kaufhäusern, den Veranstaltungsorten der Campus Management, dem Kurzentrum, dem Filmpalast sowie von der Polizei an. So landen regelmäßig Fundkisten bei Martina Hagen, deren Inhalt sie sortieren und katalogisieren muss. Alle Fundstücke werden in eine Online-Datenbank eingegeben, damit die Bürger von zu Hause aus die Suche nach ihrem Eigentum starten können.  Einige Fundstücke sind leicht zuzuordnen, beispielsweise wenn sie Ausweispapiere oder ein Namensschild enthalten. Dann sendet Martina Hagen dem Besitzer einen Brief mit dem Hinweis, dass etwas von ihm gefunden wurde und er es bitte im Fundbüro abholen möge. Das Fundbüro ist dazu verpflichtet, jedes Fundstück ein halbes Jahr aufzubewahren. Wird es innerhalb dieser Frist nicht abgeholt, kann der Finder es erhalten, wenn er den Wunsch dazu geäußert hat. Das kann bei Markenkleidung schon mal attraktiv sein, doch Martina Hagen rät Findern inzwischen davon ab, Anspruch auf Handys – wie zum Beispiel iPhones – zu erheben, denn diese sind in der Regel gesperrt und können nicht wieder genutzt werden. „Viele haben es schon bei Apple versucht, aber die vergeben keine neue Apple-ID”, erklärt die Lüneburgerin. Immerhin 89 Handys landeten im Jahr 2019 im Lüneburger Fundbüro.

Es gibt viele ehrliche Leute

Um nachzuweisen, dass einem eine Fundsache gehört, reicht zunächst eine genaue Beschreibung, denn das Online-Verzeichnis gibt nicht alle Details preis. Bei der Abholung von Schmuckstücken kann ein Kaufbeleg oder ein Foto hilfreich sein, bei Schlüsseln sollte man einen identischen Ersatzschlüssel mitbringen. Da jeder bei der Abholung seines Fundstücks einen Ausweis vorlegen und eine kleine Gebühr zahlen muss, geht Martina Hagen davon aus, dass Betrügereien selten sind. „In den drei Jahren, in denen ich hier arbeite, war mir erst einmal jemand suspekt, der ein Handy abholen wollte”, erinnert sich die 50-Jährige. „Er konnte nichts über das Handy sagen, konnte es nicht entsperren und hat sich dann herausgeredet.” Ihre Erfahrung ist grundsätzlich: „Es gibt ganz, ganz viele ehrliche Leute.” Das gelte vor allem in Hinblick auf die Finder. Der Finder hat einen gesetzlichen Anspruch auf Finderlohn – bei einem Wert der Fundsache bis zu 500 Euro liegt dieser bei fünf Prozent, bei einem höheren Sachwert bei drei Prozent. Diesen zahlt der Eigentümer. Martina Hagen weiß, dass die meisten Fundstücke den Eigentümern sehr viel bedeuten. „Bei einem emotionalen Wert geben manche auch mehr ”, weiß Martina Hagen, „zum Beispiel wenn auf einem Handy ganz viele Fotos sind oder man ohne den Haustürschlüssel die Schließanlage hätte austauschen müssen.” Die meisten würden von sich aus dem Finder Geld geben wollen. „Manche sind aber auch empört, dass sie hier etwas für die Lagerung zahlen müssen.” Das seien in der Regel fünf Euro. Sehr häufig landen im Fundbüro der Hansestadt Fahrräder. Die vier Fahrradkellerräume unter dem Bürgeramt und die Garage neben dem Fundbüro quellen regelrecht über vor Zweirädern, weshalb die Stadt zweimal jährlich eine Fundsachen- und Fahrrad-Versteigerung veranstaltet, um Platz zu schaffen. Alle Dinge von Wert, die weder der Eigentümer noch der Finder in Besitz genommen haben, werden dabei versteigert, was jedes Mal auf großes Interesse bei den Bürgern stößt. Für die Käufer gibt es da ordentliche Schnäppchen zu holen, und Martina Hagen und ihren Kollegen macht es Spaß, die Fundstücke unter den Hammer zu bringen.

Räder nicht immer gestohlen

Wer ein Fahrrad vermisst, sollte nicht gleich von einem Diebstahl ausgehen, denn Fahrräder, die nur zwei bis drei Tage unverschlossen herumstehen oder -liegen, können als Fundsache bei der Polizei oder im Fundbüro abgegeben werden. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 298 Fahrräder abgegeben, davon alleine 55 im Monat Juli. Polizei und Fundbüro gleichen alsbald Rahmennummern mit Verlustanzeigen ab, damit kein gestohlen oder vermisst gemeldetes Zweirad in die Versteigerung geht. Wer sein Fahrrad aus dem Fundbüro abholen möchte, muss etwas Zeit mitbringen, denn es kann passieren, dass Martina Hagen einen ganzen Keller leerräumen muss, um an das gesuchte Gefährt zu gelangen. Die Schlüsselaufbewahrung verläuft im Fundbüro etwas übersichtlicher. Statt mehrerer Räume in verschiedenen Gebäuden reicht hierfür eine große Kork-Pinnwand, an die Martina Hagen die Schlüssel nach Monaten sortiert heftet. Insgesamt 358 Schlüssel oder Schlüsselbunde landeten im Jahr 2019 im Fundbüro, Anfang Januar warteten rund 90 Schlüssel auf ihre Besitzer. Neben Fahrradschlüsseln, deren Verlust leichter zu verschmerzen ist, hängen im Fundbüro auch zahlreiche Auto- und Haustürschlüssel, deren Neubeschaffung oder Austausch des Schlosses mit hohen Kosten verbunden ist. Martina Hagen wundert sich immer wieder, dass monatelang niemand nach diesen Schlüsseln bei ihr fragt. „Vielleicht denken die Leute, ein Fundbüro ist altbacken?”, vermutet sie. Im Internet sieht sie oft in lokalen Foren, dass Bürger hier über ihren Fund oder ihren Verlust berichten. Bei Facebook gibt es zudem Gruppen wie „Lüneburger suchen”, wo Funde ebenfalls gepostet werden. Martina Hagen bittet die Finder in solchen Fällen schon mal online, ihr Fundstück im Fundbüro abzugeben, „schließlich ist nicht jeder bei Facebook.” Auch Schlüssel oder andere Fundsachen bei Ebay Kleinanzeigen online zu stellen, macht aus ihrer Sicht wenig Sinn – denn hier suche kaum jemand nach Fundsachen. Außerdem könne jedes Fundstück aus einem Diebstahl stammen, was mit den Behörden abgeklärt werden müsse.

Detektivarbeit im Internet

Sogar Geldscheine können beim Fundbüro abgegeben werden. Einige ehrliche Finder würden diese bei ihr abgeben, so Martina Hagen, doch selten frage jemand nach einer verlorenen Banknote. Zu den Dingen, die selten bei ihr erfragt werden, gehören auch Brillen oder Kleidungsstücke. Gebisse oder Hörgeräte werden in der Regel nicht abgeholt. Eines der skurrilsten Fundstücke, die Martina Hagen im Fundbüro erlebt hat, ist mit Sicherheit ein Stromgenerator, den jemand am Straßenrand gefunden hatte. Er wurde schließlich versteigert. Das größte Fundstück bisher war ein Kanu, das jemand auf der Ilmenau treibend entdeckt hatte. Der Besitzer entdeckte erst Monate später, dass sich sein Kanu selbstständig gemacht hatte und wandte sich schließlich ans Fundbüro. Bei Dingen wie Werkzeugkoffern, Kostümen, Perücken oder Kinderkarren kann Martina Hagen jedoch fast davon ausgehen, dass niemand diese bei ihr sucht. Einige Finder nehmen es sehr genau und geben sogar einzelne Handschuhe ab. Jemand brachte Martina Hagen auch schon Baustellenlampen und -absperrungen. Martina Hagen ist immer daran gelegen, Fundsachen wieder zu ihrem Besitzer zurückzuführen. Sie geht im Internet kleinsten Hinweisen auf Namen und Wohnorte nach und leistet geradezu detektivische Arbeit. Als sehr zeitaufwendig erwies sich einst ein iPad, das jemand bei ihr abgab. Leichtsinnigerweise war der Zugang nicht passwortgesichert, doch so konnte sie schnell mit dem Besitzer in E-Mail-Kontakt treten. Er stellte sich als Amerikaner heraus, und die Rücksendung gestaltete sich wegen des als gefährlich eingestuften Akkus als äußerst schwierig. „Das Ganze hat ungefähr anderthalb bis zwei Jahre gedauert”, erinnert sich Martina Hagen. Auch psychologische Arbeit muss sie ab und zu leisten. Gerade ältere Leute, die etwas verloren haben, sind oft besonders traurig über ihren Verlust, schauen immer wieder bei ihr vorbei und geben nicht so schnell auf. Martina Hagen tröstet und macht Mut und animiert die Suchenden, auch Läden abzuklappern und ein paar Wochen später wiederzukommen.

Sperrmüll ist keine Fundsache

Rund 120 Fundsachen werden im Monat im Lüneburger Fundbüro abgegeben. „Nach dem Stadtfest, den Sülfmeistertagen oder dem Weihnachtsmarkt ist es mehr, und im Sommer sind die Fundorte andere, zum Beispiel am Kreidebergsee”, erklärt Martina Hagen. Waffen, Drogen und Medikamente nimmt das Fundbüro nicht an, ebenso angeschlossene Fahrräder. „Manche wollen einige Sachen vom Privatgrundstück loswerden, das sind aber keine Fundsachen”, erläutert Martina Hagen. „Einiges ist auch Sperrmüll oder zu eklig, dann kommt es sofort weg.” Die Lüneburgerin hat sichtlich Freude an ihrer Arbeit. Es macht sie glücklich, wenn Leute etwas wiederfinden, und sie kommt gerne mit ihnen ins Gespräch. „Es macht Spaß und ist abwechslungsreich. Nur wenn Leute einem etwas unterjubeln wollen, ärgert einen das.” (JVE)

Die nächste Fundsachen-Versteigerung des Lüneburger Fundbüros findet am Mittwoch, 29. April, 13 Uhr statt.

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