Norbert Schipporeit ist ehrenamtlicher Kulturbegleiter beim Lüneburger Kulturschlüssel
Ob Konzert, Theater oder Kino – Norbert Schipporeit besucht gerne Kulturveranstaltungen. Um Menschen mit Unterstützungsbedarf die kulturellen Genüsse ebenfalls zu ermöglichen, begleitet er sie ehrenamtlich im Rahmen des Projekts Lüneburger Kulturschlüssel. Norbert Schipporeit, der als Labortechniker in der Industrie im Ruhrgebiet tätig war, zog zu seinem Ruhestand mit 60 Jahren zusammen mit seiner Frau nach Lüneburg, vor sechs Jahren nach Adendorf. Doch das Glück im Norden währte nicht lange, denn seine Frau wurde schwer krank und verstarb vor drei Jahren. Enge Kontakte und Freunde im Raum Lüneburg hat der 70-Jährige kaum. „Es war schwer, jemanden zu finden, der mit einem Kulturveranstaltungen besucht”, erzählt er. Doch er hat ein Faible für Musik, wollte nicht zu Hause rumsitzen. Über seine Freundin bekam er Kontakt zum Lüneburger Kulturschlüssel, einem Projekt der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg in Kooperation mit der Neuen Arbeit Lüneburg, das von der Aktion Mensch gefördert wird. Seit nunmehr einem Jahr ist Schipporeit beim Lüneburger Kulturschlüssel ehrenamtlich als Kulturbegleiter tätig.
Der Lüneburger Kulturschlüssel existiert seit 2017 und bringt „Kulturgenießer”, die nicht mobil sind oder über wenig finanzielle Mittel verfügen, mit „Kulturbegleitern” zusammen. Rund 100 ehrenamtliche Kulturbegleiter gibt es in Lüneburg, für die Veranstaltungen gibt es Freikarten, die die Kultureinrichtungen für das Projekt unentgeltlich zur Verfügung stellen. Bevor Norbert Schipporeit sein Ehrenamt antreten konnte, war er zur Teilnahme an einem Abendkurs verpflichtet, bei dem er über seine Aufgaben und versicherungstechnische Abläufe informiert wurde. „Ich begleite Menschen, die nicht mobil sind, weil sie kein Auto oder ein Handicap haben – die ohne Unterstützung nicht rauskommen”, fasst Schipporeit zusammen. Das Angebot an Veranstaltungen, für die es Freikarten gibt, stellt der Lüneburger Kulturschlüssel auf seine Internetseite. Wer an einer Veranstaltung Interesse hat und eine Begleitung braucht, kann sich hier als Kulturgenießer eintragen. Findet sich ein Kulturbegleiter wie Norbert Schipporeit für das Kulturevent, können beide Kontakt zueinander aufnehmen. Für den 70-Jährigen eine Win-Win-Situation, wie er meint, denn er tut nicht nur einem anderen Menschen einen Gefallen, sondern kann dabei nette Leute kennenlernen und Veranstaltungen besuchen, auf die er so vielleicht gar nicht gekommen wäre. Im Prinzip sei er deshalb nicht nur Kulturbegleiter, sondern ebenfalls Kulturgenießer.
Keine Vorbehalte
Sein Hauptinteresse gilt der Musik – jahrelang hat er selbst in Duisburg Musik gemacht, hört gerne Jazz, Blues und Weltmusik, aber auch die Rolling Stones oder Beatles. „Ich bin ziemlich offen und probiere auch mal was Neues aus”, erklärt er. Vorbehalte habe er weder gegenüber Menschen noch gegenüber Kulturveranstaltungen, die ihm nichts sagen. So sei er jüngst bei einem Ein-Personen-Theaterstück in der Kulturbäckerei gelandet, das er sich von sich aus nie ausgesucht hätte. „Es gibt immer wieder Überraschungen. Ich habe eine Frau begleitet, und das Stück war richtig gut!”, erzählt der Kulturbegleiter. Rund zehn bis zwölf Veranstaltungen begleitet Norbert Schipporeit im Jahr für den Lüneburger Kulturschlüssel. Doch er hat sein Ehrenamt während der Corona-Pandemie begonnen, und durch die Lockerungen und die wachsende Fülle an Veranstaltungen im Raum Lüneburg rechnet er künftig mit mehr Terminen. Mittlerweile kennt er einige Kulturgenießer gut, die er regelmäßig begleitet, zum Beispiel einige Bewohnerinnen und Bewohner des Lebenshilfe-Wohnhauses an der Rabensteinstraße. Alleine oder auch mit Verstärkung durch weitere Kulturbegleiter geht Norbert Schipporeit mit den Menschen mit Beeinträchtigung ins Kino, zu Konzerten oder Partys. „Aus der Rabensteinstraße begleite ich jüngere Menschen. Sie haben unglaublich Spaß an Musik”, erklärt der 70-Jährige. Durch den bestehenden Kontakt fragen sie ihn inzwischen auch direkt an, ob er sie zu einem Termin begleiten kann. Da die Bewohnerinnen und Bewohner aus der Rabensteinstraße gerne ins Kino gehen, hat Schipporeit schon ein paar Kinogutscheine zu Hause und holt sie zu Fuß zum Kino ab. „So war ich zum ersten Mal in einem Batman-Film. Das gehört auch mal dazu“, meint er. Menschen, die kein Auto haben, holt Norbert Schipporeit auch mit seinem Wagen ab und bringt sie zum Veranstaltungsort. Einige Kulturgenießer sind gehbehindert und brauchen Unterstützung beim Laufen oder sitzen im Rollstuhl. Über die Bedienung eines Elektro-Rollstuhls oder das Handeln bei einem epileptischen Anfall weiß Schipporeit inzwischen Bescheid. Dennoch zählt er nur als Begleitung und trägt nicht die Verantwortung für die andere Person.
Chemie muss stimmen
Norbert Schipporeit geht in seinem Ehrenamt offen auf die Menschen zu. „Ich bin einfach nur gespannt, was das für Menschen sind”, sagt er. Natürlich entstehe bei dem gemeinsamen Besuch einer Kulturveranstaltung eine persönliche Ebene, auf der man sich auch privat unterhält. Wenn die Chemie stimmt, kann es passieren, dass man sich gleich zum nächsten Termin verabredet. „Es kann auch passieren, dass es nicht so passt. Dann sagt man, es war ein netter Abend – und tschüß!“ Über diesen Weg neue Menschen kennenzulernen, empfindet der Adendorfer als befriedigend und als eine große Bereicherung. „Die Leute sind in meinem Alter und jünger, ich schätze, von 40 bis 70 Jahren. Das macht die Sache auch so interessant.” Das Angebot an Veranstaltungen ist beim Lüneburger Kulturschlüssel groß. Selbst für den Lüneburger Kultursommer auf den Sülzwiesen hat der Kulturschlüssel Freikarten bekommen, doch Veranstaltungen mit Partystimmung überlässt Norbert Schipporeit lieber seiner Freundin, die schon seit einigen Jahren als Kulturbegleiterin tätig ist. Norbert Schipporeit benennt klare Vorlieben: „Einen Yogakurs würde ich nicht unbedingt machen, aber einen Bierbraukurs!” Gerne fährt er zum One World Kulturzentrum in Reinstorf, wo er die Jazzkonzerte schätzt. Hierhin begleitet er regelmäßig einen Herrn in seinem Alter, den er aus Reppenstedt abholt. Mit ihm teilt er gleiche Musikinteressen und tauscht sich über Plattentipps und YouTube-Empfehlungen aus. „Wenn alles gut läuft, entstehen auch Freundschaften”, so Schipporeit. Doch bei der Begleitung zu Kulturveranstaltungen kann auch Unvorhergesehenes passieren. Norbert Schipporeit erinnert sich noch lebhaft daran, wie er zwei gehbehinderte Damen aus der Rabensteinstraße ins Kino begleitete. Der Besuch lief aus dem Ruder, auch weil sich die Frauen in die Haare bekamen. Als die beiden zusammen Fahrstuhl fuhren, den Norbert Schipporeit wegen Platzmangels durch den E-Rollstuhl einer der Frauen nicht betreten hatte, entstand eine Panikstimmung mit Geschrei und Gekreische. Der Fahrstuhl fuhr mit den beiden Damen hoch und wieder runter, dann fuhr die eine der anderen auch noch mit dem Rollstuhl über den Fuß. Zu guter Letzt verteilten die Damen ihr Popcorn im gesamten Kino, so dass es aussah wie auf einer Schnitzeljagd. Norbert Schipporeits Resümee fällt klar aus: „Das war ein grenzwertiger Fall. Alleine mache ich so eine Begleitung nicht mehr. Man kann nicht mehrere Menschen mit Gehbehinderung begleiten. Irgendwie übernimmt man ja doch die Verantwortung.” Auch zu Verständigungsproblemen kann es kommen, was Schipporeit vor Kurzem als Begleitung einer gehörlosen Kulturgenießerin erlebte. „Da kann man dann nur Zuwendung geben”, meint er.
Kein Aufpasser
In seinem Ehrenamt als Kulturbegleiter lernt Norbert Schipporeit auch neue Orte kennen. Mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Rabensteinstraße geht er gelegentlich zu Partys in der Düne, einem Schulungsort der Lebenshilfe. „Ich bin dann kein Aufpasser, ich kann das genießen”, erzählt er. „Aber ich setze mich für die Leute ein, ich besorge ihnen zum Beispiel Getränke. Dafür bekomme ich ja viel geboten.” Und wenn mal einer der Kulturgenießer über die Stränge schlagen sollte, stellt das für den Ehrenamtlichen auch kein Problem dar: „Wenn sich jemand volllaufen lässt, bringe ich ihn eben betrunken nach Hause. Aber das ist noch nie vorgekommen.” (JVE)
- Das Team des Lüneburger Kulturschlüssels sucht weitere Ehrenamtliche, die die Arbeit unterstützten möchten. Benötigt werden zum Beispiel Personen, die das kulturelle Angebot monatlich online stellen, die gerne nach Veranstaltungen recherchieren und zu den Kultureinrichtungen in Kontakt treten. Wer sich die Tätigkeit etwa alle 14 Tage für einen halben Tag vorstellen kann, kann sich an Markus Lauenroth oder Marie-Luise Köhler wenden unter Tel. (0 41 31) 2 83 97 15 oder per E-Mail an info@lueneburger-kulturschluessel.de. Infos: https://lueneburger-kulturschluessel.de