jve-Beratungsgespräch

Anke Gottwald ist seit 30 Jahren Schuldnerberaterin

Der bekannteste Vertreter ihres Berufsstandes ist Peter Zwegat aus der TV-Sendung „Raus aus den Schulden“, doch so leicht wie im Fernsehen ist es nicht immer. Anke Gottwald aus Lüneburg arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Schuldnerberaterin. „Am Anfang war es Pionierarbeit“, erklärt die 60-Jährige. Ihr Arbeitgeber, der Diakonieverband Nordostniedersachsen der Kirchenkreise Lüneburg und Uelzen, rief 1985 Lüneburgs erste „reine“ Schuldnerberatung ins Leben. Zuvor waren Schulden immer als eines von vielen Themen in Sozial- und Familienberatungen behandelt worden. Bevor Anke Gottwald ihren Weg zur Schuldnerberatung fand, lernte sie jedoch zunächst die „andere Seite“ kennen. Die gebürtige Bremerhavenerin absolvierte eine Ausbildung zur Sparkassenkauffrau und arbeitete anderthalb Jahre in einer Sparkasse. Schon hier kam sie mit Menschen in Kontakt, die knapp bei Kasse waren. „Ich habe es am Schalter erlebt, dass Leute regelrecht um Geld bettelten“, erinnert sie sich. Schon bald reifte die Entscheidung, eine andere Laufbahn einzuschlagen: „Ich wollte mich für Menschen einsetzen, denen es nicht gut geht.“

Gesamtverschuldung hat zugenommen

In Kiel studierte Anke Gottwald schließlich Sozialarbeit. Für ihr Berufspraktikum kam sie im Jahr 1983 nach Lüneburg. „Schulden waren damals in vielen Beratungen Thema“, erzählt sie. Als die Diakonie in Lüneburg eine spezialisierte Stelle für die Schuldnerberatung schuf, ergriff Anke Gottwald ihre Chance. Seit April 1985 ist sie hier hauptamtliche Schuldnerberaterin. „Am Anfang war das Arbeitsfeld neu und meine Stelle lange die einzige in Lüneburg.“ Doch der Bedarf wurde auch andernorts erkannt: Inzwischen gibt es eine Handvoll Schuldnerberatungen von verschiedenen Trägern und Vereinen in der Hansestadt. „Der Bedarf ist extrem gestiegen. Die Gesamtverschuldung hat zugenommen“, meint Anke Gottwald, die inzwischen Verstärkung von zwei weiteren Schuldnerberaterinnen und einer Verwaltungskraft hat. Um eine fundierte Schuldnerberatung anbieten zu können, ist eine Ausbildung in den verschiedensten Bereichen vonnöten. So sollte man sich in vielen rechtlichen Bereichen wie Mahn- und Vollstreckungsrecht, Vertrags- und Sozialrecht gut auskennen, aber auch in Kreditwesen sowie Miet- und Energieangelegenheiten. „Es gehört auch zu meiner Arbeit, Bescheide zu überprüfen, denn auch die Ämter machen mal Fehler“, erklärt die Sozialarbeiterin. Als häufigste Ursachen für Verschuldung sieht Anke Gottwald die Arbeitslosigkeit und Krankheit. „Da ist immer die Frage, was war zuerst da.“ Die soziale Schuldnerberatung der Diakonie ist grundsätzlich kostenlos. Die Schuldner werden vom Amt oder Gerichtsvollzieher zu ihr geschickt oder kommen von alleine, auch Banken verweisen auf die Schuldnerberatung. „Manche kennen es auch aus dem Fernsehen“, so Anke Gottwald. Grundsätzlich gab es ein Umdenken: „Es ist salonfähig geworden, zur Schuldnerberatung zu gehen. Früher war es verpönt, Schulden zu machen, heute ist das ja schon Teil der Marketingstrategie von Unternehmen.“

Alle Seiten brauchen Geduld

Wer Hilfe durch die Schuldnerberatung sucht, muss in der Regel nicht lange auf einen Termin warten. Doch die Hoffnung, seine Schulden innerhalb kürzester Zeit loszuwerden, darf niemand haben. Der Schuldenabbau ist ein langwieriger Prozess, den die Beraterin dem Schuldner nicht komplett abnehmen kann – er muss selbst seinen Beitrag leisten. Dazu gehören Selbstdisziplin und gegebenenfalls die Bereitschaft, an der eigenen Lebensführung etwas zu verändern. „Die Menschen wollen am liebsten die Schulden bei mir abgeben und alles hinter sich lassen. Aber das kann sich lange hinziehen“, erklärt die Sozialarbeiterin. Bei einer laufenden Schuldnerberatung finden die Beratungsgespräche in der Regel alle vier bis fünf Wochen statt. Die Beratung kann sich über anderthalb Jahre erstrecken. „Alle Seiten müssen viel Geduld mitbringen“, so Anke Gottwald. Der Einstieg in die Schuldnerberatung läuft immer gleich ab: Für einen Gesamtüberblick werden Lebenssituation, Familienstand, Beruf, Einkommen, Ausgaben und natürlich die entstandenen Schulden erörtert. Was belastet mich am

meisten? Was ist akut und hat Priorität? Das seien am Anfang die wichtigsten Fragen, so Anke Gottwald. So könnten Mietschulden zur Wohnungskündigung oder Energieschulden zur Energiesperre führen, auch bei drohender Kontopfändung sei schnelles Handeln nötig. Geldstrafen haben ebenso Priorität. In den vergangenen Jahren hat sich vieles in ihrem Beruf verändert, vor allem durch den Bereich Telekommunikation. „Die Ansprüche haben sich verändert. Handy und Tablet gehören für jeden zum Leben“, erzählt sie. „Doch bei vielen bleibt es eben nicht nur bei einem Vertrag.“ Auch das Internet habe die Schuldenlage stark verschärft, denn Onlineshops ermöglichen jedem das Einkaufen auf Pump. Was man aber auch nicht vergessen dürfe, seien die gestiegenen Lebenskos-ten. „Die Energiepreise sind extrem gestiegen, ebenso die Mieten und Nebenkosten.“

Den Schuldnern Ängste nehmen

Nach dem ersten Gespräch geht es für die Schuldner ans Eingemachte: Für einen kompletten Überblick sollte er zum nächsten Termin alle Unterlagen mitbringen, die er über seine finanzielle Lage finden kann. In einer Art Inventur wird dann die Anzahl der Gläubiger überschlagen. Dabei erhält Anke Gottwald immer wieder tiefe Einblicke in das Leben der Schuldner. „Bei der Durchsicht spiegelt sich immer ein Stück Lebenslauf wider.“ Schnell würden auch die tragischen Seiten der Schulden zutage kommen. Anke Gottwald erinnert sich noch gut an einen Mann, dessen Mutter in seinem Namen zahlreiche Waren im Internet bestellt hatte, die er nicht bezahlen konnte. Oder an die Frau, die so weit für ihren Mann bürgte, dass sie in die Schuldenfalle geriet. „Ich glaube, die meisten sind nicht selbst Schuld an ihrer Verschuldung“, resümiert sie aus ihrer langjährigen Tätigkeit. In vielen Fällen gestaltet sich der Überblick über die Schuldenlage jedoch schwierig. Manchmal ist Post verschwunden oder liegt ungeöffnet in Schubladen. Die Schuldnerberaterin hält deshalb im nächsten Schritt die Schuldner an, Kontakt zu den Gläubigern aufzunehmen, um den aktuellen Schuldenstand zu erfahren. „Ich mache den Menschen Mut, nicht mehr den Kopf in den Sand zu stecken. Das ist auch eine meiner Aufgaben, ihnen die Ängste zu nehmen“, erklärt die 60-Jährige. Viele kommen aus reiner Existenznot in die Beratung. Wenn das Geld nicht mal mehr für das tägliche Leben reicht, muss sich irgendetwas ändern. „Zuerst sollte man an Ausgaben für das tägliche Leben denken, erst dann sollte ich sehen, was ich für andere Dinge ausgebe“, so ihre Devise. Viele ihrer Schützlinge ständen schon vor dem Chaos, wenn notwendige Haushaltsgegenstände wie die Waschmaschine kaputt gehen würden. Dass diese gebraucht werden, zweifelt niemand an. „Aber es muss dann nicht gleich eine neue, teure Waschmaschine sein“, so ihre Meinung. Sie redet mit ihren Schützlingen auch Klartext, versucht, sie zum Umdenken zu bewegen. „Ich rate dazu, bewusst zu konsumieren, aber man muss Zeit geben. Das sind Verhaltensmuster, die sich nicht so leicht ändern lassen.“ Es gehört zu ihrer Arbeit, eine Budgetplanung mit den Schuldnern zu machen, um zu schauen, was veränderbar ist. „Oft muss ich Basics vermitteln, zum Beispiel, dass man regelmäßig auf sein Konto guckt.“

Tipps zur Kostenreduzierung

Die Schuldnerberaterin gibt in vielen Bereichen Tipps zur Kostenreduzierung. „Oft zahlen sie für Kredite horrende Summen ab. Da rate ich auch zum Konto- oder Bankwechsel“, erklärt sie. Sie empfehle auch die Kündigung von Handyverträgen und den Umstieg auf Prepaid-Handys sowie den Wechsel zu günstigeren Energieversorgern. Auch nicht jede Versicherung sei notwendig. „Anderthalb Jahre bei der Sparkasse haben mich geprägt.“ Die monatelangen Beratungsgespräche gehen auch an der Schuldnerberaterin nicht spurlos vorüber: Viele ihrer Schützlinge wachsen ihr ans Herz. Anderen Klienten merkt sie die Erleichterung an, wenn sie nie wieder zu ihr kommen müssen. Auch Mitleid empfindet sie manches Mal, „vor allem, wenn eine Krankheit dazu kommt oder es ganz junge Leute sind.“ Oft leistet sie psychologischen Beistand, muss Mut machen und Perspektiven schaffen. Die Beratungen sollen neben der Schuldenregulierung Ruhe ins Leben der Schuldner bringen und sie wieder handlungsfähig machen. Mögliche Ergebnisse sind ein Zeitgewinn bei den Gläubigern, ein Vergleich mit ihnen – oder die Privatinsolvenz. Ein Vorteil des Insolvenzverfahrens ist die Schuldenfreiheit am Ende, doch man darf sechs Jahre lang keine weiteren Schulden machen. Während dieser Zeit wird das an Schulden abgetragen, was vom Einkommen und Vermögen pfändbar ist. Vor gut 30 Jahren glaubte Anke Gottwald nicht, dass die Schuldnerberatung ihr so viel geben würde. „Ich freue mich, dass ich etwas bewirken und Lebensumstände zum Guten wenden kann. Das tut auch mir gut“, resümiert sie. Und was hat sie für ihr eigenes Leben gelernt? „Dass nichts im Leben sicher ist. Unfall, Trennung oder Arbeitslosigkeit können jeden treffen.“ (JVE)

Wenn das Geld nicht reicht
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