Sexual harassment at work. Man touching woman's butt.

Ist ein schlüpfriger Witz schon „seelische Vergewaltigung“?

Ist Harvey Weinstein überall? Seit dem feisten Ex-Hollywood-Produzenten von dutzenden Frauen vorgeworfen wurde, sie sexuell belästigt zu haben, ist das Thema in der internationalen Öffentlichkeit breit diskutiert worden. Vor allem in den sozialen Medien gab und gibt es unzählige Nachrichten unter dem Hashtag #MeToo. Viele teilen dort ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung.  Auch hierzulande läuft die Sexismus-Debatte heiß. Eifrig wird darüber diskutiert, was die Männerwelt sich Frauen gegenüber alles zu erlauben glaubt und geleistet hat. Eine Frage drängt sich da ganz automatisch auf: Sind alle Männer Schweine, oder schießt vielleicht die ganze Diskussion doch übers Ziel hinaus?

 Ein Problem ist: Viele der angeführten Fälle scheinen sehr individuell zu sein. Was der eine als schmeichelhaft empfindet, sieht die andere bereits als sexuelle Belästigung. Daraus entsteht Unsicherheit, und die drückt sich auch dadurch aus, dass unter dem Schlagwort Sexismus mittlerweile höchst unterschiedliche Vorfälle zusammengefasst werden. Am Rande von „#MeToo“ und ähnlichen Diskussionen ist zum Beispiel erst von einem erzwungenen Oralverkehr die Rede, einem Verbrechens-Tatbestand also, und dann wieder von einem Mann, der im Büro gerne schlüpfrige Witze erzählt. Das sei für dessen Kolleginnen eine „seelische Vergewaltigung“, heißt es dazu im Netz. Doch hilft eine solche Trivialisierung wirklich? Den ungezählten – und oft nicht erzählten – echten, schweren Fällen wird sie wohl eher nicht gerecht. Denn es gibt Unterschiede: Das Strafrecht kennt kein „#MeToo“, sondern es reicht von Beleidigung auf sexueller Grundlage über sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Alles schlimm, aber eben auch alles anders. Das Elend der aktuellen Debatte ist: In Wirklichkeit wollen alle Seiten möglichst schnell generalisieren. Jedes Ereignis gilt als exemplarisch. Männer sollen über sich nachdenken, weil in den USA ein Kretin seine Machtposition missbraucht hat. Frauen gelten dagegen als geifernde Feministenweiber, weil diese tatsächlich nicht mehr schweigen müssen. Ihnen wird vorgeworfen, sich „erst jetzt“ zu melden. Und insgeheim wird den meisten Vorwürfen nicht geglaubt. Immerhin, so heißt es, können Frauen mit dem Sexismus-Vorwurf sogar Macht ausüben, indem sie Männer fälschlich beschuldigen. Das kann heutzutage Existenzen vernichten, weshalb es zum Beispiel schon Uni-Professoren geben soll, die sich weigern, mit ihren Studentinnen allein einen Fahrstuhl zu betreten. Wo fängt sexuelle Belästigung von Frauen tatsächlich an? Letztlich hängt das wohl von der individuellen Toleranzgrenze jeder Frau ab, und die ist offenbar auch abhängig davon, wo man beziehungsweise Frau sozialisiert worden ist.

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov in sieben europäischen Ländern zeigt jedenfalls: In Deutschland haben viele Menschen anscheinend eine relativ hohe Toleranzgrenze – ganz anders als etwa in Großbritannien und Frankreich. Bei vielen Aspekten seien sich die Befragten in den verschiedenen Ländern zwar einig, schlussfolgern die Meinungsforscher. So sei es jeweils für die Mehrheit ein No-Go, wenn Männer Frauen zu sexuellen Gefälligkeiten auffordern, ihnen an den Po fassen, Genitalien entblößen oder versuchen, Frauen unter den Rock zu fotografieren. Bei anderen Aspekten gelte jedoch: „Andere Länder, andere Sitten.“ Die Mehrheit der britischen und französischen Frauen betrachtet laut YouGov – anders als in Deutschland und den skandinavischen Ländern – zum Beispiel bereits den Blick aufs Dekolleté als sexuelle Belästigung. Auffallend ist, dass ausgerechnet die Franzosen, die gemeinhin als besonders gut im Flirten gelten, wesentlich häufiger als die übrigen Befragten sagen, schon Zuzwinkern könne sexuell belästigend sein. Fast jeder vierte Franzose sieht das so. In Deutschland antworteten gerade einmal sechs Prozent entsprechend, wobei Männer und Frauen nahezu einer Meinung sind. Wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten die Würde der betroffenen Person verletzt, spricht man von sexueller Belästigung. Dazu zählen laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz:

FLUGENTSCHÄDIGUNG

  • Unerwünschte sexuelle Handlungen (oder die Aufforderung dazu), zum Beispiel das Suchen bedrängender, körperlicher Nähe oder Einladungen mit eindeutigem Inhalt
  • Sexuell bestimmte, körperliche Berührungen wie ein Klaps auf den Po oder scheinbar zufälliger Griff an die Brust
  • Bemerkungen sexuellen Inhalts wie anzügliche Witze oder sexuelle Anspielungen
  • Nicht erwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen

Jede sexuelle Handlung, die an einer anderen Person gegen deren Willen vorgenommen wird, gilt zudem als eine Form von sexueller Gewalt. Am Arbeitsplatz ergeben sich durch die tägliche Zusammenarbeit und die organisatorischen Strukturen spezielle Formen der sexuellen Belästigung. So zeichnet sich sexuelle Belästigung, ergänzend zu den im Gleichbehandlungsgesetz genannten Punkten, aus durch:

  • die Androhung beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung
  • das Versprechen von Vorteilen bei sexuellem Entgegenkommen bis hin zur Vergewaltigung
  • aufdringliche, unangenehme Blicke
  • nicht erwünschte Mails mit sexuellen Inhalten
  • unerwünschtes Zeigen oder Zusenden von Bildern mit pornografischen Inhalten

Interessant: Männer erfahren eher sexuelle Belästigung durch Mails oder SMS, Frauen direkt im Büro, auf den Fluren oder im Fahrstuhl. (RT)

Hilfe & Beratung

– Opferhilfe Weißer Ring: Tel. 11 60 06

– Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: Tel. 08000 116016, kostenfreie Hilfe in 15 Sprachen

– Antidiskriminierungsstelle: Tel. (0 30) 1 85 55 – 18 65, kostenlos, vermittelt an geeignete Beratungsstellen weiter

 

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