Matthias Kuchta ist Puppenspieler und Puppenbauer

Fast wäre Matthias Kuchta Lehrer geworden. Doch als er nach seinem Geschichts- und Slavistik-Studium ins Referendariat ging, entschied er sich für seine wahre Leidenschaft – das Puppentheater. Seit bald 40 Jahren arbeitet er als Puppenspieler. Seine großen Figuren baut er selbst. Matthias Kuchta ist in Schleswig-Holstein aufgewachsen, deshalb zieht es ihn immer wieder in den Norden. Während sein Erstwohnsitz im rheinländischen Langenfeld ist, lebt er auch einen großen Teil des Jahres im Raum Lüneburg, wo er zur Ruhe kommen kann. 1992 kaufte der heute 70-Jährige einen alten Resthof im Bleckeder Ortsteil Radegast. Neben seiner Wohnung und einer Gästewohnung befinden sich hier auch ein Puppenlager und eine Werkstatt. Als sich Matthias Kuchta für das Puppentheater entschied, nahm seine Laufbahn schnell Fahrt auf. Am Ende seiner dreijährigen Ausbildung am Figurentheaterkolleg des Deutschen Instituts für Puppenspiel in Bochum führte er als Diplomarbeit „Die Bremer Stadtmusikanten” auf. Bei dieser Ins-zenierung sprach ihn ein Zuschauer an und lud ihn ein, bei einem Theater-Festival in Hong Kong zu spielen. Vor Ort in Hong Kong sprach ihn erneut ein Zuschauer an – ein Mitarbeiter des Goethe-Instituts, der ihm weitere Aufträge in Aussicht stellte. „Ab dann habe ich weltweit gespielt, es gab viele Folgeaufträge”, erinnert sich Kuchta. „Ich habe immer die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt getroffen. Ich habe wirklich viel Glück gehabt.” Sein 1982 gegründetes Figurentheater „Lille Kartofler” (Dänisch: Kleine Kartoffeln) ist seit Jahren gefragt, sein Terminkalender stets ausgebucht. Matthias Kuchtas Puppentheater zeichnet sich durch die besondere Größe seiner Figuren aus. „Ich mag die Objekte anfassen, den unmittelbaren Kontakt. Ich spiele nicht gerne mit Marionetten”, sagt er. Während seines Lehramts-Studiums arbeitete er nebenher an einem Puppentheater, doch große Puppen interessierten ihn mehr. „Mein Theater hat keine vierte Wand und keine Guckkastenbühne”, erklärt er. Mit seinen fast lebensgroßen Figuren steht der Puppenspieler zusammen auf der Bühne, geht von Figur zu Figur, führt mal die eine, mal die andere, spricht ihre Stimmen und tritt ebenso mit ihnen in den Dialog. „Ich bin Erzähler, Schauspieler und Puppenspieler“, so Matthias Kuchta.

Gesichter spiegeln Leben wider

Viele seiner großen Figuren hat er selbst gebaut, unterstützt wird Kuchta von der Puppenbauerin Mechtild Nienaber. 250 Figuren hat er in seinen beiden Puppenlagern in Langenfeld und Radegast, so schätzt er. Sobald der Puppenspieler ein neues Stück im Sinn hat – in der Regel spielt er Märchen der Gebrüder Grimm und von Hans Christian Andersen – überlegt er sich, welche Charaktere er benötigt. Dem Puppenspieler und -bauer ist der besondere Ausdruck seiner Figuren wichtig. „Ich finde Gesichter sehr spannend, wenn sie das Leben widerspiegeln. Ich habe nichts von sehr schönen Figuren, es sollen ganz normale Menschen sein”, erklärt er. Dafür recherchiert er auch im Internet und überträgt dort gefundene Gesichter auf seine Entwürfe für die Puppengesichter. Das Gesicht von Frau Gothel aus „Rapunzel”, seinem neuesten Stück, guckte er sich zum Beispiel von Fotos einer amerikanischen Sängerin aus dem Internet ab. Das Gesicht von Rapunzel selbst ist angelehnt an das seiner eigenen Großtante Alma. „Man muss lange suchen, eh eine Figur gereift ist”, erklärt Matthias Kuchta. Von der ersten Idee bis zur Bühnenaufführung vergehen so rund drei bis vier Jahre. Das Bauen der Figuren für ein Stück dauert in der Regel ein bis zwei Wochen. Zunächst fertigt Kuchta eine genaue Zeichnung an. „Das Aussehen verändert sich aber beim Nähen. Mit den Stoffen kann man im Prozess neue Ausdrucksmöglichkeiten entdecken.” Das Gestalten des Kopfes braucht viel Zeit. „Dabei kann ich nicht wirklich nähen, eher bas-teln”, fügt der 70-Jährige hinzu. Gefüllt sind seine Figuren mit Polsterwatte, außen sind sie komplett aus Stoff. Von seiner Großmutter hat er eine riesige Stoffsammlung geerbt, aus der er vieles für seine Puppen verwendet. „Ich arbeite gern mit älteren Sachen.” Im Inneren haben seine Figuren Gelenke, die ihm ein Orthopädietechniker anfertigt. Dadurch können sie gut sitzen und sacken nicht in sich zusammen. An der Rückseite des Kopfes hat jede Puppe einen Holzgriff, damit Kuchta ihn drehen und führen kann. Mechtild Nienauer arbeitet mit Matthias Kuchta bereits seit 1985 zusammen. Damals war sie Studentin, heute ist sie eine gefragte Puppenbauerin. „Ich sage zu ihr: Mach mal ruhig ein bisschen schräge, ich brauche mehr die Karikaturen”, erzählt er. Einige von Matthias Kuchtas Figuren sind schon in die Jahre gekommen, doch das stört den Puppenspieler nicht. „Gebrauchsspuren finde ich sehr schön, das ist wie bei abgeliebten Kuscheltieren”, meint er. Außerhalb des Puppenspiels hat er kein emotionales Verhältnis zu seinen Puppen, sie gehören auch nicht in seine Wohnung. „Für mich sind das Arbeitsobjekte”, betont Kuchta.

Von Kindern viel gelernt

Matthias Kuchta beschäftigt sich für sein Puppenspiel viel mit Märchen. „Es gibt zirka 250 Grimmsche Märchen, nur die wenigsten sind bekannt”, erklärt er, „und viele sind sehr grausam.” Zu Hause liest er die Märchen nach. „Sie sind ja wie Gedichte in prägnanter Form, da ist so viel Lebenserfahrung drin”, schwärmt er. Sein Zugang zu den Märchen ist mit wachsendem Alter intensiver geworden. In der Regel spielt er vor Kindern und ihren Eltern, gelegentlich auch nur für Erwachsene. Für viele Stücke arbeitet Matthias Kuchta mit Theater-Regisseuren zusammen, die Erwachsenenstücke sind in der Regel Auftragsproduktionen. Vor Erwachsenen zu spielen, empfindet der Puppenspieler als anstrengender als vor Kindern. „Das Erwachsenenpublikum hält sich viel mehr zurück”, erklärt er. „Wenn das Publikum mit einbezogen wird, will ich niemanden vorführen. Bei Kindern ist es etwas Anderes, die freuen sich – Erwachsene sind da viel vorsichtiger.” Immer wieder beobachtet Matthias Kuchta, dass Erwachsene sich an dem ungewöhnlichen Aussehen seiner Puppen stören. „Kinder stört das nicht. Für sie muss die Gefühlswelt stimmen”, ist er überzeugt. Von Kindern, auch denen seiner Lebenspartnerin, hat er für seine Arbeit viel gelernt, zum Beispiel die kindliche Logik oder den spielerischen Umgang mit der Wirklichkeit. Wenn er ein Stück neu inszeniert, probiert er es zunächst vor einer Kindergruppe aus, so auch an der Grundschule in Bleckede. „Neue Stücke sind immer eine Herausforderung, vor jeder Premiere ist das eine Angstpartie”, so Kuchta. In der Region Lüneburg hat der Puppenspieler mit seinem Lille Kartofler Figurentheater etwa zehn regelmäßige Veranstaltungsorte, darunter die Bibliothek in Adendorf und die Grundschule in Reppenstedt. In Radegast ist er jeden Sommer im Pfarrgarten zu Gast, bei schlechtem Wetter in der Scheune. Hatte er früher rund 300 Aufführungen im Jahr, hat er sie nun auf die Hälfte zusammengekürzt. Auch auf seine Tourneen in die USA verzichtet er inzwischen. „Ich schraube etwas zurück, es wurde auch schwieriger mit dem Arbeitsvisum für die USA”, erklärt er. Kuchta blickt auf tolle Erlebnisse rund um die Welt zurück, hat neben ganz Deutschland viel in Frankreich, Österreich, Kanada, Asien und den USA gespielt. Seine Stücke beherrscht er auch auf Englisch und Französisch. Wurde er anfangs noch auf seinen deutschen Akzent im Englischen angesprochen, der irgendwie zu Grimms Märchen passte, spricht Kuchta inzwischen fließend Englisch und Französisch.

Nichts bringt ihn aus der Ruhe

Über die Jahre sieht Matthias Kuchta seine Arbeit gelassener, und während einer Vorstellung kann ihn nichts mehr aus der Ruhe bringen. Reißt bei Schneewittchen aus Versehen ein Bein ab, während ein Zuschauerkind es festhält und er weitergeht, rettet er die Situation durch Improvisation. „Dann müssen erstmal alle pusten und Schneewittchen wird gefragt, ob es mit einem Bein weiterspielen will”, erzählt der Puppenspieler. Das Lachen muss er in solchen Momenten zurückhalten. Manchmal stehen auch Kinder am Bühnenrand und wollen mitspielen, andere rufen erbost etwas ins Stück hinein, bis hin zu: „Frau Königin ist ein Arschloch!” Mit zunehmender Erfahrung und höherem Alter begegnet Matthias Kuchta solchen Ereignissen entspannter. „Früher kam ich schon ganz schön ins Schwitzen”, erinnert sich der 70-Jährige. Er vermutet, dass er auf die Kinder durch sein Alter eine andere Ausstrahlung und an Glaubwürdigkeit dazu gewonnen hat. Puppenspiel ist nicht nur im Theater angesagt, heute sieht man es auch viel im Fernsehen, gerade im Comedy-Bereich. Matthias Kuchtas fast lebensgroße Puppen sind aber immer noch eine Seltenheit. „Ich habe wohl mit den großen Figuren eine Art Nische gefunden”, meint er. Der Puppenspieler sieht sich selbst als sehr zurückhaltenden Menschen, der schon als Kind mit seinem Kasperletheater seine Schüchternheit überspielen konnte. „Die Bühne ist ein sehr geschützter Raum. Ich bin ja in einer Geschichte, und die Geschichte gibt mir Sicherheit”, erklärt er. Obwohl Matthias Kuchta schon das Rentenalter erreicht hat, denkt er noch nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: „Ich möchte gerne mal eine Erwachsenen-Inszenierung mit politischem Inhalt machen”, sagt er. Grundsätzlich möchte er so lange mit seinem Figurentheater weitermachen, wie es ihm noch Spaß bringt und sein Körper mitmacht. „Ein Maler oder Schriftsteller hört ja im Rentenalter auch nicht einfach auf.” (JVE)

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