Sind die alten Seuchen zurück?
In den vergangenen Monaten hatten Ärzte in ganz Deutschland, auch in Lüneburg, alle Hände voll zu tun. Nicht nur die Grippe, auch andere wesentlich gefährlichere Erkrankungen sorgten für überfüllte Wartezimmer. Vor wenigen Wochen, am 24. März, war wieder Welttuberkulosetag. Der Tag, an dem Robert Koch 1882 den bahnbrechenden Vortrag über die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers, Mycobacterium tuberculosis, gehalten hat. Doch auch 136 Jahre (!) später gehört Tuberkulose mit fast 1,7 Millionen Todesfällen pro Jahr immer noch zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit. Geschätzt 10,4 Millionen Menschen erkrankten 2016, darunter fast eine halbe Million an multiresistenter Tuberkulose, bei der die beiden wichtigsten Tuberkulose-Medikamente nicht mehr wirken.
Ein Viertel der Weltbevölkerung soll mit dem Bakterium infiziert sein und stellt ein Reservoir für spätere Erkrankungen dar. Warum ist Tuberkulose noch immer nicht besiegt, obwohl wir das Bakteriengenom entschlüsselt haben? Zum einen, weil noch lange nicht alle Menschen in vollem Umfang von diesen Errungenschaften profitieren. Zum anderen, weil die bislang erreichten Fortschritte bei weitem nicht ausreichen und die Forschung die Tuberkulose über Jahrzehnte sträflich vernachlässigt hat, sagen Experten: So steht kein hochwirksamer Impfstoff zur Verfügung, dauert die antibiotische Behandlung mindestens ein halbes Jahr statt weniger Tage und sind die Behandlungsoptionen bei komplex resis-tenten Tuberkulosen unbefriedigend. Was nur wenige wissen: Auch in Niedersachsen tritt die Krankheit wieder vermehrt auf. Vor allem in größeren Städten, doch nicht nur hier: Der Landkreis Lüneburg ist nicht verschont worden.
Von 2001 bis 2010 konnte in Niedersachsen noch ein kontinuierlicher Rückgang der TBC-Meldungen verzeichnet werden, sagt Holger Scharlach vom niedersächsischen Gesundheitsamt. Seit 2013 steigen die Zahlen landesweit wieder. Scharlach sieht einen Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise, da diese oft aus Ländern, in denen Tuberkulose viel häufiger verbreitet ist als hier, kommen. Bei den medizinischen Eingangsuntersuchungen wird deshalb besonders auf die Tuberkulose geachtet. Doch nicht nur TBC beunruhigt die Experten: Auf dem Vormarsch ist bundesweit auch die Krätze, bei Medizinern auch unter dem Namen Skabies bekannt. In den vergangenen Jahren fanden sich vermehrt Patienten mit der von Krätzmilben ausgelösten Erkrankung in deutschen Arztpraxen ein. Tendenz weiter steigend. Gravierender ist die steigende Zahl von am sogenannten Hantavirus Erkrankten. Als Überträger der Hantavirus-Infektion sind Rötelmäuse identifiziert worden, die das Virus mit Kot verbreiten. Werden die Ausscheidungen der infizierten Nager beispielsweise bei Reinigungsarbeiten (Fegen des Schuppens) aufgewirbelt und eingeatmet, sind grippeähnliche Symptome mit Fieber, Kopf- und Abdominalschmerzen bis hin zu Nierenfunk-tionsstörungen und akutem Nierenversagen die Folge. Im vergangenen Jahr gab es bereits eine Masern-Welle, und auch aktuell ist die Gefahr noch nicht vorbei. Das Virus wurde offenbar aus Südosteuropa eingeschleppt und breitet sich auch unter nicht geimpften Einheimischen aus. Gerade Risikogruppen verweigern aber zunehmend eine Schutzimpfung, verweisen, wenn man sie nach Gründen fragt, auf angeblich fehlende Wirksamkeit. Susanne Glasmacher vom Robert Koch-Institut (RKI) kann das nicht verstehen: „Selbst ein mäßiger Impfschutz ist immer noch besser als gar keiner. Wenn es draußen in Strömen regnet, hilft ein löchriger Schirm auch mehr als gar keinen dabei zu haben.“
Unbedingt gegen Gelbfieber sollten sich Südamerika-Reisende impfen lassen, rät das Auswärtige Amt. Im Februar und März wurden über die Auslandsvertretungen in Rio de Janeiro und London zwei Deutsche gemeldet, die sich auf der dem Bundesstaat Rio de Janeiro vorgelagerten, touristisch-hoch-frequentierten Insel Ilha Grande mit Gelbfieber infiziert hatten. Ein Patient wurde noch in Brasilien behandelt und überlebte den schweren Verlauf der Erkrankung ohne Folgen. Der zweite Patient verstarb, nachdem er noch im Transit auf dem Flughafen London so schwer erkrankte, dass er vor Ort in London intensivmedizinisch behandelt werden musste. Eine weitere erkrankte Deutsche erholte sich zum Glück aber wieder vollständig. Nach 1999 waren dies die ersten deutschen Staatsbürger, von denen bekannt ist, dass sie an Gelbfieber erkrankten. Gelbfieber zählt wie zum Beispiel. Ebola, die Tollwut oder auch die Pest, die gerade im Osten Afrikas ein bedrückendes „Comeback“ feiert, zu den Zoonosen, den Krankheiten also, deren Erreger Tiere wie Menschen gleichermaßen befallen. Auch das hochgefährliche Dengue-Virus, das jährlich rund 400 Millionen Menschen infiziert, gehört dazu. Vermeintlich durch den Klimawandel erobern tropische und subtropische Stechmückenarten immer neue Räume und bringen diese Krankheit auch zu uns. „Inzwischen gibt es erste Ausbrüche im Süden der Vereinigten Staaten, und ähnliche Entwicklungen können wir auch für Europa erwarten“, sagt Koert Ritmeijer, Leiter der Amsterdamer Forschungsabteilung „Vernachlässigte Tropenkrankheiten“ bei der Organisation Ärzte ohne Grenzen.
Was also tun: Kopf in den Sand und unter anderem das Reisen einstellen? Beim Gesundheitsamt Lüneburg hält man nichts von Panikmache: Der Infektionsschutz arbeitet gut, auch wenn erhöhte Vorsicht nicht schaden kann, heißt es. Was man selbst tun kann, ist Impfungen nicht zu vernachlässigen und von Infektionskrankheiten besonders betroffene Länder zu meiden. Mehr Infos zum Thema dazu erhält man beim Robert-Koch-Institut oder auch dem Auswärtigen Amt in Berlin. (RT)