Aerial view of modern industrial sewage treatment plant

Leuphana-Forscher warnen
vor Kollaps des Abwassersystems

Deutschlands Flüsse und Seen scheinen so sauber und rein wie lange nicht mehr zu sein. Schäumende Wasserläufe, stinkende Bäche und tot umhertreibende Fische gehören weitgehend der Vergangenheit an. Doch der Schein trügt. Schleichend, fast unmerklich, werden unsere Gewässer zu einer ökologischen Zeitbombe – verursacht durch einen Cocktail aus Chemikalien, Pestiziden und Arzneimittelrückständen. Schuld ist nicht die Industrie allein… 

Jeden Tag verbrauchen wir beim Duschen, Waschen oder auch beim Toilettengang ungefähr 120 Liter Wasser. Nach dem Verbrauch fließt das dreckige Wasser ab und verschwindet in den Rohren. Klingt ganz einfach: aus den Augen und aus dem Haus gleich aus dem Sinn. Doch so einfach ist es leider nicht. In die zentrale Lüneburger Kläranlage leiten auch die Samtgemeinden Bardowick, Gellersen, Ilmenau, Scharnebeck und Ostheide ihr Abwasser ein. Insgesamt sind hier 150.000 Einwohner an das gemeinsame Abwassernetz angeschlossen. Auch hier verwechseln viele ihre Toilette offenbar mit einem Mülleimer. Die Folge: Im Abwasser befinden sich oft Stoffe, die da nicht hinein gehören. Die natürlichen Ausscheidungen vom Menschen und das Toilettenpapier können in der Kläranlage leicht herausgefiltert werden. Problematisch aber sind chemische Stoffe, die über Konsumartikel oder Arzneimittel in das Abwasser gelangen. Zehn bis fünfzehn Prozent aller Medikamente werden nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes von Patienten gedankenlos in der Toilette entsorgt. Ein weiteres Problem sind Arzneien, die der menschliche Körper nicht vollständig verwerten kann und deshalb wieder ausscheidet. Bei Antibiotika werden durchschnittlich 70 Prozent der Wirkstoffe ausgeschieden, bei manchen anderen Substanzen sind es sogar über 80 Prozent. Dramatische Zahlen – nicht nur, weil große Mengen an Medikamenten keinen medizinischen Effekt haben, sondern auch, weil sie zunehmend unser Wasser kontaminieren. Selbst moderne Kläranlagen schaffen es nicht, diesen chemischen Cocktail vollständig zu beseitigen. In einem in der Wissenschaftszeitschrift Science erschienenen Beitrag beschreibt der Chemiker Prof. Dr. Klaus Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg zusammen mit Kollegen die aktuellen Probleme der Abwasserreinigung und Trinkwasseraufbereitung. Dabei geht es den Forschern nicht um eine Verteuflung der Chemikalien, die aus dem modernen Leben ohnehin nicht wegzudenken sind. Schließlich, so Experte Kümmerer, besteht „unsere ganze materielle Welt, auf der unser Lebensstandard beruht, aus letztendlich chemischen Produkten wie Textilien, Arzneimitteln, Flammschutzmitteln, Wärmedämmstoffen, Materialien der Elektronik und somit der Digitalisierung, Farben, Pestiziden, Waschmitteln et cetera. Diese müssen beispielsweise künftig so gestaltet sein, dass sie, sofern sie in die Umwelt gelangen, 

 

dort schnell und vollständig abbaubar sind.“ Doch genau dieses Wissen, dass viele chemische Stoffe eben auch große Probleme bereiten können, weil sie in den Wasserkreislauf und über diesen auch in die Nahrungskette gelangen, ist offenbar noch wenig verbreitet. Schon heute stößt die Abwasserreinigung an ihre Grenzen, wenn es darum geht, alle kritischen Stoffe zu entfernen. Immer aufwendigere Verfahren werden dafür benötigt. Dadurch steigen die Kosten, und auch der Einsatz zusätzlicher Chemikalien wird erforderlich. Trotzdem wird das Wasser nicht immer sauber, manchmal sogar zusätzlich verschmutzt. „Wir müssen viel größeren Wert darauf legen, dass kritische chemische Stoffe gar nicht erst ins Abwasser gelangen. Wo dies unvermeidlich ist, müssen chemische Stoffe und Arzneimittel von Anfang an so designt werden, dass sie in der Umwelt keinen Schaden anrichten“, ist Kümmerer überzeugt. Es sei viel effektiver, die Verschmutzung der Umwelt schon an der Quelle zu bekämpfen, als immer aufwendigere Reinigungsverfahren zu entwickeln. Für die Industrie bedeute dies, die Anzahl der verwendeten Chemikalien in den Produkten zu reduzieren, nicht-abbaubare durch abbaubare Stoffe zu ersetzen und unterschiedliche Abwässer möglichst getrennt zu halten, um sie leichter und besser reinigen zu können. (RT)

Was jeder tun (und vermeiden) kann

Bei allen Möglichkeiten, das Abwasser leichter zu klären, ist es vor allem der Verbraucher gefragt. Wenn jeder Einzelne darauf achtet, was und vor allem wie es in den Abfluss gerät, können höhere Kosten durch Maßnahmen zur Instandsetzung vermieden werden. Das schont dann auch den Geldbeutel.

Beispiele:

Farben und Lacke, Lösungsmittel, Fotochemikalien und Medikamente, erst recht Batterien oder andere Chemikalien und Giftstoffe dürfen weder in den Hausmüll noch ins Abwasser gelangen.

Auch Hygieneartikel haben nichts im Abfluss zu suchen. Feuchttücher zum Beispiel bereiten den Kläranlagen große Probleme. Sie verstricken sich zu Zöpfen und verstopfen die Pumpen.

Speiseöle und Speisefette fließen besonders schlecht ab, verhärten oder verharzen im Rohrleitungssystem. Aber auch im Kanalnetz lagern sich die Fette und Öle ab. Sie sind Nährboden für Bakterien, verursachen unangenehme Gerüche und Verstopfungen, die sich nur mit großem technischen Aufwand beseitigen lassen.

Noch schlimmer ist Motoröl. Bereits geringste Mengen Mineralöl können das Grundwasser vergiften und ungenießbar machen. Sie beeinträchtigen auch den Reinigungsprozess in Kläranlagen.

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