Die Lüneburger Lea Lensky und Victor Büchner haben biologisch abbaubare Masken entwickelt
An das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes haben wir uns schon gewöhnt. Doch durch die vielerorts obligatorischen medizinischen OP- und FFP2-Masken produzieren wir massenhaft Müll, der streng genommen Sondermüll ist und die Umwelt stark belastet. Und auch für den Menschen sind sie nicht frei von Schadstoffen. Zwei Lüneburger Studierende wollten das nicht so hinnehmen: Lea Lensky und Victor Büchner entwickelten Masken, die biologisch abbaubar sind. Sie gründeten die Firma Holy Shit, die Viva Mask ist ihr erstes Produkt. Lea Lensky (24) aus Braunschweig und Victor Büchner (23) aus Hamburg studieren in Lüneburg unterschiedliche Studiengänge, sie Betriebswirtschaftslehre und Kulturwissenschaften, er International Business Administration & Entrepreneurship am Leuphana College. Die beiden eint das Nebenfach Nachhaltigkeitswissenschaften, zusammen arbeiten sie als studentische Hilfskräfte bei Prof. Dr. Michael Braungart, Professor für Oködesign und zudem Wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Mit Professor Braungart als Gesellschafter gründeten die Studierenden im Mai 2020 die gemeinnützige GmbH „Holy Shit” mit Sitz in Lüneburg. Die Entwicklung der besonderen Masken wurde ihr erstes Projekt. Aus Daten des Bundeswirtschaftsministeriums hat Professor Braungart die zu erwartenden Abfallmengen hochgerechnet und ist so auf einen jährlichen Bedarf an Atemschutzmasken von etwa zwölf Milliarden Stück gekommen. Lea, Victor und andere Studierende erfuhren in seinem Seminar davon. „Da wollten wir etwas gegen tun”, so Lea Lensky.
Gesund für Umwelt und Menschen
Bei den neu entwickelten Masken geht es nicht nur um die Umwelt, sondern auch um die Gesundheit seiner Träger. Laut Angaben des Hamburger Umweltinstituts unter Braungarts Leitung enthielten die dort untersuchten Einwegmasken „teils erhebliche Mengen an Schadstoffen” wie etwa „flüchtige organische Kohlenwasserstoffe und Formaldehyd”. Zudem könnten gerade beim Tragen lungengängige Mikroplastikfasern eingeatmet werden, die sich dann im menschlichen Körper anreichern könnten. Obwohl man bei mehr als 2.000 Maskenherstellern die Ergebnisse sicher nicht pauschalisieren könne, so Victor, spielten diese Erkenntnisse bereits Maskenverweigerern in die Hände. Doch Lea stellt klar: „Wir sind keine Maskengegner, aber wir wollten gesunde Masken herstellen.” Während es am Anfang der Corona-Pandemie um die schnelle Versorgung der Bevölkerung mit Masken gegangen sei, sei nun die richtige Versorgung wichtig – nicht das Nichttragen. Die von Holy Shit entwickelten Alltagsmasken sind nicht nur biologisch abbaubar, sie gehen noch einen Schritt weiter: Sie entsprechen dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, übersetzt „von der Wiege zur Wiege”. Das Prinzip wurde Ende der neunziger Jahre von dem Umweltchemiker Prof. Dr. Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough begründet. Ihre Grundlage ist ein Produktdesign, bei dem Abrieb- und Verschleißprodukte und solche, die in biologische Systeme gelangen können, der Natur als Nährstoff zurückgeführt werden. So sollen technische Nährstoffe immer wieder verwendet werden können. Auch das Produkt Viva Mask sollte nach diesem Prinzip designt werden. „Cradle-to-Cradle definiert schon vorher, was drin ist. In der Kreislaufwirtschaft bleibt Müll einfach Müll”, so Victor, bei Cradle-to-Cradle blieben hingegen am Ende Nährstoffe für die Natur. Durch Professor Braungart, seine Erfahrung, finanzielle Unterstützung und guten Kontakte nahm das Projekt Viva Mask schnell an Fahrt auf – in einer Zeit, in der auch an der Universität weitgehend auf Präsenzveranstaltungen verzichtet wird. Bei ihrer Entwicklung griffen Lea Lensky und Victor Büchner auf eine Lis-te von rund 11.000 Materialien zurück, die für -Cr-adle-to-Cradle zertifiziert sind. Dafür mussten zunächst die Funktionen festgelegt und dann Materialien ausgewählt werden, wozu sie sich Stoffproben zuschicken ließen. „Ein halbes Jahr lang haben wir uns digital über Zoom getroffen, wir übernahmen die Materialseite”, erklärt Lea. Für den wissenschaftlichen Hintergrund stand Holy Shit in engem Kontakt mit Studierenden der Leuphana. Für die Textilherstellung ist das Schweizer Unternehmen Climatex AG zuständig, den Vertrieb übernimmt Viotrade.
Hauptmaterial Zellstoff
„Die Viva Mask war unser erstes Produkt überhaupt, wir wussten nicht, wie lange so eine Entwicklung dauert”, erklärt Lea. Nach fünf bis sechs Monaten stand das Produkt. „Viele Leute sind da mit großen Ambitionen rangegangen. Wir arbeiten glücklicherweise mit erfahrenen Unternehmen zusammen”, so Victor. „Und wir sind in der glücklichen Lage, dass Professor Braungart viele Kontakte hat.” Für ihre Viva Mask wählten Lea und Victor als Hauptmaterial einen Zellstoff aus Buchen- oder Eukalyptus-Holz. Dabei handelt es sich um schnell nachwachsende Rohstoffe aus FSC-zertifizierten Plantagen. Ihr Anbau benötigt nach eigenen Angaben etwa sechsmal weniger Ackerfläche als Baumwolle. Chemische Düngemittel oder genetische Manipulationen kommen nicht zum Einsatz. Die elastischen Ohrenbänder der Maske sind aus biologisch abbaubarem Elasthan. Nach ihrem Gebrauch könne die Viva Mask ohne Bedenken in biologische Systeme oder die Umwelt abgegeben werden, versichern die Hersteller – hier diene sie der Natur als Nährstoff. Masken von Viva Mask, die in drei Größen erhältlich sind, sind in der Anschaffung teurer als Einwegmasken, aber nicht teurer im Vergleich zu Mehrwegmasken. „Nach achtmal waschen ist man günstiger dabei”, erklärt Victor. Ihre Maske kann bis zu 50 Mal gewaschen werden, und das bei bis zu 95 Grad. Um auf die Tragepflicht von FFP2-, FFP3- oder OP-Masken zu reagieren, entwickelten die Studierenden zusätzlich einen Filter, der in die Maske geschoben wird. Der zu 99 Prozent biologisch abbaubare Zellulose-Filter hat bereits eine FFP3-Zertifizierung erhalten, während die Zertifizierung von Maske und Filter zusammen noch aussteht und bald erwartet wird. Seit ihrem Verkaufsstart im Oktober 2020 wurden rund 10.000 Viva Masks verkauft. Die Produktion erfolgt an Stätten in Deutschland, der Schweiz und Polen.
Beispielprodukt für Cradle-to-Cradle
Was den Stoff angeht, verspricht die Viva Mask nur gute Eigenschaften: Der antibakterielle, superweiche Stoff beuge Ausschlägen und Hautreizungen vor, sei hypoallergen, absorbiere 50 Prozent mehr Feuchtigkeit als Baumwolle und passe sich den Temperaturen an, so die Produktbeschreibung. Der Körper nehme durch den speziellen Mund-Nasen-Schutz kein Mikroplastik auf, die Maske enthalte nur biologische, hautverträgliche Materialien und einen vollkommen chlorfreien Fasertyp. Die Viva Mask ist für die Gründer und Geschäftsführer von Holy Shit erst der Anfang. „Die Maske soll ein Beispielprodukt sein, wie man es machen soll”, so Lea. Weitere Produkte nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip seien in Planung, aber noch geheim. „Im Grunde kann man jedes Produkt nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip herstellen”, ist Victor überzeugt. Während die beiden Studierenden maßgeblich an der Entwicklung der innovativen Masken beteiligt waren, zielt ihr Unternehmen Holy Shit künftig auf die wissenschaftliche Beratung ab, als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Finanzieller Gewinn spiele bei ihrer Firma keine Rolle. „Das ist eine Leidenschaft, eine Überzeugung”, so Victor, „da verdient eigentlich keiner was dran.” Auch wenn die beiden Studierenden ihren Mas-terabschluss vor Augen haben und vielleicht sogar Lüneburg verlassen wollen, soll Holy Shit ein Lüneburger Unternehmen bleiben. (JVE)