Holger Böttcher arbeitet ehrenamtlich für den Lauenburger Raddampfer Kaiser Wihel
Holger Böttcher hat von klein auf ein besonderes Verhältnis zum historischen Raddampfer Kaiser Wilhelm. Der Lauenburger arbeitet ehrenamtlich als Zahlmeister auf dem Museumsschiff. In Lauenburg aufgewachsen und mit einem ständigen Blick auf den Schornstein des Raddampfers, soll „Mein Kaiser Wilhelm” zu den ersten Worten gehört haben, die Böttcher als Kind von sich gab. Für den 50-Jährigen gehörte das Schiff, das in diesem Jahr ebenfalls 50 Jahre in Lauenburg beheimatet ist, immer zu seinem Leben. Seine erste Erinnerung: Als Schüler sollte er im Werkunterricht ein Fahrzeug mit Gummiantrieb bauen. „Da dachte ich mir, ich baue den Kaiser Wilhelm nach”, erinnert sich Böttcher. Das Ergebnis aus Styropor kam so gut an, dass es in Serie gehen sollte: Böttchers Vater hatte Kontakt zum „Vater” des Kaiser Wilhelm, Dr. Ernst Schmidt, und berichtete diesem von seinem Sohn und seinen Werken. Der 13-Jährige erhielt die Erlaubnis, seine Styropormodelle bei der Abfahrt des Raddampfers in Lauenburg an die Fahrgäste zu verkaufen. Zwei, drei Jahre waren Böttchers Modelle ein Verkaufsschlager – dann wollte der Jugendliche mehr. „Das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht, ich wollte auf dem Schiff mithelfen”, erzählt er. Als Decksjunge begann Holger Böttcher schließlich seine Karriere auf dem Kaiser Wilhelm. „Ich habe Messing geputzt, Mülleimer geleert und Spinnweben entfernt. Außerdem saß ich als stellvertretender Zahlmeister mit in der Zahlmeisterei”, berichtet der 50-Jährige. „Ich habe vieles durch Learning by doing gelernt.” Zehn Jahre war er in seiner Jugend auf den Fahrten des Raddampfers dabei. „Disco und Frauen waren mir damals gleichgültig.” 1995 war ein Punkt erreicht, als es Böttcher genug war. „Aber den Kaiser habe ich nie aus den Augen verloren.” Erst Jahre später, im Jahr 2013, sollte Holger Böttcher wieder auf dem Kaiser Wilhelm anheuern. „Das Schiff war nicht mehr im optimalen Zustand, und die damalige Crew hatte aufgehört”, so Böttcher. Ein Jahr zuvor waren das Schiff und der dazugehörige Verein zur Förderung des Lauenburger Elbschifffahrtsmuseums führungslos geworden. Der neue Vorsitzende und Kapitän wurde der Lauenburger Reeder Markus Reich. Bei einem Treffen der beiden fragte Reich ihn, ob er nicht wieder auf dem Kaiser Wilhelm anheuern wolle. „Ich habe eine Nacht überlegt, es war wirklich eine Herzenssache”, so Böttcher.
Gebaut für die Oberweser
Vier Jahre lang war Holger Böttcher ab 2013 ehrenamtlicher Geschäftsführer des Fördervereins, außerdem einige Jahre als Mitarbeiter der Stadt Lauenburg Museumsmanager des Elbschifffahrtsmuseums. Heute ist er als „Zahlmeister” für die Erstellung der Fahrpläne, Organisation von Sonderfahrten und das Abkassieren der Fahrgelder an Bord zuständig. Auch den Internet- und Facebook-Auftritt des Schiffes pflegt er. Die erste große Tour, die der Zahlmeister von vorne bis hinten planen sollte, war eine Sonderfahrt mit dem Raddampfer nach Dresden, wo er im Jahr 1900 gebaut worden war. 2015 fand die Fahrt, die für Böttcher mit einem riesigen Organisationsaufwand verbunden war, schließlich statt. „In ein bis anderthalb Jahren habe ich gelernt, wie man sowas organisiert”, berichtet er. Dazu gehören unter anderem die Berechnung der Etappen und die Zusammenarbeit mit Reiseunternehmen, die sich um Gepäck und Unterkünfte an Land kümmern. 2017 war das Schiff dann zum ersten Mal in Berlin. Gebaut wurde der Raddampfer Kaiser Wilhelm ursprünglich für die Oberweser-Dampfschifffahrt. Das 1910 noch einmal verlängerte Schiff hat seitdem eine Länge von gut 57 Metern und kann maximal 270 Fahrgäste transportieren. Es hat eine gemächliche Reisegeschwindigkeit von maximal 14,5 Stundenkilometern. Von 1900 bis 1970 war das Schiff ausschließlich im Liniendienst auf der Weser, bis es schließlich verschrottet werden sollte. „Dr. Ernst Schmidt ergriff die Initiative und sagte 1970: Ich hole das Schiff als Eins-zu-eins-Modell für unser Museum”, erzählt Böttcher. Wie viel Geld der Lauenburger Verein für das Schiff damals zahlte, ist unbekannt. Schmidt und seine Crew überführten das Schiff im Oktober 1970 schließlich über den Mittellandkanal, Magdeburg und die damalige DDR nach Lauenburg, wo es inzwischen zu einem Wahrzeichen geworden ist. „Seit 20, 30 Jahren finden es die Leute an der Weser schade, dass das Schiff nach Lauenburg verkauft wurde”, sagt Böttcher. „Es ist heute noch sehr beliebt an der Weser. Die Leute kommen extra von da, um sich das Schiff hier anzusehen.” Als er im vergangenen Jahr an der Oberweser zu Besuch war, war er fasziniert, wie herzlich die Leute auf ihn in seiner Kaiser-Wilhelm-Jacke reagierten und wie oft er angesprochen wurde.
Doppeljubiläum im Jahr 2020
Lauenburg kann stolz sein auf das Museums-Exponat in Originalgröße. Mit der Aufnahme der historischen Elbfahrten des Kaiser Wilhelm von Lauenburg aus wurde die erste deutsche Museumsdampferlinie begonnen. Das Schiff ist einer von weltweit nur fünf Raddampfern, die noch mit Kohle befeuert werden. „In seiner Lebenszeit hat er jetzt den dritten Dampfkessel, aber die Maschine ist weitestgehend im Originalzustand”, so Böttcher. Rund 1,5 Millionen Euro wurden gerade in Dampfkessel, Heck und Rudermaschine investiert. Dazu gab es 950.000 Euro Fördermittel vom Bund, den Rest muss der Verein selbst tragen. In diesem Jahr feiert der Raddampfer ein Doppeljubiläum: Zum einen ist er seit genau 50 Jahren in Lauenburg heimisch, zum anderen ist er genau 120 Jahre alt. „120 Jahre lang ist das Schiff jedes Jahr gefahren, selbst in Kriegszeiten. Es hat immer alles funktioniert”, so Böttcher. Das Doppeljubiläum sollte 2020 der Anlass sein für eine besondere Fahrt zur Weser, wo es einst im Einsatz war. Am 17. Juli sollte es in Lauenburg losgehen zu einer 17-tägigen Tour mit zahlreichen Zu- und Ausstiegen und Übernachtungen an Land. „Wir hatten über 3.000 Anmeldungen”, erklärt Holger Böttcher, der die gesamte Reise organisiert hat – und alles wegen der Corona-Pandemie wieder stornieren musste. „Mir persönlich war das relativ früh klar, dass die Reise ausfallen muss”, so Böttcher. Um den Sohn des letzten Weser-Kapitäns Adolf Kruse, Jan, als Lotsen mitnehmen zu können, musste die Weserfahrt nun um ganze zwei Jahre verschoben werden. Holger Böttcher freut sich, dass viele Gäste, die die Reise gebucht hatten, ihre Buchung aufrecht erhalten. „Es ist etwas sehr Emotionales, wieder an die Weser zu fahren”, meint er. 25 bis 30 Ehrenamtliche waren als Besatzung für die Weser-Reise eingeplant. Fährt das Schiff nach Plan von Lauenburg nach Bleckede oder Hitzacker, sind in der Regel 15 Ehrenamtliche an Bord. Der Verein ist auf die Mitwirkung von Ehrenamtlichen angewiesen und kann immer Hilfe gebrauchen. „Man muss da nichts gelernt haben, nur bereit sein, von anderen Rat anzunehmen”, erklärt der Zahlmeister. Zwar verfüge der Verein über rund 350 Mitglieder, doch die wenigsten würden vor Ort leben und könnten in irgendeiner Form mithelfen.
Schwimmendes Museum
Auch für Holger Böttcher, der hauptberuflich als Kaufmännischer Angestellter arbeitet, geht für sein Ehrenamt viel Freizeit drauf. „Ich bin jeden Tag mit dem Schiff beschäftigt. Ich habe auch schon am ersten Weihnachtstag einen Anruf bekommen von jemandem, der das Schiff chartern wollte.” Über „das Schiff” hat Böttcher vor einigen Jahren auch seine Lebensgefährtin Magret kennengelernt, die als Schatzmeisterin für den Verein tätig ist und auch Dienste an Bord übernimmt. Magret lebt in Hohnstorf auf der anderen Elbseite und ist mit dem Anblick des Raddampfers vor Lauenburg ebenfalls aufgewachsen. Der Raddampfer Kaiser Wilhelm ist gewöhnlich jedes Jahr von April bis Anfang Oktober an 12 bis 13 Wochenenden unterwegs, von Lauenburg nach Bleckede, Hitzacker oder Hamburg – oder als Mottofahrt mit Musik. Pro Saison werden rund 5.000 bis 6.000 Fahrgäste befördert. „Wir sind zum Glück nicht immer ausgebucht”, so Böttcher, „das würde die Besatzung nicht immer schaffen.” So seien samstags und sonntags immer 250 bis 270 Fahrgäste an Bord, 200 seien aber angenehmer. Der Raddampfer ist eine Art „schwimmendes Museum”: Wer Interesse hat, kann während der Fahrt auch einen Blick in den Maschinen- und Kesselraum werfen. Auch Deutschlands einzige Schiffs-Poststelle befindet sich seit 2006 an Bord. 2016 war ein Fernsehteam des NDR an Bord des Kaiser Wilhelm, um eine Fahrt mit dem Raddampfer von Lauenburg nach Hamburg in Echtzeit aufzunehmen. Diese wurde Pfingsten 2017 unter dem Titel „Die Elbe. Ganz in Ruhe” ausgestrahlt – fünf Stunden lang. „Danach konnten wir uns bei Hamburg-Fahrten vor Fahrgästen nicht mehr retten”, berichtet Holger Böttcher. Grundsätzlich empfiehlt er, sich für alle Fahrten rechtzeitig anzumelden.
Zu schmal für Mindestabstand
Die Corona-Pandemie macht dem Fahrplan des Kaiser Wilhelm zurzeit noch einen Strich durch die Rechnung. „Das Schiff ist 4,50 Meter breit, da ist das mit dem Mindestabstand ganz schwer“, meint Holger Böttcher. Aus Denkmalschutzgründen sei das Aufstellen von Plexiglasscheiben nicht erlaubt, zudem gebe es Probleme mit dem Durchfahren verschiedener Länder und Landkreise, da überall unterschiedliche Bestimmungen gelten würden. „Ich hoffe, dass wir im August wieder anfangen können, aber dann bestimmt mit einem anderen Fahrplan. Wir wissen noch nicht, was wir dürfen”, erklärt er. Auch der Förderverein des Lauenburger Elbschifffahrtsmuseums kann in Krisenzeiten jeden Cent gebrauchen, denn Fixkosten wie Versicherungen und Miete fallen natürlich trotzdem an. Der Raddampfer liegt zurzeit noch in der Hitzler-Werft in Lauenburg und wäre nicht sofort fahrbereit. Holger Böttcher weiß aus Erzählungen viel über das Schiff und ist der Einzige der heute noch Aktiven, der Dr. Ernst Schmidt persönlich kannte. Er kann sich momentan nicht vorstellen, seinen Einsatz für den Raddampfer irgendwann aufzugeben, zu groß ist die emotionale Bindung: „Es gibt Momente, wo ich sage, ich höre auf. Aber es gibt noch einige Ideen für Projekte. Ich will in fünf Jahren noch den 125. feiern und noch eine größere Reise machen. Es macht verdammt viel Arbeit und verdammt viel Spaß, eine Dampferfahrt wie 1900 für die Nachwelt aufrecht zu erhalten.” (JVE)