Tobias Schoor ist Lüneburgs neuer Stadtarchäologe
Graben, restaurieren, konservieren und in Lehre und Wissenschaft beschäftigt sein: All das sind Aufgabenbereiche von Archäologen. Die Stadt Lüneburg, deren Stadtarchäologe Prof. Dr. Edgar Ring im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen ist, hat seit Anfang des Jahres einen neuen Stadtarchäologen. Tobias Schoo bringt Erfahrung und Wissen aus vielfältigen Bereichen der Archäologie mit und tritt nun einen abwechslungsreichen Job an. „Ich weiß, es klingt abgedroschen, aber ich habe mich schon im Jugendalter für Geschichte interessiert”, erzählt der 29-Jährige. „Durch viele Museumsbesuche hat mich der Bereich der Archäologie besonders interessiert, und ich habe mit 12, 13 Jahren den Entschluss gefasst, nach dem Abitur Archäologe zu werden.” Wie er das erreichen sollte, wusste der gebürtige Nordhorner zu dem Zeitpunkt noch nicht. Da es in der Nähe seines Wohnortes in der Grafschaft Bent-heim Grabungsprojekte gab, besuchte er diese schon als Schüler im Rahmen von Führungen. Seine Eltern förderten Tobias Schoos geschichtliches Interesse, fuhren mit ihm zu Museen oder zu Römer- und Germanentagen in der Fundregion Kalkriese (Osnabrücker Land). Nach der Schule ging Tobias Schoo zum Studieren nach Münster, seine Fächer im Bereich der Archäologie: Prähistorische, Klassische, Frühchristliche, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie. „Archäologie ist eines der so genannten Orchideen-fächer, in dem immer nur etwa 60 bis 80 Studierende neu anfangen”, erklärt der Archäologe, der sich inzwischen auf die Teilbereiche Mittelalter und Neuzeit spezialisiert hat.
Archäologisch bekanntes Lüneburg
Obwohl die Stadt Lüneburg archäologisch bekannt ist – nicht zuletzt durch die Arbeit und Forschung seines Vorgängers Prof. Dr. Edgar Ring, fast 30 Jahre Stadtarchäologe in Lüneburg –, kannte Tobias Schoo die Hansestadt vor seiner Bewerbung nicht. „Ich bin am Vorabend des Bewerbungsgespräches in der Stadt angekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir vorgenommen, cool und abgeklärt in das Vorstellungsgespräch zu gehen. Doch als ich die Stadt gesehen habe, habe ich das nicht mehr hinbekommen, so entspannt zu sein – ich wollte die Stelle unbedingt haben”, erzählt er. Der Baubestand und das Gesamtpaket der Stelle reizten den jungen Archäologen sehr, der sich gegen knapp 30 Bewerber durchsetzen konnte. „Auch Promovierte und Habilitierte hatten sich beworben, solche Stellen sind hart umkämpft”, weiß Schoo, der zuletzt als Archäologe im Städtischen Museum Halberstadt beschäftigt war. Über die dortige Stadtarchäologie schreibt er zurzeit noch an seiner Dissertation. Zuvor hatte er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Halle gearbeitet und hier unter anderem Grabungen durchgeführt. Während seines Studiums war er auch schon an Grabungen beteiligt gewesen und hatte für Museen und Landesämter gearbeitet. „Es hat mir geholfen, im Studium in viele Bereiche reinzuschnuppern”, meint der Nordhorner. Ein Bereich interessiert ihn in der Archäologie besonders: die mittelalterliche Keramik, die er auch durch seinen Doktorvater besonders kennenlernte. „Keramiken verändern sich durch Modetrends”, weiß er, „damit kann man Handelskontakte nachweisen, denn Keramiken wurden weiträumig verhandelt.” Die Schnittstelle zwischen Archäologie und Kunstgeschichte macht für ihn einen besonderen Reiz aus: „In mittelalterlichen Kunstwerken werden oft alltägliche Objekte dargestellt, an denen man nachweisen kann, dass es regionale Trends gab, zum Beispiel unterschiedliche Glastypen.” Nach der Jobzusage im September ist Tobias Schoo im November nach Lüneburg gezogen. Zu seinem großen Glück fand er mit seiner Freundin, die in einigen Wochen nachkommen wird, eine Wohnung im Herzen Lüneburgs in der Heiligengeiststraße. Seit er seine neue Stelle als Stadtarchäologe angetreten hat, hat er alle Hände voll zu tun, denn sie vereint ganz verschiedene Bereiche. Zu 70 Prozent arbeitet er an der Unteren Denkmalschutzbehörde an der Neuen Sülze. Im Rahmen der Bauaufsicht wird er immer dann beteiligt, wenn im Stadtgebiet ein Bodeneingriff geplant wird. Dann muss er eine Stellungnahme abgeben, ob auf dem betreffenden Areal ein Bodendenkmal zu erwarten ist. Sollte dem so sein, werden Fachfirmen beauftragt, die eine Grabung vornehmen. Tobias Schoo koordiniert diese Abläufe im Hintergrund. Auch in der Denkmalpflege ist er unterstützend tätig.
Sammlungspflege im Museum
Zu 30 Prozent seiner Arbeitszeit ist Tobias Schoo außerdem für das Deutsche Salzmuseum und das Museum Lüneburg tätig, wo er die umfangreiche archäologische Sammlung und neu Ausgegrabenes betreut. Zur Sammlungspflege gehört das digitale Erfassen aller Stücke in einer Datenbank. Bei Anfragen zu Ausstellungen in externen Häusern setzt der Archäologe Leihverträge auf und ist an der Planung neuer Ausstellungen in Lüneburg beteiligt. „Neben dem Sammlungsmanagement bin ich auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig”, erklärt Schoo. So soll er bereits ab Februar an Führungen, Projekten und museumspädagogischen Angeboten mitwirken, die im Museum im Wechsel mit den Kolleginnen und Kollegen durchgeführt werden. „In jedem Museum stellen die ausgestellten Objekte nur einen Bruchteil dar. Es wird ein Großteil der tollsten Sachen ausgestellt, aber das Muse um hat viel in der Hinterhand”, so der Archäologe. „Die Sachen sollen aber nicht nur im Depot liegen. Es ist wichtig, dass wir sie auch zeigen und damit arbeiten.” Die Dauerausstellung des Museums Lüneburg ist vor fünf Jahren neu eingerichtet worden. „In der Dauerausstellung bekommt man einen guten Eindruck. Im Rahmen von Sonderausstellungen werden neue Dinge präsentiert”, erklärt Tobias Schoo. Im Rahmen der „Lüneburger Zeitreise”, die immer dienstags bis freitags um 15 Uhr im Museum angeboten wird, führen Kuratoren aus den verschiedenen Bereichen durch die Dauerausstellung – jeder aus seiner Sicht. Es lohne, sich die Führungen aus unterschiedlichen Sichtweisen anzuhören, so Schoo, der betont, dass auch bei geringer Nachfrage die Sonderführungen nicht ausfielen. Zur „Lüneburger Zeitreise” kommen die so genannten „Sonntagsgeschichten” dazu, Spezialführungen zu besonderen Themen, die sonntags um 15 Uhr stattfinden. „Es gibt so viele unterschiedliche Bereiche, ich werde mir sicher selbst sonntags mal die eine oder andere Führung ansehen”, so Tobias Schoo. Zur Einführung in seinen umfangreichen Job hat der neue Stadtarchäologe seinen Vorgänger Prof. Dr. Edgar Ring an seiner Seite, der ihn durch das Museum geführt hat und ihn berät. Neben den Objekten des Museums muss sich Tobias Schoo auch mit den Büchern im Bestand vertraut machen. Das Museum Lüneburg baut über den Verein für Lüneburger Stadtarchäologie eine Bibliothek auf. „Archäologie lebt von Vergleichen, dafür braucht man viel Literatur”, meint Schoo. „Es gibt einen regen Schriftentausch mit anderen Institutionen.”
Tausend Jahre Siedlungsgeschichte
Als Stadtarchäologe tätig zu sein, sieht Tobias Schoo als „Königsdisziplin” in seinem Beruf, so ist seine neue Stelle für ihn „der Jackpot”. „Wir haben mehr als tausend Jahre Siedlungsgeschichte am Ort, man findet im Stadtgebiet immer archäologische Substanz”, erklärt der 29-Jährige. Ob archäologische Funde ein Bauvorhaben beeinträchtigen würden, hänge immer vom Einzelfall ab. Da die Menschen sich „hochsiedeln” würden, das heißt, ihre Häuser auf dem Schutt vergangener Generationen aufbauen, sei zum Beispiel bei den Tiefbauarbeiten für eine Tiefgarage mit drei bis vier Etagen mit ziemlicher Sicherheit archäologisches Material auffindbar. „Wir befinden uns in einem Senkungsgebiet. Das bedeutet, dass die mittelalterlichen Schichten sich manchmal erst in fünf Metern Tiefe befinden”, so der Archäologe. Um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, wird der Stadtarchäologe bei größeren Bauvorhaben im Stadtgebiet mindestens vier Wochen vor Baubeginn in die Baumaßnahmen eingebunden. „Die Archäologen sind vor den Baumaßnahmen schon wieder weg”, so Schoo. Ob Funde zu erwarten sind, wird mit einer Datenbank abgeglichen, auf der bestätigte Fundstellen vermerkt sind. „Das Denkmalschutzgesetz sagt, auch vermutete Denkmale sind geschützt.” Von einem Bodendenkmal spreche man bei allem, was menschengemacht sei und sich im Boden befinde. „Unser Auftrag ist es, Denkmale für die Nachwelt zu erhalten, auch mit Fotos oder Zeichnungen”, stellt Tobias Schoo fest. Deshalb sei es auch in Ordnung, wenn ein Bodendenkmal unter einem Gebäude im Boden verbleibe: „Unter einem Gebäude ist es geschützt, dann bleibt es erhalten.” Ab was für einem Alter etwas jedoch als archäologisch relevant anzusehen sei, sei in der Fachwelt heiß umstritten. So würden zum Teil auch schon Funde aus der DDR-Zeit – wie Fluchttunnel – oder aus der NS- und Nachkriegszeit als archäologisch erhaltenswert angesehen. „Es ist aktuell Bestandteil der Diskussion, was man aufbewahren sollte.” Der Stadtarchäologe betont: Auch wenn er für die Boden- und Baudenkmalpflege zuständig sei, sei ihm nicht daran gelegen, Bauvorhaben zu verbieten, sondern die Denkmale vor allem zu erhalten. „Man findet in der Regel gemeinsam Lösungen”, ergänzt er. Das für ihn bedeutendste archäologische Fundstück, das Tobias Schoo jemals bei einer Grabung selbst ans Tageslicht holte, war auf einem römisch-germanischen Schlachtfeld am Harzrand eine Pfeilspitze aus Eisen. Das für ihn tollste Stück, das er jemals in der Hand hatte, war eine Babyrassel aus Keramik aus dem 13. Jahrhundert. Durch Bildquellen und schriftliche Quellen kann der Zweck von Objekten festgestellt werden, wenn er nicht sofort zuzuordnen ist. Wenn der Zweck auch unter Kollegen nicht feststellbar sei, schiebe man es gerne auf „irgendwas mit Kult oder Religion”, erzählt Schoo schmunzelnd. Funde seien oft nur fragmentarisch erhalten, „das ist wie Detektivarbeit.” Sei man jedoch früher auf Briefwechsel angewiesen gewesen, hätten das Internet und der Zugriff auf weltweite Datenbanken auch die Archäologie revolutioniert. (JVE)