André Novotny von der Stiftung Hof Schlüter organisiert Hilfstransporte für die Ukraine
Bei der Stiftung Hof Schlüter in Lüneburg laufen seit gut einem Monat die Telefone heiß. Die Stiftung, die seit Jahren humanitäre Hilfe in der Ukraine leistet, rückt seit dem Beginn des Krieges stark in die Öffentlichkeit. Vorstand André Novotny hat schon viel Erfahrung in der Organisation von Hilfstransporten. André Novotny (56) ist selbstständiger Bauingenieur in Lüneburg. Zum Arbeiten hat er seit Russ-lands Einmarsch in die Ukraine jedoch nur noch wenig Zeit. Acht Hilfstransporte in die Ukraine haben er und seine Mitarbeiter von der Stiftung schon auf den Weg gebracht. Dabei baut er auf seine guten Kontakte in das vom Krieg gebeutelte Land. Die Spendenbereitschaft in Lüneburg ist groß. Die gemeinnützige Stiftung Hof Schlüter wurde 1997 gegründet. „Sie geht aus dem Vermögen des Landwirtsehepaars Lucie und Wilhelm Schlüter aus Alt-Hagen hervor”, erklärt André Novotny, seit zwei Jahren Vorstand der Stiftung. Sein Vater, Peter Novotny aus Scharnebeck, hatte die Stiftung gegründet und sich mehr als 20 Jahre bis zu seinem Tod 2019 dafür engagiert.
Mit dem Knüppel vom Feld gejagt
Zueinander gefunden hätten sein Vater und Wilhelm Schlüter durch eine witzige Begebenheit, erzählt André Novotny. Als Bauingenieur der Straßenbauverwaltung des Landes Niedersachsen sei sein Vater, damals für die Ortsumgehung zuständig, zu einer Ortsbesichtigung auf den Feldern unterwegs gewesen, die zu den Liegenschaften der Schlüters gehörten. „Wilhelm Schlüter hat meinen Vater mit einem Knüppel vom Feld gejagt”, so André Novotny. Doch weil es seinem Vater wichtig gewesen sei, sich wieder gut miteinander zu stellen, habe er die Schlüters erneut aufgesucht und sich mit ihnen vertragen. Das war Anfang der neunziger Jahre. Peter Novotny kümmerte sich im Verlauf um die Finanzen der Schlüters und hatte die Idee, aus ihrem Vermögen eine Stiftung zu gründen, da die Schlüters keine Nachkommen hatten. Als Testamentsvollstrecker kümmerte er sich zudem um die Liegenschaften der Eheleute. So wurden auf dem Baugrund von Wilhelm Schlüter im Neubaugebiet Bülows Kamp im Jahr 1994 die ersten Häuser gebaut. Die Grundstücke werden im Erbbaurecht an die Eigenheimbesitzer übergeben. „Die Stiftung finanziert sich über die Erbpacht”, so André Novotny, „so kommt pro Jahr eine hohe Summe zusammen.” Auch in der Automeile im Gewerbegebiet Bilmer Berg übergab die Stiftung Bauland im Erbbaurecht. Die Verträge laufen über 99 Jahre. Als die Stiftung im Juli 1997 an den Start ging, engagierte sie sich zunächst ausschließlich in sozialen Projekten in Deutschland. Mehr als 20 Kinder- und Jugendprojekte alleine in Stadt und Landkreis Lüneburg wurden gefördert, darunter das SCHUBZ, die Hausaufgabenhilfe St. Stephanus oder das Kinder- und Jugendtelefon. Eine Verbindung in die Ukraine stellte das Kuratoriumsmitglied Dr. Harald Grürmann aus Winsen her, der Kontakte in die Stadt Bila Zerkwa hatte. Bila Zerkwa hat rund 200.000 Einwohner und liegt rund 80 Kilometer südwestlich von Kiew. Die Stadt hat mehrere Krankenhäuser und Waisenhäuser, die dringend Unterstützung brauchten und weiterhin brauchen. Seine erste Reise in die Ukraine erschütterte Peter Novotny – die Eindrücke über die Armut der Menschen und die Zustände in den Krankenhäusern und Kinderheimen ließen ihn nicht mehr los, und so organisierte er mit seiner Frau Helga Hilfslieferungen und baute mit ihr ein solides Netzwerk um die Stiftung herum auf. „Meine Eltern haben sich ganz schnell in Land, Leute und Kultur verliebt”, erinnert sich André Novotny. Sie seien mindestens zweimal im Jahr in die Ukraine geflogen und hätten sich die Hilfsprojekte vor Ort angeschaut.
31 Kinder aus Heim gerettet
Was die Hilfe in der Ukraine anging, organisierte die Stiftung Hof Schlüter zunächst Hilfstransporte mit Kleidung, Lebensmitteln, Krankenhausbetten, Ausstattung fürs Krankenhaus und sogar Krankentransportern. Seit Anfang der 2000er holte die Stiftung zudem jedes Jahr rund 30 ukrainische Kinder aus armen Familien für Ferienlager nach Deutschland. Diese Ferienfreizeiten fanden anfangs in der Jubi Neetze, später in der Lüneburger Jugendherberge statt. „Insgesamt hat die Stiftung ungefähr 600 Kinder für jeweils sechs Wochen zur Erholung nach Deutschland geholt”, erzählt André Novotny. Hilfsgüter seien im Wert von rund 18 Millionen Euro nach Bila Zerkwa gebracht worden – vor dem Ukraine-Krieg. André Novotny war zuletzt im Herbst 2021 in Bila Zerkwa. Seine Mutter Helga, inzwischen 81 Jahre alt und laut ihrem Sohn „die gute Seele der Stiftung”, kümmerte sich jahrelang während der Freizeiten um die ukrainischen Kinder, doch hiermit musste sie zuletzt kürzertreten. Sie kümmert sich weiterhin in Lüneburg um die Sortierung und Verteilung der Spenden. Ihr Herzblut für die Kinder kann sie jedoch seit Anfang März wieder einsetzen. Seit Jahren unterstützt die Stiftung Hof Schlüter in Bila Zerkwa auch das Heim für Straßenkinder Slagoda, mit dem sie in engem Kontakt steht. Als Kiew vor gut einem Monat unter Beschuss geriet und sie Bilder der Heimkinder im dunklen und feuchten Keller ihres Heimes sahen, war für André Novotny und seine Mutter sofort klar: Die Kinder und Betreuerinnen des Heimes müssen schnell in Sicherheit gebracht werden. In Zusammenarbeit mit ihrer Kontaktperson in der Ukraine, Kolja Daskewitsch, konnte binnen kürzester Zeit ein Transport mit einem Reisebus organisiert werden, und auch der Leiter der Lüneburger Jugendherberge, Dirk Moldenhauer, erklärte sich sofort bereit, die ukrainischen Gäste bei sich aufzunehmen. Die Kosten übernimmt die Stiftung. Seit der Nacht zum 8. März sind nun alle 31 Kinder aus dem Heim Slagoda, die Betreuerinnen und deren Kinder in der Lüneburger Jugendherberge sicher untergebracht. „Der Koch der Jugendherberge hat sogar abends spät noch Spaghetti Bolognese für sie gekocht”, erzählt André Novotny begeistert. Die Mitarbeiter von Sozial- und Jugendamt, die auch sofort vor Ort waren, seien sensibel mit den Geflüchteten umgegangen. Auch ärztlich untersucht und versorgt wurden die Kinder bereits. Novotny hat außerdem einen befreundeten Zahnarzt gebeten, die Kinder zu untersuchen, da einige Zahnprobleme hätten. Von der BBS II würden zudem Friseure zum Haareschneiden vorbeikommen.
Große Hilfsbereitschaft in Lüneburg
Der Aufenthalt in der Lüneburger Jugendherberge, wo die ukrainischen Flüchtlinge einen ganzen Trakt für sich haben, ist zunächst für sechs Wochen geplant. „Die Kinder sollen erstmal nicht auseinandergerissen werden”, erläutert Novotny. Auch die Unterbringung in Pflegefamilien sei nicht geplant, zumal die Gäste weiterhin hofften, irgendwann wieder nach Hause zurückfahren zu können. Die Unterbringung der Kinder in Lüneburg schlug hohe Wellen. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft sei zwar groß, dennoch schirme Dirk Moldenhauer die Kinder vor neugierigen Blicken ab. „Alle wollen sehen, wie Kinder aus dem Krieg aussehen – das sind ganz normale Kinder, Menschen wie Du und ich”, so Novotny. „Die sind fröhlich und spielen und gehen davon aus, dass sie bald zurückkönnen.” Auch Spielzeug für die Kinder könne gerne in der Stiftung abgegeben werden. Mit gespendeter Kleidung wurden sie sofort bei ihrer Ankunft ausgestattet. Seit Kriegsbeginn und bis Mitte März sind fast 100.000 Euro an Spendengeldern bei der Stiftung Hof Schlüter eingegangen. „Die Gelder gehen eins zu eins an die Ukraine”, verspricht André Novotny. Hinzu kommt das stiftungseigene Budget für die Ukraine. Sie konzentriert sich jetzt auf Hilfstransporte, worin sie schon geübt ist. „Es kommt uns zugute, dass wir das seit Jahren machen, und wir können es schnell umsetzen. Ohne die langjährige Erfahrung hätten wir das nicht machen können. Alleine schon die Anmeldung beim Zoll ist kompliziert, denn die Fahrzeuge werden verplombt.” Während im ersten LKW noch Schlafsäcke, Isomatten und Kleidung verschickt wurden, geht es nun um Lebensmittel und medizinisches Material. Nachdem reichlich Spenden bei der Halle der Stiftung abgegeben wurden, seien nun eher finanzielle Spenden sinnvoll, damit sie gezielt besorgen könnten, was gebraucht wird. „Wir haben für 3.000 Euro Nudeln und Reis gekauft, massenhaft Mehl haben wir über die Bäckerei meines Cousins bekommen”, erzählt Novotny. Auch vier Palletten Umzugskartons, drei Tonnen Windeln und Binden sowie schusssichere Westen seien gespendet worden. Auch wenn die Stiftung Hof Schlüter über ein relativ kleines Team verfügt, ist es gut organisiert und vernetzt. Helga Schlüter ist für die Kinder an der Jugendherberge da, während Walter Beck Spenden sortiert, Stapler fährt, die LKW-Beladungen und zehn bis 15 Helfer koordiniert. „Es ist ein Vorteil, dass wir so wenige sind, dann müssen wir nicht so viel abstimmen”, meint Novotny, der vor allem für die Organisation, Büroarbeiten und telefonische Anfragen zuständig ist. Hilfsangebote, für die er weiterhin dankbar ist, sammelt der 56-Jährige auf einer Liste. „Zum Beispiel haben die Lüneburger Krankenhaus-Clowns angeboten, die Kinder in der Jugendherberge zu besuchen.” Mit dem Bürgermeister von Bila Zerkwa steht er in engem Kontakt. Die Sachspenden werden in zwei ukrainische Verteilzentren geliefert und von dort an Soldaten, Familien mit Kindern und an alte Menschen verteilt. Solange in der Ukraine kein Frieden einkehrt, wird die Stiftung Hof Schlüter also weiterhin tatkräftig Hilfstransporte durchführen. Die Kinder können in der Jugendherberge bei Bedarf auch länger bleiben. Und wenn André Novotny gerade wieder nicht an sein Telefon gehen kann, helfen auch die Mitarbeiterinnen aus seinem Ingenieurbüro aus und tragen die Last mit. Seine Aufgabe und das vom Vater übernommene Erbe führt er gerne weiter: „Helfen zu dürfen macht so viel wett. Man dreht sich hoch”, meint er. (JVE)