Immer mehr Großstädter steigen aufs Rad um. Doch wie sieht’s auf dem Land aus?

Aus 4 mach 2 – das ist mehr im Trend denn je. Wegen der Parkplatznot oder auch des Klimas und der Gesundheit satteln viele Menschen vom Auto aufs Fahrrad um. Nicht unattraktiv wenn man auch an die explodierenden Spritpreise denkt. Die verlieren auf dem Sattel sitzend plötzlich ihren Schrecken. Man radelt an der nächsten Teuer-Tankstelle einfach locker vorbei …

Nicht nur in den großen Metropolen wie Hamburg, Berlin oder München – auch auf dem Land können sich viele Menschen vorstellen, aufs Bike umzusteigen, wenn die Voraussetzungen stimmen. Das zeigt eine aktuelle KfW-Studie zur Verkehrswende. Rund 4.000 Haushalte wurden dazu befragt. Ergebnis: Etwa 54 Prozent der Befragten können sich vorstellen, das Fahrrad deutlich häufiger zu nutzen, wenn eine bessere Infrastruktur wie Radwege, Leihräder und sichere und trockene Abstellplätze zur Verfügung stünden.

Bereitschaft zum Umstieg

Eine bessere Verknüpfung mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) wäre für 45 Prozent ein wichtiger Anreiz, das Auto stehen zu lassen. Auffällig: Sowohl in großen Städten als auch in kleinen Gemeinden ist die Bereitschaft zum Umstieg ähnlich groß. Tendenz steigend. Auch rein praktische Gründe sprechen für das Umsatteln: Denn bundesweit sind 65 Prozent aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer. Und mehr als die Hälfte sogar kürzer als zwei Kilometer. Das seien Strecken, die man im innerstädtischen Tür-zu-Tür-Verkehr (einschließlich der Parkplatzsuche) mit dem Fahrrad oft viel schneller zurücklegen kann als mit dem eigenen Kfz, heißt es beim Lüneburger Kreisverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). „Diese Kurzstreckenfahrten gilt es so weit wie möglich auf das Fahrrad zu verlagern. Lüneburg bietet mit einer maximalen Entfernung von rund fünf Kilometern zum Stadtzentrum gute Voraussetzungen dafür.“ Tatsächlich tut Lüneburg heute schon einiges, damit sich Menschen jeden Alters auf dem Rad möglichst komfortabel durch die Stadt bewegen können. Rund 40 Euro pro Einwohner wurden 2021 in Radwege investiert. Zum Vergleich: Ab 19 Euro spricht der Nationale Radverkehrsplan 2020 von „Vorreitern“. 30 Euro empfiehlt der ADFC. Zudem ist die Stadt Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaften Fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/Bremen e.V. Auch im Landkreis wurde ein flächendeckendes und handlungsorientiertes Radverkehrskonzept für die gesamte Region erarbeitet. Dennoch fühlen sich nicht alle Lüneburger „mitgenommen“ auf diesem Weg. Wie sollen diejenigen, die weit außerhalb beheimatet sind, in die Innenstadt kommen?, fragen Kritiker. Das sei zumindest derzeit noch mit Bus und Bahn oft kaum zu bewerkstelligen. Und was sei mit denen, die aus welchen Gründen auch immer nicht mit dem Fahrrad fahren können oder es wollen? Ebenfalls eher selten bedacht: Man muss sich die große Autofreiheit auch leisten können… Ein Job hier, einer dort, dazwischen kurz noch das Kind versorgen? Geht nur mit dem Auto. Ein Intensivpfleger mit eng getaktetem Zeitplan für die Patienten? Auch hier ist das Auto eine Notwendigkeit. Arbeit in der Gastronomie bis morgens um drei. Ebenfalls ohne Auto kaum möglich.

 

Auch bei den Lüneburger Geschäftsleuten wächst die Sorge, weil es ihrer autofahrenden Kundschaft jetzt schon an ausreichenden Parkmöglichkeiten mangelt und die Parkplätze weiter reduziert werden sollen. Die Visionen von Stadtplanern, die aus Lüneburg offensichtlich ein zweites Amsterdam machen wollen, nehmen derweil weiter Formen an. In einem am 29.9.2021 vom Rat der Hansestadt beschlossenen „Leitbild“ wird ein weitgehend autofreies Bild der Zukunft Lüneburgs gemalt. Dort heißt es: „Wie die große Mehrheit europäischer Städte hat Lüneburg (inzwischen) den Verkehr im Stadtzentrum neu organisiert und so viel Platz gewonnen, der für die Menschen gestaltet wurde. Die grünen Inseln etwa sind inzwischen ein beliebtes Fotomotiv und laden zum geselligen Plausch oder zum Mittagsschläfchen ein. Und entlang des (neuen) von modischen Fahrrädern dominierten Fahrradstraßenrings gibt es Räume zum Flanieren… Das Auto spielt im Stadtverkehr weiterhin eine Rolle, allerdings nicht mehr die Hauptrolle… Die öffentlichen Verkehrsangebote sind schneller und kundenfreundlicher. Sie haben Vorrang im Straßenverkehr, engere Taktungen und die gesamte Region ist gut an das Oberzentrum angebunden. In allen Bereichen innerhalb der Stadt nutzt man gerne den Bus oder einen Sharingdienst, weil das schneller und günstiger ist als mit dem eigenen E-Auto. Und eine Fahrt mit dem Rad im komfortablen Radwegenetz ist sowieso unschlagbar…“

Erfolg für Bürgerbegehren

Klingt alles ja ganz nett, aber wie man es schaffen kann, dass Auto- und Radfahrer sich zukünftig als Partner im Geiste sehen und nicht als Gegner im Straßenverkehr, bleibt dabei weitgehend offen („…ist auch nicht das Anliegen des Leitbildes“, heißt es auf Nachfrage…). Inzwischen werden weiter Fakten fürs Rad und gegen das Auto geschaffen. Erst im Mai hat der Rat der Stadt beschlossen, sich den sechs Forderungen des Lüneburger „Radentscheids“ für eine bessere Radinfrastruktur anzuschließen. Die im Bürgerbegehren geforderten Maßnahmen (u.a. Neubau oder Ausbau von drei Kilometer langen Radverkehrsanlagen pro Jahr ab 2023 sowie die Planung eines flächendeckenden Radroutennetzes bis Ende 2023. Außerdem mehr Fahrradzonen und weitere Fahrradstraßen) muss die Stadt nun eigentlich völlig oder zumindest weitestgehend umsetzen.

Konflikte vermeiden

Verkehrsforscher warnen vor aufbrechenden Konflikten, wenn man solche Maßnahmen zur Gestaltung der urbanen Mobilität nicht in ein Gesamtkonzept einbettet. Das zeigten ähnliche Entwicklungen in anderen Regionen Deutschlands.

Vorrangiges Ziel, so Meike Jipp vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dürfe darum auch nicht die weitgehend autofreie Stadt sein, sondern die Masse an Pkws in der Stadt nachhaltig zu reduzieren. Das könne man zum Beispiel über innovative Technik und alternative Mobilitätsangebote wie etwa Carsharing und Ridepooling erreichen.

Die Expertin: Nur wenn es auch genügend gute Alternativen zum eigenen Auto gibt, werden viele auch auf dem Land darüber nachdenken, auf ihr Zweit- oder Drittauto zu verzichten und dafür die Anschaffung eines neuen Fahrrades oder E-Bikes überhaupt zu erwägen. Ein guter Anfang wäre das allemal. (RT)

Weitere Infos:

Leitbilder Radverkehrspolitik:

www.hansestadtlueneburg.de/PortalData/43/Resources/dokumente/stadt_und_politik/

verkehr/radverkehr/Leitbilder_Radverkehrspolitik_2030_.pdf

Radverkehrsstrategie 2025:

www.hansestadtlueneburg.de/PortalData/43/Resources/dokumente/stadt_und_politik/

verkehr/radverkehr/Radverkehrsstrategie_2025_Bericht.pdf

Bürgerbegehren in Lüneburg:

radentscheid-lueneburg.de/

„Fahrrad und Klimawandel“:

www.helmholtz-klima.de/aktuelles/fahrrad-und-klimawandel

 

 

Fahrrad statt Auto-geht das überhaupt?
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