Ein Feuerwehrmann berichtet über die wachsende Gewalt gegen Einsatzkräfte

Pöbeln, spucken, prügeln: Wenn Polizisten, Feuerwehrmänner, Notärzte und Sanitäter ausrücken, werden sie immer häufiger Opfer von Aggression und Gewalt. Interview mit einem Betroffenen. Sie kommen, um zu helfen. Doch neben Dankbarkeit und Anerkennung bekommen sie seit einigen Jahren noch etwas ganz anderes zu spüren. Hass. An Silvester eskalierte die Gewalt mal wieder – doch nun mit einer neuen Qualität des Schreckens: Junge Männer, teils noch Jugendliche in Macho-Pose, viele Migranten darunter, verwandelten die Straßen Berlins, Hamburgs und vieler anderer Städte in ein Schlachtfeld. Die Videos, die vom Jahreswechsel im Internet kursieren, zeigen Bilder, wie man sie in Deutschland noch nicht oft gesehen hat. Da wurden Raketen aus der Hand auf Einsatzkräfte abgeschossen. Rettungswagen abgefackelt. Man sieht Polizisten und Feuerwehrmänner mit blutenden Wunden. Unfassbare Szenen. „Seit mehreren Jahren bereits nimmt die extreme Gewalt gegenüber Einsatzkräften zu“, warnt der Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft Tobias Thiele. Erst im Juni 2022 wurde in Hannover das „Symposium Gewalt gegen Einsatzkräfte“ abgehalten. Anwesend war da auch Boris Pistorius, damals noch Minister für Inneres und Sport des Landes Niedersachsen. Er sagte: „Wir müssen dieses Thema immer wieder öffentlich machen, denn wir brauchen in diesen Fällen eine klare Haltung aller Bürgerinnen und Bürger!“ Was er auch hätte sagen sollen: Es braucht auch eine klare Haltung der Politik. Allein bestürzt zu sein, wie sich politisch Verantwortliche nach Ausschreitungen oft geben, reicht nicht. Notwendig sind konkrete Maßnahmen und Antworten des Rechtstaates. Sonst wird man mehr und mehr vor allem diejenigen verlieren, die täglich ehrenamtlich als Helfer unterwegs sind, zum Beispiel in den Freiwilligen Feuerwehren. Die Freiwillige Feuerwehr Lüneburg wurde 1864 gegründet. Zirka 240 aktive Mitglieder stellen den Brandschutz und die Gefahrenabwehr für die Einwohner der Hansestadt sicher. Sie leisten pro Jahr 600 bis 700 Einsätze. Und auch hier im Landkreis nimmt die Aggression beziehungsweise Gewalt gegen die Einsatzkräfte zu.

Ein Drittel der Helfer
bereits im Einsatz attackiert

Studien der Feuerwehrunfallkasse belegen zum Beispiel, dass ein Drittel der Helfer bereits in unterschiedlicher Form attackiert worden ist. Die Täter: in rund 90 Prozent der Fälle Männer zwischen 20 und 39 Jahren. Eine Folge: Es fehlt an Nachwuchskräften bei Polizei, bei der Feuerwehr und im Rettungswesen, der Schutz der Bürger ist in Gefahr, weil die Gesellschaft ihre Helfer nicht schützt. Der Lüneburger Karsten S. wollte schon immer zur Feuerwehr, erzählt er: „Seit ich ein kleiner Junge war. Menschen retten in Not, das ist doch der tollste Job überhaupt!“ Mit knapp zwölf Jahren erhielt er in Lüneburg sein erstes Abzeichen, die Jugendflamme 1. An verschiedenen Stationen hatte er zuvor sein erlerntes Wissen zum Beispiel zu Hydranten, dem Absetzen eines Notrufs und Gerätekunde nachweisen müssen. Doch Karsten wollte mehr, er wollte zur Berufsfeuerwehr. Mit 21 Jahren bewarb er sich in Hamburg und wurde auch sofort angenommen.

Nach mehreren Jahren im Brandschutz und einer umfassenden Zusatzausbildung arbeitet er dort jetzt als Notfallsanitäter, versorgt unter anderem erkrankte oder verunfallte Patienten, die beispielsweise einen Schlaganfall, Herzinfarkt oder schwere Verletzungen erlitten haben: „Das macht mir Spaß, doch seit längerem fährt vor allem bei größeren Einsätzen und in bestimmten Stadtteilen immer ein ungutes Gefühl mit“, erzählt er. Das war auch in der letzten Silvesternacht so. Die Einsatzleistung hatte alle Kollegen zwar vorbereitet auf eine möglicherweise „angespannte Lage“, doch was Karsten S. und seine Kollegen dann „da draußen“ tatsächlich erwartete, darauf waren sie dennoch nicht gefasst.

 

„Es wird immer schlimmer. Die üblichen Beschimpfungen hören wir ja schon gar nicht mehr. Auch dass man bespuckt wird, dass man gestoßen wird, dass gegen das Auto getreten wird, ist ja fast schon normal an solchen Tagen beziehungsweise solchen Nächten. Doch hier war es anders. Die haben nicht mehr unterschieden zwischen Polizei, Feuerwehr und uns Sanitätern. Uniform ist gleich der Feind für die.“ „Die“, das ist ein Mob aus grölenden, jungen Männern, die in der Gruppe meinen, den „Starken machen zu müssen.“ Silvester kam es zu abstoßenden Szenen: „Wir wurden mit Waffen bedroht, mit Steinen beschmissen, übelst beleidigt, sogar mit einer uringefüllten Flasche beworfen. Und das, als wir gerade eine Frau nach einem Autounfall versorgten… Es gibt offenbar überhaupt keine Hemmungen mehr…“

Bis zu 14 Einsätze in 12 Stunden

Viele Kollegen denken bereits länger darüber nach, ihren Dienst zu quittieren, sagt Karsten S, der mit seiner Familie in Bardowick zu Hause ist. „Dabei haben wir schon einen sehr großen Fachkräftemangel. In einer Zwölf-Stunden-Schicht müssen wir nicht selten bis zu 14 Einsätze fahren. Das geht an körperliche und psychische Grenzen. Dazu kommt, dass man gerade in Hamburg bei vielen Einsätzen auf Patienten und Angehörige in Ausnahmesituationen trifft. Besonders Alkohol und Drogen bergen ein hohes Aggressionspotenzial. „Sie haben keine Vorstellung, welche Kräfte Menschen unter Drogeneinfluss entwickeln“. Die Gewerkschaft Verdi fordert mehr psychologische und rechtliche Hilfe sowie Kameras und automatische Verriegelungssysteme an Einsatzfahrzeugen. Manche Politiker schlagen vor, Schutzwesten zu tragen. Karsten S. lehnt das ab. „Wo kommen wir denn da hin? Wir werden schließlich hauptsächlich von Menschen gerufen, die medizinische Hilfe benötigen. Es muss doch möglich sein, die Wohnung eines 80-Jährigen zu betreten, der über hohen Blutdruck klagt, ohne dass er befürchten müsse, eine SEK-Einheit stürme die Wohnung…“ Was er sich wünscht? „Mehr Respekt in der Bevölkerung, mehr Anerkennung. Wir sind doch nicht die Prügelknaben der Nation!“ (RT)

 

„Es wird immer schlimmer“
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