Inge Prestele engagiert sich für die Stadttauben in Lüneburg Inge Prestele wohnt inzwischen auf dem Land in Hittbergen, doch die Stadttauben in Lüneburg sind ihr immer noch ein Anliegen. Die 63-Jährige ist Vorsitzende und Gründungsmitglied des vor drei Jahren gegründeten Vereins Stadttauben Lüneburg. „Wir wollen nicht Täubchen füttern”, stellt Inge Prestele klar, „das unterstellt man den Leuten gerne, die sich für die Tauben einsetzen. Wir wollen ein Management für die Tiere aufbauen.” 33 Mitglieder zählt der Verein, davon 20 Aktive. Tauben haben keinen guten Ruf in unserer Gesellschaft, das ist auch den Mitgliedern des Stadttauben-Vereins klar. Dreckig, krank, nervtötend, so die Vorurteile. Inge Prestele mag es nicht, wenn jemand „Ratten der Lüfte” sagt, denn es ist unwahr. „Es sind einfach nur Vögel”, meint sie. Der Verein klärt darüber auf, was an den Vorurteilen dran ist, ob von den Vögeln wirklich Gefahren ausgehen – und wie man etwas zur Eindämmung der Population tun kann. Inge Pres-tele, ursprünglich aus Bayern und seit 18 Jahren in Lüneburg und Umgebung zu Hause, kümmert sich seit zehn Jahren um die Tiere. Bemerkenswert findet sie die hohe Strafe, die in Lüneburg auf das wilde Füttern der Stadttauben steht – 5.000 Euro. „Das Fütterungsverbot in der Stadt soll verhindern, dass sie sich vermehren”, erklärt Inge Prestele. „Aber wir können nichts an ihrer Fruchtbarkeit tun.” Der Verein Stadttauben Lüneburg verfolgt deshalb die Strategie, die Vögel aus den touristischen Bereichen zu holen und sie an andere Plätze zu gewöhnen, wo sie gut versorgt sind und Schläge zum Brüten zur Verfügung haben.

Taubenschläge als Lösung

Die Taktik klingt denkbar einfach: Mit dem Auslegen einer Futterspur haben die Taubenhelfer die Tauben aus jedem Innenhof der Stadt gelockt. „Die Tiere kommen brav mit”, erklärt Inge Prestele. „Nach einem Vierteljahr hatten wir alle Tiere dort, wo sie hinsollten.” Die Vögel haben gelernt, wo sie zum Sonnenaufgang ihr Futter bekommen. Die fünf ausgewählten Orte auf öffentlichem Grund außerhalb der Innenstadt, an denen die Tauben nun jeden Morgen ihr Futter erhalten, wurden mit dem Ordnungsamt der Stadt abgesprochen und werden nach jeder Fütterung sauber hinterlassen. Für den Rest des Tages bedeutet das: Die Tauben sind zwar in der Stadt zu sehen, aber sie sind nicht hungrig und betteln nicht. „Bei einem Fütterungsverbot sind Tauben hingegen auf Müll angewiesen”, so die Vereinsvorsitzende. Am Futter könne man sehen, dass es in der Stadt Lüneburg rund 1.600 Tauben gebe, erklärt Inge Prestele. Der Verein Stadttauben Lüneburg versorgt die Tiere seit drei Jahren auf eigene Kosten – das sind im Monat 1.800 Euro alleine für das Futter, Tendenz durch die wachsenden Preise steigend. Auch die Schläge, die noch zum Brüten ausgebaut werden müssen, finanziert der Verein. „Taubenschläge sind die Lösung für alle Probleme”, meint die 63-Jährige, die immer wieder beobachtet, dass in alten Giebeln der Lüneburger Altstadt Dachbodenfenster zum Lüften offenstehen – was die Tauben gerne ausnutzen, um an geschützten Stellen ihr Nest zu bauen. Um den Tieren keine Gelegenheit zum Brüten zu geben, rät sie den Bewohnern, die Fenster nur kurz zu öffnen. Denn die Tiere würden jede Lücke nutzen, um sich ein Nest zu bauen. Umgekehrt habe sich gezeigt: „Wenn die Vögel nicht brüten können, tun sie es auch nicht. Rund um unsere Fütterungsstellen stehen neue Gebäude mit intakten Dächern, das scheint eine große Rolle zu spielen. Das bekommt man in der Altstadt nicht hin.” Nicht selten wird der Verein Stadttauben Lüneburg von Bürgern angerufen, die ein Taubennest auf ihrem Dachboden entdeckt haben. Die Taubenhelfer kommen dann und helfen bei der Umsiedlung. „Es ist besser, die Tauben ausziehen zu lassen”, meint Inge Pres-tele. Wenn man bemerke, dass Tauben Stöckchen zusammentragen, empfehle es sich, sie wegzunehmen. Gebe es bereits gelegte Eier, könne man diese in den ersten fünf Tagen nach der Eiablage entfernen, da die Küken bis dahin noch keine Nervenzellen ausgebildet hätten. In diesem Fall könne man die Eier kaputt machen oder den Krähen hinlegen. „Auf jeden Fall sollte man das Brüten unterbinden.” Die bei uns geläufigen Stadttauben sind Abkommen der Felsentauben. Diese sind nicht in der Lage, in Bäumen zu brüten. Wilde Felsentauben, die bei uns nicht vorkommen, würden nur zwei Eier im Jahr legen. Die Stadttauben seien jedoch zu Zeiten, als die Taube noch ein Nutztier war und Taubeneier und Tauben gegessen wurden, so durch den Menschen gezüchtet worden, dass sie sechs bis sieben Mal im Jahr Eier legen würden, erklärt Inge Prestele. „Da entsteht das Problem, durch die große Population.” Als Nachkommen verwilderter Haustauben seien die Tiere rechtlich als Fundtiere zu behandeln, weshalb der Mensch auch die Verantwortung für sie trage, so Inge Prestele. „Der schlechte Ruf kommt durch die starke Vermehrung und durch das schlechte Gewissen. Wir haben ein Tier geschaffen, um das wir uns nicht mehr kümmern wollen. Niemand will damit zu tun haben.”

 

 

Austausch der Eier

Zwar brüten die Stadttauben im Frühjahr verstärkt, doch ganz stellen sie das Brüten in keiner Jahreszeit ein. Das Ziel des Vereins Stadttauben Lüneburg – und der Stadt Lüneburg – sei deshalb, die Vermehrung zu kontrollieren und damit die Taubenpopulation in den Griff zu bekommen. Außerdem sollten wilde Brutplätze weitgehend geschlossen werden. „Die Tauben sollten in den Schlägen zu Hause sein”, meint die Vereinsvorsitzende. In den Schlägen setzt der Verein auf eine weitere Strategie: den Austausch der Eier. So schauen die Taubenhelfer alle paar Tage im Schlag nach, ob Eier gelegt wurden und tauschen diese gegen identisch aussehende, vorgewärmte Kunststoffeier aus. Belastend sei das für die Vögel nicht, so Inge Prestele: „Die Tauben wechseln dann das Nest, wenn sie merken, dass das Brüten an diesem Ort nicht funktioniert.” Da die Tauben die frisch gelegten Eier nicht verlassen, muss der Eiertausch unter ihrem Körper stattfinden – was natürlich nicht ohne Gegenwehr vonstatten geht: „Sie verteidigen ihre Eier sehr. Da wird man mit Flügeln geprügelt, manche picken nach der Hand.” Der Verein Stadttauben Lüneburg wirbt auch bei den Bürgern dafür, gefundene Eier selbst auszutauschen. Die Kunststoffeier stellt der Verein zur Verfügung. Er betreibt ein täglich besetztes Notruftelefon, auch für den Fall, dass jemand eine verletzte Taube findet. Zwei bis drei Anrufe gehen hier pro Tag ein. Auch bei Problemen im Landkreis versuchen die Mitglieder zu helfen. Verletzte Tiere bringt der Verein zur Tierklinik Oerzen, in der sich einer der Tierärzte gut mit den Tauben auskennt. Hierhin könne man auch selbst verletzte Tauben bringen. Die Versorgung der Lüneburger Stadttauben durch den Verein hat bereits einiges bewirkt, wie Inge Prestele ausführt: „Die Tauben betteln nicht mehr so viel, weil es keine hungrigen Tiere gibt, sie haben keine kaputten Füße und werden kontrolliert und artgerecht mit Körnchen gefüttert.” Kaputt würden sich die Vögel ihre Füße dadurch machen, dass sie den ganzen Tag auf den Straßen der Stadt herumlaufen und sich Haare, Fäden, Bänder oder Kunststoff in den Schuppen der Füße verfangen könnten. „Das schnürt sich mit der Zeit zu und die Gefäße werden abgedrückt – bis zum Absterben von Zehen. Für die Tauben ist das sehr schmerzhaft, aber da sie keine Schmerzlaute haben, leiden sie still. Sie können sich nicht helfen.” Tauben mit umwickelten Zehen können auch zur Tierklinik gebracht werden. „Einige aus unserem Verein können sie auch mit dem Kescher einfangen und die Fäden selbst entfernen”, berichtet Inge Prestele. Die 63-Jährige erinnert sich noch gut an ein einschneidendes Erlebnis während eines Weihnachtsmarktes an der Johanniskirche, als eine Taube angeflogen kam und nicht auf ihren Füßen landen konnte, sondern auf der Brust. „Wir haben sie eingefangen und nach Hamburg gebracht. Ihr musste ein Bein abgenommen werden, am anderen Fuß hatte sie am Ende nur noch zwei Zehen.”

Tauben machen nicht krank

Auch gegen das Klischee, Tauben würden krank machen, geht der Verein Stadttauben Lüneburg an. Es sei noch nicht im allgemeinen Verständnis angekommen, dass Tauben ungefährlich seien. „Das Vorurteil, Tauben machen uns krank, ist Quatsch. Besonders Schädlingsbekämpfer schieben ihnen Krankheiten wie Ornithose, Hirnhautentzündung und Salmonellen unter. Die deutsche Wettbewerbszentrale hat darum gebeten, das zu lassen, weil es wissenschaftlich nicht haltbar ist. Auch dass ihr Kot Gebäude kaputt macht, ist Quatsch”, erläutert Inge Prestele. „Schädlingsbekämpfer wollen richtig viel Geld für das Saubermachen von Dachböden haben und machen ein Brimborium darum, dass es gefährlich ist. Das Einzige, was passieren kann, ist, dass sich ein Schimmelpilz auf dem Kot bildet, aber eine FFP2-Maske reicht zum Saubermachen. Und der Pilz hat nichts mit den Tauben zu tun.” Um die Lösung durch eine ausreichende Zahl an Taubenschlägen herbeizuführen, muss einiges an Geld in die Hand genommen werden. Inge Prestele und ihr Verein hoffen, dass bald die Stadt Lüneburg die Verantwortung übernimmt, indem sie die Schläge unterhält und eine Betreuungsperson als Taubenbeauftragten einstellt. Diese wäre der Ansprechpartner und würde die Kontrolle der Eier und der Tiergesundheit übernehmen. Vorbild für dieses Modell ist die Stadt Augsburg, von dem sich Inge Prestele schon vor Vereinsgründung ein Bild vor Ort machen konnte: „Ich bin mittags durch die Stadt gelaufen, da waren keine Tauben – keine Taube hat da rumgebettelt. An einem Haus war ein Taubenschlag, woanders waren keine Tauben. Das konnte man sich nicht vorstellen.” Inge Prestele ist zuversichtlich, dass auch in Lüneburg bald Bewegung in die Sache kommt, denn die Stadt zeigt sich offen. „Wir arbeiten gut mit dem Ordnungssamt zusammen, da ist Lüneburg eine total tolle Stadt”. (JVE)

 

„Es sind einfach nur Vögel“
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