Hendrik Joachim gehört zum studentischen Planungsteam des lunatic Festivals

Ein Musikfestival während einer Pandemie durchzuführen, ist kein Ding der Unmöglichkeit. So ist eines der jüngsten Festivalteams Deutschlands bereits dabei, das nächste lunatic Festival vorzubereiten, das Anfang Juni auf dem Unicampus der Leuphana in Lüneburg stattfinden soll. Hendrik Joachim ist im Organisationsteam für die Pressearbeit zuständig. Der 22-jährige Sauerländer studiert im fünften Semester an der Leuphana Angewandte Kulturwissenschaften und Digitale Medien. Der Anteil an Präsenzveranstaltungen war pandemiebedingt für den Studenten bisher gering. Auch ein „pandemiefreies” lunatic Festival konnte er bisher nicht erleben. Für ihn vielleicht von Vorteil, denn Vergleiche zur Zeit „vor Corona” zieht er nicht. Trotz aller Einschränkungen im Studentenleben meint Hendrik: „Wenn man an der Leuphana studiert, kommt man um das lunatic Festival nicht drumherum – es ist omnipräsent.” Als Besucher lernte er das Festival im vergangenen Jahr kennen, als es unter Pandemiebedingungen auf dem Unicampus stattfinden konnte. 2020 hatte es online stattgefunden, 2019 war eine geplante Festivalpause eingelegt worden. Das Organisationsteam für das Festival formiert sich jedes Jahr neu. In diesem Jahr ist Hendrik ein Zahnrad in der Maschinerie des Non-profit-Musikfestivals, das im Juni 2004 erstmalig durchgeführt wurde. Seit 2003 gibt es an der Leuphana das Seminar „lunatic Festival – Organisation eines nachhaltig orientierten Musikfestivals”, das über zwei Semester läuft und mit den Fes-tivaltagen seinen Abschluss findet. Das rund 25-köpfige Organisationsteam setzt sich aus erfahrenen Planern des Vorjahres, den „Altlunauten”, sowie neuen Studierenden zusammen, die sich für die Teilnahme am Seminar bewerben müssen.

Erfahrung im Kulturbereich sammeln

Wer von den Studierenden das lunatic Festival mit vorbereiten möchte, kann sich für einen der Kernbereiche bewerben, zunächst mit einem Motivationsschreiben. Hendrik Joachim bewarb sich für den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, weitere Kernteams sind Kunst und Vermittlung, Sponsoring und Gastro, Booking, Logistik und Produktion. Zwei bis sechs Personen bilden ein Kernteam, und so folgen nach der ersten Auswahl Bewerbungsgespräche für das Seminar. „Genommen werden nicht nur Profis in ihrem Bereich, es geht ja auch um Wissensvermittlung”, erklärt Hendrik. „Es soll ein barrierefreies Projekt für Leute sein, die Erfahrung im Kulturbereich sammeln wollen. Deshalb werden Erfahrene und Neulinge aus verschiedenen Semestern gemischt.” Der Student selbst brachte journalistische Erfahrungen mit. Um die Seminarteilnehmer auf die Festivalplanung vorzubereiten, startete es im Oktober mit einer fünftägigen Workshop-Fahrt. Hier lernte sich das gesamte Team kennen und erhielt erste Informationen. Schon die Vorbereitungsfahrt gibt einen Vorgeschmack auf die Zeitintensität des Seminars. Wer es nur auf die Credit Points (Leistungspunkte) als Seminarnachweis abgesehen hat, wähle das Seminar nicht, meint Hendrik: „Man muss zwar einen Projektbericht schreiben und bekommt eine Note. Aber es geht niemandem um die Note. Viele machen es nur für das Festival.” Ein Großteil der Festivalplanung läuft momentan in den Kleinteams. Hendriks Presseteam, zu dem auch der Bereich Social Media gehört, besteht aus fünf Personen, von denen drei für PR und zwei für Grafik und Gestaltung zuständig sind. Er selbst kümmert sich um die klassische Pressearbeit. Alle Kleinteams treffen sich einmal wöchentlich zum vierstündigen Plenum, bei dem jede Gruppe den Stand ihrer Arbeit vorstellt.

 

Kleinteams und Kompetenzteams

Nach dem jetzigen Planungsstand soll das diesjährige lunatic Festival am 3. und 4. Juni ähnlich wie im vergangenen Jahr durchgeführt werden – wieder dezentral auf dem Unicampus, aber mit weniger Bühnen als 2021. Geplant sind zwei Bühnen plus ein Foodcourt und Bereiche für Kunst und Kultur. Mit dem diesjährigen Festivalkonzept wollen die Planer nicht nur Studierende ansprechen. Aus diesem Grund sind zum Beispiel auch Ruheorte für Familien mit Kindern geplant. Die bis zu 3.200 Besucherinnen und Besucher sollen sich auf dem Gelände verteilen, die Tickets gelten für alle Bereiche. Als Vorveranstaltung soll es in diesem Jahr eine Kunstausstellung geben, Details stehen noch nicht fest. Neben den Kleinteams gibt es außerdem Kompetenzteams, an denen sich jeder aus den Kleinteams beteiligen kann. Diese beschäftigen sich mit besonderen Themen wie Awareness zu Inklusion und altersdiskriminierenden Strukturen. Je eine Person aus den Kernteams ist zudem im Kompetenzteam zur Coronasituation. Neben dem Lokalbezug – es werden immer lokale Kulturschaffende in das Festival eingebunden – wird beim lunatic Festival großer Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Auch für diesen Bereich gibt es ein extra Kompetenzteam, das sich sowohl mit der Nachhaltigkeit von Sponsoring-Firmen als auch mit dem geringen Materialverbrauch für das Festival befasst. Die alljährliche Neubesetzung des Festivalteams sieht Hendrik Joachim als klaren Pluspunkt: „Nichts muss wie die letzten Jahre sein. Wir haben keine Tradition, nichts wird verglichen mit den anderen Jahren, wir sind nicht so festgefahren.” Auch die Herausforderungen durch Corona-Bestimmungen sind für den 22-Jährigen keine zusätzliche Bürde, sondern gehören zur Planung als einer von vielen Punkten dazu. „Corona ist einfach ein Bestandteil unserer Planung”, erklärt er. Das Organisationsteam gehe bei der Planung eher vom Kleinen aus, denn vergrößern könne man die Veranstaltung immer noch, wenn Corona es zulasse. „Wir rechnen so, dass es stattfinden kann und müssen alles ein bisschen mehr verteilen.”

500 Tickets schon verkauft

Geplant wird das lunatic Festival, das im Jahr 2014 mit 3.000 Besuchern pro Veranstaltungstag erstmals ausverkauft war, in der Regel mit 2.300 bis 3.200 Besuchern pro Tag. Bei der Early-Bird-Ticket-Verkaufsphase ab Dezember wurden bereits die ersten 250 Festivaltickets verkauft, die 250 Karten der zweiten Verkaufsstufe ab Anfang Februar waren auch sofort vergriffen. Die nächste und letzte Verkaufsphase beginnt am 16. März. Neben Kombi- und Tagestickets gibt es auch wieder Solitickets, die jeder mitfinanzieren kann, indem er etwas mehr für seine Karte bezahlt, um finanziell schwächer Gestellten den Festivalbesuch zu ermöglichen. Beim Kauf eines Teilhabetickets kann ein Schwerbehinderter eine Begleitperson kostenlos mitnehmen. Das Bookingteam arbeitet momentan auf Hochtouren, was das Buchen von Bands, Kunst- und Kulturschaffenden angeht. Musikervorschläge können alle Seminarteilnehmer abgeben – den Genres sind keine Grenzen gesetzt, auch wenn sich das lunatic Festival in den vergangenen Jahren hauptsächlich durch Musik aus den Bereichen Indie, Rock und Pop, aber auch Hip Hop und Techno zusammengesetzt hat. Grenzen sind höchstens finanziell gesetzt, denn große Künstler kosten einfach zu viel Geld. „Einige Große waren auch schon da, auch als das Festival noch kleiner war”, weiß Hendrik, „wir profitieren auch davon, dass wir in der Nähe von Hamburg sind.” Zu den bekannteren Musikern, die einst beim lunatic auftraten, gehören Marteria, Mighty Oaks, Megaloh, Clueso, De La Soul oder Die Orsons. Für 2022 wurden noch keine Künstler bekannt gegeben, aktuelle Infos werden als erstes über Social Media bekannt gegeben, vor allem über Instagram. Die Musik- und Musikerauswahl trifft grundsätzlich das Bookingteam. In Zweifelsfällen – zum Beispiel wegen anstößiger Texte – wendet sich das Kleinteam an das Plenum und lässt die anderen mit entscheiden, ob ein Künstler gebucht werden soll. „Das wird dann im gesamten Festivalteam besprochen, und das entscheidet auch mal dagegen”, erklärt Hendrik. Seit Anfang des Jahres trifft sich das Plenum nach drei Monaten in Präsenz nun wieder online. „Online ist es effizienter. Jetzt sind die Diskussionsschleifen zwar kürzer, aber für die Teamdynamik ist das total schade. Man klopft dem Nachbarn nicht mehr auf die Schulter und lobt ihn für sein Booking”, sagt der Student. Da man inzwischen ein Freundeskreis sei, treffe man sich auch außerhalb des Bildschirms.

Viel Arbeit für Seminar

Zusätzlich zum Plenum hat Hendrik jede Woche ein zweistündiges Treffen mit dem Presseteam, das weiterhin in Präsenz abgehalten wird. Alles in allem kommt der Studierende für das Festivalseminar so auf eine Wochenarbeitszeit von zehn bis 15 Stunden, seine Einzelarbeit für die Presse eingeschlossen. Als Abschluss des Semesters sei zudem im Mai eine weitere Workshop-Fahrt geplant. Insgesamt viel Arbeit für ein Uniseminar. „Das machen alle Leute nur, weil sie Bock darauf haben. Es wird einem aber auch vorher gesagt, dass das viel Arbeit ist. Das muss man schon wirklich wollen”, meint Hendrik, der auch die Vorteile deutlich sieht: „So niedrigschwellig kann man sonst kein Festival vorbereiten. Außerdem hab‘ ich noch nie einen so rücksichtsvollen und inklusiven Arbeitsraum kennengelernt – immer entscheiden alle mit, wir wollen einen Konsens finden. Solange einer einen begründeten Einwand hat, wird es nicht gemacht, ich bin selbst verblüfft. Bei jeder Entscheidung waren alle hundertprozentig dabei. Das ist ein tolles Arbeitsklima, das werde ich vermissen.” Das Presseteam um Henrik Joachim steht immer im Austausch mit den anderen Kernteams. Neuestes Projekt im Rahmen der Festivalplanung ist das „Kleine lunatinum”, bei dem bis zu zehn Menschen gesucht werden, die Zeit und Lust haben, das Festival mit zu planen. Die Ausschreibung läuft noch. Das lunatic Festival, das 2021 als eines der ers-ten Festivals während der Pandemie wieder in Präsenz stattfinden konnte, soll sich zu hundert Prozent selbst finanzieren und tragen, am Ende sollten plus/minus Null herauskommen. Für den Notfall hat der Verein lunatic e.V., in den alle Festivalplaner eintreten, ein kleines finanzielles Polster. Doch neben dem Geld, das bereits durch erste Tickets eingegangen ist, sind die Veranstalter immer auf Sponsorings und Förderung angewiesen. „Es soll sich nicht nur über die Tickets tragen”, erklärt Hendrik. „Sie kosten dieses Jahr 45 bis 60 Euro, mehr soll es auch nicht werden. Wir arbeiten komplett ehrenamtlich, aber Corona macht alles teurer. Bei mehr Bühnen brauchen wir zum Beispiel auch mehr Technik. Alle Mitwirkenden sollen außerdem fair entlohnt werden, dadurch wird es auch teurer.” (JVE)

 

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