Siegt die Gerechtigkeit doch noch? Der Fall Frederike muss neu aufgerollt werden …

Recht und Gerechtigkeit. Dass sich zwischen diesen Wörtern ein unendlicher Abgrund auftun kann, hat er wie kaum ein anderer erfahren müssen: Hans von Möhlmann ist der Vater der 1981 in einem Waldstück bei Hambühren (Landkreis Celle) grausam ermordeten Schülerin Frederike. Bereits zwei Mal wurde der spektakuläre Fall auch vor dem Landgericht Lüneburg verhandelt, doch noch immer läuft der mutmaßliche Mörder Ismet H. frei herum. Seit 40 Jahren genießt er sein Leben in Freiheit, während sein dahingemetzeltes Opfer auf dem Friedhof liegt. Möglicherweise kann sich der Täter jedoch nicht mehr lange in Sicherheit wiegen. Die Chancen stehen gut, dass der Fall jetzt doch noch einmal vor Gericht muss. Denn nach einer Gesetzesänderung soll Mordverdächtigen künftig erneut der Prozess gemacht werden können, wenn neue Beweise vorliegen. Bisher war das so nicht möglich. 

 

Kein Wunsch nach Rache beim Vater

Das Schicksal der 17-jährigen Frederike von Möhlmann trug entscheidend zu der Gesetzesänderung bei, sagt auch Dr. Wolfram Schädler, Bundesanwalt a.D., Opferanwalt für Nebenklage und Täter-Opfer-Ausgleich. Der Top-Jurist vertritt Hans von Möhlmann vor Gericht: „Zu 70 Prozent wird es zu einem neuen Prozess kommen“, so Schädler. Jahrezehntelang hatte Frederikes Vater genau dafür gekämpft, Petitionen eingereicht, mit Politikern diskutiert und gestritten. Der einst große stattliche Mann hat darüber seine Gesundheit verloren. Doch seine Stimme ist weiterhin fest: „Mein Wunsch ist nicht Rache, aber bevor ich bald sterbe, will ich, dass der Mörder bestraft wird.“ Es war der Abend des 4. November 1981, als Frederike auf ihren Mörder getroffen sein muss. Nach der Chorprobe der Stadtkantorei von Celle, die gegen 19:30 Uhr endete, machte sich das Mädchen mit den aschblonden Haaren auf den Heimweg ins acht Kilometer entfernte Hambühren. Sie lieh sich 20 Pfennig zum Telefonieren, wollte vermutlich zu Hause anrufen, damit sie jemand abholt. Der Bus verkehrte zu dieser Uhrzeit nicht mehr. Vielleicht hatte sie niemanden erreicht, jedenfalls entschied Frederike sich offenbar, das kurze Stück per Anhalter zu fahren. Zwei Groschen fand die Polizei später in der Nähe ihrer Leiche. Zwei Mal hatte der perverse Täter ihr das Messer durch die linke Brust bis ins Herz und in die Lunge gestoßen, 15 und 17 Zentimeter tief. Er wollte ganz sicher sein, dass das Mädchen wirklich stirbt … Sieben Mal traf er in die rechte Hüfte, durchstieß dabei Niere, Leber und die Bauchdecke. Dann trennte der Mörder Frederike die Kehle durch. „Die Schnittverletzung von Ohrläppchen zu Ohrläppchen reicht bis zur Wirbelsäule“, heißt es in dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 1. Juli 1982 gegen Ismet H.

Der Täter war schnell ermittelt

Der damals 22 Jahre alte türkische Einwanderer war sehr schnell der Hauptverdächtige. Zu ihm führten die Ermittler Reifenspuren im Waldboden. Profil und Spurweite entsprachen denen eines BMW 1602 – der gleiche Autotyp, den H. fuhr. Die Beamten nahmen Faserproben von einem Teppich, der in seinem Auto lag, von den Baumwollsitzkissen, Sitz- und Kopfstützenfellen – sie stimmten mit den Spuren an Frederikes Kleidung und Unterwäsche überein. Für das Landgericht Lüneburg war der Fall geklärt: Ismet H. wurde wegen des Sexualmordes an Frederike zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch wieder auf – die Faserproben reichten den obersten Richtern allein nicht – und sprach den Verurteilten frei. Ismet H. war zwar auch die nächsten Jahrzehnte der Hauptverdächtige in dem Mordfall – doch er blieb auf freiem Fuß. Und weder Justiz noch Polizei und Hans von Möhlmann konnten daran etwas ändern: „Ich bin daran fast irre geworden“, erzählt er heute. Erst 2012 tauchten wegen der besseren technischen Möglichkeiten DNS-Spuren auf. Der damalige niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann hatte die Behörden angewiesen, diese Spuren auszuwerten, nachdem Frederikes Vater sich mehrfach an ihn gewandt hatte. Die DNS-Spuren bewiesen: Ismet H. ist doch der Täter. Zweifel? Ausgeschlossen! Das Problem: Strafrechtlich konnte der Mann nach dem Freispruch nicht mehr belangt werden. Bis zur Gesetzesänderung von Bundestag und Bundesrat …

 Beim ersten Prozess gegen den Mörder seiner Tochter war Hans von Möhlmann nicht dabei. Er hatte einen Zusammenbruch erlitten, lag in Lüneburg im Krankenhaus, ließ sich später selbst in eine psychiatrische Klinik einweisen und lernte dort eine Frau mit einem ähnlichen Schicksal kennen: Marianne Bachmeier wurde 1981 bekannt, weil sie eine Pistole ins Gericht schmuggelte und den mutmaßlichen Mörder ihres Kindes erschoss. In seiner Klinik, erzählt von Möhlmann, sei die Mutter damals psychiatrisch begutachtet worden. Für ihn selbst sei das niemals eine Option gewesen, auch wenn ihm Bekannte geraten hätten, sich doch eine Waffe zuzulegen. „Ich will nur alles für mein Kind getan haben, bevor ich selbst gehen muss“, erzählt der 78-Jährige. „Auch wenn ich weiß, dass es meine Tochter nicht wieder lebendig macht …“ (RT)

Ein Mörder muss zittern
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