Stefan Erb ist Berufsschäfer am bleckeder Deich
Mit Tieren zu arbeiten und mit ihnen den Tag zu verbringen, hat in diesen unsicheren Zeiten etwas Beruhigendes. Für Stefan Erb aus Bleckede war und ist es schon immer der Lebenstraum, Schäfer zu sein. Deshalb erfüllte er ihn sich schon in jungen Jahren. Stefan Erb, in Gifhorn aufgewachsen, stammt nicht aus einer Schäferfamilie. Dennoch interessierte ihn der Beruf des Schäfers schon zu Schulzeiten so sehr, dass er die Schule dafür abbrach und mit 16 Jahren in die Lehre ging. „Es war wie eine Berufung, es hat mich irgendwie im Kopf magisch angezogen”, erinnert sich der 49-Jährige. Der Traditionsberuf des Schäfers hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert. „Wir brauchen unsere Hunde, ziehen zu Fuß übers Land, und auch die Schafhaltung ist so geblieben wie früher. Das macht für mich den besonderen Reiz aus.” In Esbeck bei Hildesheim ging er in die Ausbildung. Als ausgelernter Schäfermeister von gerade einmal 20 Jahren hatte er dann das große Glück, die freie Heisterbusch-Hofstelle in Bleckede zu bekommen. So landete der junge Schäfer am Elbdeich. Für den Start lieh ihm ein alter Schäfer Geld, um erste Schafe zu kaufen – damals 40.000 D-Mark für rund 400 Schafe. Stefan Erb startete als Schäfer allein, später stieg sein alter Freund Klaus Hentschel mit ein, mit dem er eine GbR gründete. Die Ausbildung zum Schäfer ist fast komplett praktisch. Zur Theorie gehören unter anderem Krankheiten und Pflegemaßnahmen der Tiere. Die harten Arbeitsbedingungen eines Schäfers lernt man jedoch schon früh kennen. „Es gibt noch Lehrstellen, aber der Nachwuchs fehlt”, erklärt Stefan Erb. „Die Arbeit ist mit vielen Stunden verbunden, und die Schäfereien stehen heute unter enormem Druck.” Er versteht, wenn sich junge Menschen gegen den Beruf entscheiden: „Es ist schwierig, von Schafen zu leben. Arbeit fällt an sieben Tage die Woche an 365 Tagen im Jahr an, und man hat hohe Lohnkosten. Wenn dann nicht einmal etwas übrig bleibt, ist es schwierig, jemanden dafür zu begeistern.” Auch wenn die Wirtschaftlichkeit regelmäßig auf der Kippe stehe und der Wolf ein massives Problem darstelle, kann sich der 49-Jährige für sich keine andere Arbeit vorstellen und ist weiterhin froh über seine Berufswahl.
Deich- und Landschaftspflege
Gebraucht werden Stefan Erbs Schafe in Bleckede vor allem auf den Deichen, um das Gras kurz zu halten, auch die Moorgebiete der Region werden mit ihnen beweidet. „Die Kleinschafhaltung ist immer ein Stück Landschaftspflege”, erklärt er. Während seine Schäferei zu 50 Prozent vom Verkauf des Lammfleisches lebt, finanziert sie sich ansonsten aus Agrarsubventionen. Die Lämmerpreise schwanken stark und hängen von den Importen ab. Nur 40 Prozent des in Deutschland konsumierten Lammfleisches stammten aus Deutschland, erläutert der Schäfer. Der Rest werde aus Großbritannien und Neuseeland eingeführt, was den Preis nach unten drücken könne. Eine Mutterschaftsprämie, die in mehr als 20 EU-Staaten eingeführt wurde, lehnte die deutsche Regierung bisher ab. „Vieles ist immer in der Schwebe.” Stefan Erb schaut auf viele schöne Momente, aber auch schwere Zeiten zurück. Er lebt weiterhin auf seinem Hof am Heisterbusch, wo er mit der Schafhaltung begann. Wegen des alle paar Jahre wiederkehrenden Hochwassers baute er als Schutz für seine Schafe vor zehn Jahren ein paar Kilometer weiter im Ortsteil Garze eine 1.800 Quadratmeter große Halle als Stall. Im Winter ist ein Teil von Stefan Erbs Schafen zur Lammung im Stall, während einige Herden bei Landwirten in der Region auf den Flächen weiden. Zu beweiden gibt es dann Ernterückstände und Zwischenfruchtflächen – eine Gefälligkeit der Landwirte, bevor der Pflegeauftrag auf den Deichen wieder losgeht. Bis dahin besteht der Tag darin, vormittags die Schafe im Stall zu versorgen und nachmittags die Herden draußen. Im Winter werden außerdem die Klauen der Tiere geschnitten. „Jeder hat immer irgendwo was zu tun”, so Stefan Erb.
Lammzeit Januar bis März
Die Hauptlammzeit beginnt Mitte Januar, die arbeitsreiche Frühjahrslammung ist Mitte März abgeschlossen. Im März hatte der Schäfer gut tausend Muttertiere, die lammen. Mit vier Monaten werden die Lämmer verkauft, 20 Prozent seiner Lämmer behält Stefan Erb als Nachzucht. „Bei einem Lebendgewicht von 45 Kilogramm sollten sie verkauft werden”, erklärt er. Die Schafe bleiben bei dem Schäfer bis zu sieben Jahre, dann werden sie verkauft und geschlachtet – auch eine Nachfrage nach Schaffleisch besteht in Deutschland. Die Lammzeit ist die arbeitsintensivste Zeit in den Schäfereien. Zwar schaffen einen Großteil der Lammung die Tiere alleine, doch es ist wichtig, dass nach der Geburt das Lamm und seine Mutter für 24 bis 48 Stunden in einer „Einzelbucht” separiert werden. „Die Mutter-Kind-Bindung muss sich festigen. Wenn man sie nicht separiert, kann auch mal ein Lamm verloren gehen”, erklärt der Schäfermeister. „In den ersten Stunden würde vieles durcheinander gehen, und wir hätten viele Flaschenlämmer.” Mitte März hatten er und seine vier Mitarbeiter 40 Flaschenlämmer zu versorgen, darunter auch Drillinge, für die die Mutter nicht genug Milch hatte. Während der dreimonatigen Lammzeit stehen die Tiere permanent unter Beobachtung, das bedeutet: drei Monate Nachtschicht. Zwar ist es nachts schon recht still im Stall, doch einzuschlafen droht man nicht, denn es gibt immer etwas zu tun. Für Stefan Erb bedeutet diese Zeit, nicht vor 3 Uhr nachts ins Bett zu kommen.
Elementare Verantwortung
Stefan Erbs Familie musste in all den Jahren viel auf ihn verzichten. Seine Ehe ging in die Brüche, und seine beiden erwachsenen Kinder (24 und 18) verfolgen eigene Ziele, so dass sie seine Arbeit später nicht weiterführen werden. „Das gibt es schon, dass Schäfereien in der sechsten oder siebten Generation geführt werden. Aber das ist anders als in anderen landwirtschaftlichen Betrieben”, sagt Erb. Er habe es nie forciert, dass seine Kinder sein Erbe antreten, denn er hat auch die vielen harten Tage im Sinn, die er ihnen nicht zumuten möchte. „Bei minus 15 oder 20 Grad unterwegs zu sein oder bis zu den Knien im Schlamm zu stehen – das wünscht man seinen Kindern nicht unbedingt”, so Stefan Erb. Ihm ist bewusst, dass nicht jeder seine Bindung zu den Tieren nachvollziehen kann. „Man macht alles nur für die Schafe, nur um sie zu versorgen. Man muss irgendwie an der Sache hängen und mental stark sein.” Es gebe keine Wahl: „Ich kann nicht einfach nach Hause gehen, die Verantwortung ist elementar.” Während die Versorgung der Schafe im Stall einfach sei, müsse man auf dem Feld nach Futter suchen. Ein Problem für die Schäfereien ist der Wolf. Auch Stefan Erb hatte im September und Oktober 2019 mit schweren Übergriffen zu kämpfen. „Die Überlegung war damals, wir hören auf oder wir schützen die Schafe mit Hunden.” Sie entschieden sich für die Hunde: Seine Schäferei verfügt nun neben zehn Hütehunden um sechs Herdenschutzhunde. „Seitdem haben wir keine Probleme mehr mit dem Wolf”, berichtet der 49-Jährige. Im April beginnt für die Schafe die Beweidung der Deiche, die bis spätestens Mitte November durchgeführt wird. 35 Kilometer Elbdeich haben Stefan Erbs Herden abzugrasen, eine vergleichsweise angenehme Zeit im Vergleich zum Winter – wenn er hart und kalt ist. „Winter ist immer härter. Der Sommer ist hart, wenn es über 30 Grad sind”, erklärt der Deichschäfer. Den Tieren mache das alles nichts aus: Da das Schaf ursprünglich ein Steppentier sei, könne es warme genauso wie kalte Temperaturen gut ab.
Wichtiges Stück Kulturgut
Mit den Schafen auf dem Deich wird es dem Berufsschäfer nie langweilig. Sein Handy, gegen das er sich lange gewehrt hat und das tagsüber ständig klingelt, stört ihn eher, als dass er es für die Ablenkung nutzen würde. „Ich bin auf die Schafe fokussiert. Man muss wach sein und seine Sinne beieinander haben.” Was auf dem Deich zählt, sei die intensive Zusammenarbeit und Kommunikation mit den Hütehunden. Auch an Gesprächspartnern fehle es ihm unterwegs nicht, denn er werde regelmäßig angesprochen. „Es wird immer besonderer, dass jemand mit Schafherden durchs Land zieht”, meint er. „Manche zücken auch ihr Smartphone und machen Fotos – das hat sich sehr verändert in den letzten 30 Jahren. Ich glaube, das ist ein wichtiges Stück Kulturgut, das wir haben. Das Vermögen, eine Herde ohne Zaun hüten zu können, sollte aufrecht erhalten werden.” Stefan Erb ist einer von schätzungsweise 50 Berufsschäfern in Niedersachsen. Vier bis fünf Herden mit je rund 400 Schafen und Lämmern nennt er momentan sein Eigen, davon am meisten schwarzköpfige Fleischschafe, außerdem weiße Leineschafe – die vom Aussterben bedroht sind – sowie Coburger Fuchsschafe. Für die Weidenpflege besitzt er zusätzlich 16 Ziegen. „Wir halten immer so viele Schafe, wie wir für die Flächenpflege brauchen”, erklärt Stefan Erb. Der Deichschäfer kennt seine Schafe in- und auswendig. Er kann die Tiere auseinanderhalten und erkennt sofort, ob es einem nicht gut geht. „Man muss eine emotionale Bindung aufbauen”, meint er. „Jedes Tier ist ein Individuum, und man muss auf jedes eingehen.” Man sei so viel zusammen unterwegs, dass man automatisch eine Bindung zur Herde habe. So ist der Schäfer sich auch sicher, dass seine Herden nicht ohne Weiteres fremden Menschen folgen würden.
Schaf ist ein Nutztier
Trotz der engen Bindung zu seinen Tieren vergisst Stefan Erb nie, dass das Schaf ein Nutztier ist und bleibt. Auch wenn bei ihm einige Tiere bis zu 14 Jahre alt werden, sind viele für den Verzehr gedacht, auch schon als junges Lamm. Aber: „In der Schafhaltung sind eigentlich immer alle Tiere glücklich aufgewachsen, man kann immer von glücklichen Lämmern sprechen. Im Stall ist genug Platz, und sie freuen sich auch, wenn es raus geht”, so Stefan Erb. Mit Krankheiten wie Euterentzündung (Mastitis), Lungenentzündung oder Durchfall haben auch die Schafe zu kämpfen. Krankheiten wie Covid-19 oder das Coronavirus an sich machen dem Berufsschäfer aber keine Angst. Den Betrieb kann er auch nicht einfach einstellen. „Die Tiere müssen versorgt werden, wir können den Laden nicht dicht machen.” Wenn jemand krank sei, müsse man auf ihn verzichten, doch selbst das komme selten vor: „Wir sind alle so robuste Naturburschen, das kriegen wir hin.” In Zeiten der Corona-Pandemie ist es für den Berufsschäfer ausnahmsweise von Vorteil, dass er ohnehin kaum Zeit für soziale Kontakte hat und den Tag kaum mit Menschen, sondern mit Tieren verbringt. Er sieht nicht nur seine Freunde kaum, sondern war auch seit drei Jahren nicht mehr im Urlaub. Er ist höchstens in seinem Ehrenamt als zweiter Vorsitzender des Landesschafzuchtverbandes unterwegs. Bis zum Rentenalter hat der 49-Jährige noch ein paar Jahre, dann möchte er seine Schäferei an jemand Anderen weitergeben. „Man hört aber, dass man schlecht davon wegkommt. Man hat immer wenig Freizeit und verbringt sein Leben damit. Es gibt viele Kollegen, die das bis ins hohe Alter gemacht haben”, weiß Stefan Erb. (JVE)