Vor fast zehn Jahren suchte sie ein Ehrenamt als sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Seitdem arbeitet Angelika Getzke bei der Ausgabestelle der Lüneburger Tafel. „Das Ehrenamt befriedigt mich sehr, es gehört zu mir”, meint die 71-Jährige. Angelika Getzke, die 1981 aus der DDR nach Lüneburg kam, ist gelernte Köchin und kochte noch in der DDR in einer Mensa bis zu 1.300 Essen am Tag. In einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung war sie zunächst Köchin und übernahm später die Wirtschaftsleitung. 35 Jahre arbeitete sie in diesem Bereich. Als sie vor knapp zehn Jahren in Altersteilzeit ging, war sie froh, nicht mehr die Verantwortung tragen zu müssen. „Ich wollte keine leitende Funktion mehr haben”, erklärt sie. „Die jahrzehntelange Arbeit war körperlich sehr kräftezehrend.” Mit Anfang 60 empfand sich Angelika Getzke jedoch zu jung, um nichts mehr zu machen. Ihre Söhne waren erwachsen, und so sah sie sich in ihrer Heimat Lüneburg nach Möglichkeiten um, sich ehrenamtlich zu engagieren. Gerade einmal vier Wochen in Altersteilzeit, begann sie auf Probe, bei der Lüneburger Tafel zu arbeiten. Es begeisterte sie von der ersten Stunde an.

Andere Arbeit durch Pandemie

Die Lüneburger Tafel besteht seit 1995. Wie alle Tafeln in Deutschland sammelt auch die Stelle in Lüneburg überschüssige, noch verwertbare Lebensmittel aus dem Handel ein und gibt diese an Menschen in besonders schwierigen wirtschaftlichen Situationen aus. An vier Tagen die Woche hat die Ausgabestelle der Lüneburger Tafel geöffnet. Rund 70 Helfer und aktive Mitglieder halten die Arbeit in wechselnden Teams am Laufen. Angelika Getzke ist seit Jahren jeden Donnerstag vor Ort. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Arbeit für Angelika Getzke und alle Helfer, aber auch für die Kunden geändert. Bis vor zwei Jahren hatte die Lüneburger Tafel eine Art Ladengeschäft, das die Kunden betreten konnten. Dafür mussten sie zuvor eine Wartenummer ziehen und in einem Aufenthaltsraum manchmal stundenlang warten. Seit der Pandemie werden im Vorwege an die Kunden Zeitfenster vergeben, was lange Wartezeiten verhindert. Die Innenräume werden von den Kunden nicht betreten, stattdessen werden die Lebensmittel in zuvor fertig gepackten Tüten ausgegeben. Aufgrund ihres Alters hat sich Angelika Getzke entschieden, während der Pandemie keine Tätigkeiten mit Kundenkontakt für die Lüneburger Tafel zu übernehmen. Deshalb hat sie nun den Job mit der größten Entfernung zu den Kunden. Ihre ehrenamtliche Arbeit besteht darin, Obst und Gemüse zu kontrollieren, zu sortieren und in Tüten zu packen. Diese kommen vorne zur Lebensmittelausgabe.

Nur genießbare Ware

Los geht es für die Helferin am Donnerstag um 9 Uhr. „Wir haben dann sehr viel Ware, die durch die Fahrer angeliefert wurde”, erklärt sie. Acht bis zehn Personen helfen pro Tag bei der Lüneburger Tafel mit, die Fahrer eingeschlossen. Pro Tag holen die Fahrer von etwa 22 Stellen – Supermärkten und Großmärkten – aussortierte Lebensmittel ab, einige Orte werden mehrmals in der Woche angefahren. Obst und Gemüse kommen bei der Lüneburger Tafel gewöhnlich in großen Mengen an. Angelika Getzke schaut beim Sortieren genau hin: „Ich gebe nichts raus, was ich selber nicht essen würde – nur gute, noch genießbare Ware.” Nach dem Vorsortieren packt sie die Obst- und Gemüsetüten, die dann in den ehemaligen Aufenthaltsraum gefahren werden. Vorne in der Ausgabe entscheiden die Helferinnen und Helfer individuell, welche Mengen an die einzelnen Kunden herausgegeben werden – abhängig von der Anzahl der Familienmitglieder. Jeder Kunde zahlt für die Lebensmittel einen Euro pro Ausgabetag. An den vier Öffnungstagen der Lüneburger Tafel kommen pro Woche zurzeit ungefähr 400 bis 480 Kunden zur Lebensmittelausgabe – Tendenz steigend. Dafür macht Tafel-Leiterin Konstanze Dahlkötter nicht nur die allgemein steigenden Preise verantwortlich, die viele in eine schwierige wirtschaftliche Lage bringen. Einen Großteil der Neuanmeldungen – in den vergangenen vier bis fünf Wochen gab es rund 150 Neuregistrierungen bei der Tafel – machen inzwischen die Geflüchteten aus der Ukraine aus. Während für den Tafel-Ausweis, eine Art Berechtigungskarte für die Tafel, in der Regel die wirtschaftlichen Verhältnisse durch Renten-, Hartz-IV- oder Erwerbsminderungsbescheide nachgewiesen werden müssen, werden die Kunden aus der Ukraine in ihrer Not zunächst nur mit Namen erfasst. So sind bei der Lüneburger Tafel momentan insgesamt schon weit mehr als 2.000 Kunden registriert, unter ihnen auch einige, die schon lange nicht mehr da waren. Dafür komme ungefähr die Hälfte der aktuellen Kunden schon seit Jahren regelmäßig zur Ausgabestelle, schätzt Tafel-Leiterin Konstanze Dahlkötter.

 

 

Der Andrang wächst

Von den Massen an Kundschaft bekommt Angelika Getzke nur bedingt etwas mit. Zwar weiß sie durch die Vergabe von Zeitfenstern die ungefähre Zahl an zu erwartenden Kunden, doch auch spontane Besucher werden nicht abgewiesen. Und obwohl die Kunden seit der Corona-Pandemie nur noch einmal pro Woche Lebensmittel von der Lüneburger Tafel holen dürfen, wird der Andrang an der Tafel ständig größer. Das merkt Angelika Getzke am Arbeitspensum: Stundenlanges Stehen, Sortieren, Tragen und Packen bringen sie körperlich an ihre Grenzen. Um ihren Rücken nicht zu überlasten, macht die 71-Jährige meist nach fünf Stunden Arbeit Schluss. „Länger geht es nicht, dann ist mein Limit erreicht”, so die Lüneburgerin. Spaß macht ihr die Arbeit dennoch – die lockere, ungezwungene Atmosphäre ohne Druck und die nette Stimmung unter den Kollegen gefallen ihr seit Jahren. „Ich will noch ein paar Jahre bleiben, ich gehe da sehr drin auf”, sagt sie. Neben dem Lebensmittelbereich, in dem Angelika Getzke momentan tätig ist, gibt es bei der Lüneburger Tafel noch andere, zum Beispiel Brot und Brötchen, Kuchen, Frischeprodukte, wie Molkereierzeugnisse, oder Süßigkeiten. Jeder Kunde kann Tüten aus verschiedenen Bereichen erhalten, so dass er mit einer Vielzahl an Tüten nach Hause gehen kann. Als Angelika Getzke eines Tages miterlebte, dass ein Kunde direkt nach der Ausgabe einen Weißkohl in den Mülleimer warf, hatte sie die Idee, eine Klappbox für die Lebensmittel aufzustellen, die die Kunden nicht behalten möchten. Da die Besucher zurzeit die Lebensmittel nicht selbst wählen dürfen, komme das immer wieder vor. „Durch die Klappbox wird nichts weggeworfen”, stellt die Helferin fest – zurücknehmen dürften die Tafel-Mitarbeiter nämlich nichts. So könnten die Besucher die zurückgegebenen Dinge aus der Kiste einfach mitnehmen. Nachschub an Lebensmitteln erhält die Lüneburger Tafel den ganzen Tag. Dennoch kann es passieren, dass Angelika Getzke und ihre Donnerstags-Mitstreiter etwas von ihrem Obst und Gemüse aufbewahren müssen, damit die Kunden am Freitag genug bekommen. Grundsätzlich gilt: Verderbliche Waren müssen sofort weiterverarbeitet werden. Haben Lebensmittel aus dem Frischebereich eine noch längere Mindesthaltbarkeit, können sie noch aufbewahrt werden, auch Tiefkühlschränke hat die Tafel. Für Angelika Getzkes Obst- und Gemüsebereich bedeutet das: Jedes Obst- oder Gemüsestück geht einmal durch ihre Hände, jede eingeschweißte Packung muss geöffnet und sortiert werden. „Da haben sie in den Supermärkten keine Zeit zu”, weiß die Helferin. „Oft haben wir Mandarinennetze oder Kartoffelsäcke, wo nur eine schlecht ist.” Dennoch müsse beim Sortieren sehr viel weggeworfen werden. So seien bei Früchten wie Erdbeeren oder Weintrauben oft nur noch wenige zu gebrauchen. Teile, die nicht mehr länger lagerbar sind, müssen so schnell wie möglich an die Kunden herausgegeben werden. Über Konserven verfügt die Lüneburger Tafel nur in geringem Maße. Diese werden meist ausgegeben, wenn wenig frische Produkte da sind.

Auf Spenden angewiesen

Wie viele andere Tafeln in Deutschland hat auch die Lüneburger Tafel zunehmend damit zu kämpfen, dass immer weniger Lebensmittel bei ihr ankommen. Das liege auch daran, dass Supermärkte verstärkt Lebensmittel, die bald ablaufen, reduziert anbieten würden, so Kons-tanze Dahlkötter. Auch die Lüneburger Tafel ist auf Spenden angewiesen – annehmen darf sie als Verein jedoch nur Lebensmittelspenden oder Supermarktgutscheine. Geldspenden dürfen nicht in Lebensmittel investiert werden, sondern in die laufenden Kosten der Tafel. Der Vorstand der Lüneburger Tafel, der komplett ehrenamtlich arbeitet, ist ständig auf der Suche nach Sponsoren. Auch Privatpersonen würden zunehmend spenden, weiß Angelika Getzke. Auch wenn Angelika Getzke die ehrenamtliche Arbeit viel Freude bereitet, gestaltet sie sich seit Pandemiebeginn für sie komplett anders. Der 71-Jährigen gefiel die Arbeit im Laden, verbunden mit netten Gesprächen mit den Kunden. „Solange der Laden auf war, hatte ich sehr netten Kontakt mit vielen Kunden. Und wir haben versucht, Neukunden ihre Scham zu nehmen.” Dass sie die Kunden nun nicht mehr zu Gesicht bekommt, empfindet sie als schade, die Arbeit ist für sie nun geballter und körperlich anstrengender. Die Lüneburgerin hofft deshalb langfristig auf eine Wiedereröffnung des Ladens, kombiniert mit der neu eingeführten Vergabe von Zeitfenstern, die zu einer schnelleren Abwicklung der Ausgabe führte. Dass Angelika Getzke im Helferteam der Lüneburger Tafel mit ihren 71 Jahren zu den Ältesten gehört, macht ihr nichts aus. „Es gibt keinen Druck. Der Arbeitgeber muss annehmen, was jeder Arbeiter geben kann. Es ist kein Problem, wenn man mal nicht kommen kann”, erklärt sie. „Ich kann im Hintergrund fungieren, und es gibt kein Müssen mehr. Deshalb fühle ich mich jetzt gut.” (JVE)

 

Ehrenamt im Akkord
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