Wie familien- und kinderfreundlich ist Lüneburg in der Krise?
Unser Leben ist im Wandel. Wie sehr, das lässt sich auch daran beobachten, wie Jugendliche heute ihre Freizeit verbringen. Statt in Jugendclubs und Vereinen trifft man sich in kleinen Grüppchen in der Lüneburger Innenstadt auf den Sitzbänken, die Gesichter über Smartphones gebeugt. Zeit totschlagend. Das war so oder ähnlich natürlich schon vor der Pandemie – doch scheint diese jetzt wie ein Katalysator zu wirken, die das Problem, das sich dahinter verbirgt, sichtbar werden lässt. Die virtuellen Räume scheinen viele Kids so sehr in Beschlag zu nehmen, dass sie gar nicht mehr nach Freiräumen in der echten Welt suchen. Und selbst wenn sie danach suchen würden, fänden sie jetzt auch keine mehr. Denn immer mehr reale Freizeitmöglichkeiten, die früher selbstverständlich waren und als Zeichen von Lebensqualität galten, sind den Kindern und Jugendlichen genommen. Und nicht nur ihnen. Die Pandemie hat alle Altersgruppen im Griff und den Freiraum spürbar immer mehr eingeschränkt. Dabei kommt es naturgemäß auch zu Konflikten. Öffentliche Plätze wie der Stint, der Kreidebergsee oder die Mensawiese waren zuletzt regelmäßig Treffpunkt junger Menschen, teilweise alkoholisiert und zum wachsenden Ärger der unmittelbaren Anwohnerinnen und Anwohner. Die Stadt reagierte darauf erst mit einer Allgemeinverfügung, die unter anderem am Wochenende abends das Mitführen und Konsumieren von Alkohol auf den Straßen im Bereich des Stints untersagt – später folgte eine Online-Umfrage (bereits beendet, Ergebnisse liegen aber noch nicht vor), um – so die Sozialdezernentin Pia Steinrücke in den Medien: „zu erfahren, worauf es jungen Menschen in Lüneburg mit Blick auf öffentliche Plätze und Freizeit-Treffpunkte denn ankommt.“
Mehr günstige Freizeitangebote gefordert
Mehrere Leserbriefe zeigten, dass das Thema die Lüneburger Bevölkerung sehr beschäftigt. Einer stammt von Thomas I., der seit 30 Jahren im Stadtteil Goseburg mit seiner Familie lebt. Er sagt: „Das ist nicht mehr mein Lüneburg, das ich früher mal geliebt habe“. Sein Hauptkritikpunkt: Es wird zu wenig an den Bürger gedacht. Kleinere Vereine, die es in der Corona-Krise ohnehin ziemlich schwer haben, aber so wichtig seien für den Zusammenhalt der Gesellschaft, müssten viel mehr gefördert werden. Zudem fehle es in der Stadt an günstigen Freizeitmöglichkeiten: „Es gibt keine Bowlingbahn mehr, keine Discos. Gehen Sie heute doch mal mit einem Kind ins Kino, oder ins Salü, unter 50 Euro läuft da nichts, für Karten und Popcorn. Welche Familie hat das Geld dafür noch über? Stattdessen wird ein ehemaliger Exerzierpatz mitten in der Stadt zum „Strand“ umfunktioniert, der nur auf Kommerz ausgelegt ist. Warum nimmt man nicht einen Bagger zur Hand und macht an der Ilmenau in Wilschenbruch, in Höhe der dortigen Hütte, einen 10 bis 20 Meter breiten Strand, kippt ein wenig Sand auf. Auch wenn das ein Naturschutzgebiet ist, müsste es doch Möglichkeiten geben, dass sich dort auch Menschen, im Einklang mit der Natur, im Sommer zum Baden oder Sonnen aufhalten können…“ Bei einer (nicht repräsentativen) Umfrage in der Lüneburger Innenstadt sah das eine Mehrheit der Befragten ähnlich. Tenor: Für junge Familien, aber besonders für Kinder und Jugendliche, wird in Lüneburg nicht genug getan. Erst recht jetzt in Zeiten der Pandemie. Da müsse man sich nicht wundern, wenn einige der Jugendlichen auch einmal „austicken“ würden, so Werner B. aus Reppenstedt.
Spuren an Körper und Seele
Tatsächlich ist laut Bundesfamilienministerium die Zahl der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten bundesweit angestiegen. Sie seien – das belegten mehrere Studien – durch die Pandemie in einem hohen Maß psychisch belastet, und vor allem bei den unter 14-Jährigen habe es eine signifikante Zunahme psychischer Symptome wie Ängstlichkeit, Depressivität und Hyperaktivität gegeben. Die Stadt Lüneburg nehme das alles durchaus ernst, hieß es auf Nachfrage. Kinder und Jugendliche erlebten schließlich mehr noch als die meis-ten Erwachsenen, wie gravierend die Pandemie den Lebensalltag einschränkt. Kaum Treffen mit Freunden oder Training in den Sportvereinen und vieles andere mehr fordern viel Verzicht ab. Das hinterlässt Spuren in Körper und Seele. Pressesprecherin Suzanne Moenck: „Vor allem unser Sozialdezernat hat sich im vorigen Jahr mehrfach mit den Corona-Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche beschäftigt und verschiedene Aktionen gestartet, um niedrigschwellige Angebote für mehr Bewegung und mehr Miteinander zu unterstützen. Ebenso gibt es Bestrebungen, den ehrenamtlich Aktiven den Rücken zu stärken. Das wird auch weiterhin ein Thema bleiben.“ Tipp: Die Jugendpflege hat über den Link www.junges-lueneburg.de verschiedene Angebote für Kinder und Jugendliche in den Jugendtreffs, -zentren, Stadtteilhäusern usw. zusammengestellt.
Umfrage zu Mitgliederschwund in Vereinen
Auch die teilweise kritische Lage der Vereine habe man im Blick. Der Kreissportbund Lüneburg (KSB), die Dachorganisation von rund 160 Sportvereinen und 13 Fachverbänden mit zirka. 46.000 Mitgliedern in der Hansestadt und im Landkreis Lüneburg, versucht aktuell herauszubekommen, wie viel Mitglieder im vergangenen Jahr ihren Vereinen tatsächlich den Rücken gekehrt haben. Dass es keine positive Bilanz sein wird, steht außer Frage (2020 betrug das Minus 5 Prozent). Umso wichtiger sind für die Vereinskultur in Lüneburg darum auch unkonventionelle Maßnahmen wie die #WirfürdenSport-Spendenaktion. Das eingesammelte Geld soll Vereinen zur Verfügung gestellt werden, die damit Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung und -bindung wie Sporttage oder Schnupperkurse fördern können. Antragsfrist ist der 28. Februar 2022. (RT)