Susanne Schumacher führt als Willkommenslotsin arbeitsuchende Geflüchtete und Unternehmen zusammen
Ob Jugendhilfe, Politik, Naturschutz oder Marketing: Susanne Schumacher hatte in ihrer Laufbahn schon viele Jobs. In ihrer neuen Anstellung als Willkommenslotsin bei der IHK Lüneburg schließt sich der Kreis, denn hier kann sie ihre gesammelten Erfahrungen einbringen. Die 48-Jährige hilft im Kammerbezirk Lüneburg-Wolfsburg, für Geflüchtete den passenden Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden – und für Unternehmen die passenden Mitarbeiter. Die gebürtige Stuttgarterin, die in einem Dorf in Baden-Württemberg aufwuchs, zog 1993 nach Lüneburg, um Umweltwissenschaften zu studieren. „Ich habe vorher im Auslandsstudium in Italien Leute kennen gelernt, die mir von Lüneburg vorschwärmten”, erinnert sie sich. Als sie die Stadt kennen lernte, war es sofort um sie geschehen: Inzwischen kann sich Susanne Schumacher keinen schöneren Ort zum Leben und Arbeiten mehr vorstellen. Nach dem Studium war es für Susanne Schumacher erst eine Notlösung, in der Jugend- und Erwachsenenbildung zu arbeiten. „Mein Studium der Umweltwissenschaften hatte einen geo-botanischen Schwerpunkt. Ich wollte aber mehr mit Menschen arbeiten”, erklärt sie. Bei verschiedenen Lüneburger Bildungsträgern unterrichtete sie Fächer wie Mathe, Deutsch und Englisch, gab Bewerbungs- und Telefontraining.
Mutter der Nation und Feldwebel
Die Aufgaben wurden stetig mehr, bis Susanne Schumacher 2001 ein Job beim Verein Jugendhilfe e.V. in Lüneburg angeboten wurde, der es in sich hatte: Im Rahmen des aha!-Projektes wurde sie als Lehrerin für drogenabhängige Jugendliche eingestellt. „Auf der einen Seite musste ich den Schülern wohlwollend und zugewandt gegenübertreten, auf der anderen Seite eisenhart sein. Ich war im einen Moment die Mutter der Nation und im nächsten Moment der Feldwebel.” Die Jugendlichen zu unterrichten war eine wesentlich größere Herausforderung als die Erwachsenenbildung. Meist hatten die jungen Leute keine Lust auf Unterricht und hinterfragten manches Mal den Sinn. „Da braucht man eine ureigene Motivation”, meint Susanne Schumacher. Drei Jahre hängte sie sich in das Projekt. Dann nahm ihre berufliche Laufbahn eine totale Kehrtwende: Da sie nebenbei bereits die CDU journalistisch begleitet hatte, ergab sich 2003 die Möglichkeit, bei dem Wahlgewinner im niedersächsischen Landtag aktiv zu werden. Susanne Schumacher arbeitete fortan als Wissenschaftliche Referentin für Frauen, Familie, Gesundheit, Soziales, Petitionen & Bau der CDU-Fraktion. „Das war ein krasser Gegensatz zur Jugendhilfe. Vorher hatte ich mit Tätowierten und Abhängigen zu tun, nun mit Anzugträgern”, erzählt sie, „ein Wechsel von einer Welt in die komplett andere.” Trotzdem gab es auch hier Schnittmengen: Als Einzige im Arbeitskreis Soziales, die praktische Erfahrung mit der Drogenhilfe hatte, setzte sie sich zum Beispiel erfolgreich gegen Kürzungen in diesem Bereich ein. Für ihren Job in der Politik zog Susanne Schumacher nicht aus ihrem geliebten Lüneburg weg, sie pendelte mit dem Zug nach Hannover, arbeitete Tag und Nacht und übernachtete teilweise sogar im Büro. Als ihre Chefin Ministerin wurde, bot sich Susanne Schumacher als deren persönliche Referentin an und war ab dann Referentin der Ministerin für Frauen, Familie, Gesundheit, Soziales und Bau. 15 Monate absolvierte sie diese Arbeit, „ein Knochenjob”. Für Notfälle nahm sie sich ein WG-Zimmer in Hannover, denn immer wieder verpasste sie den letzten Zug zurück. Es folgten Zwischenstationen in den Bereichen Gewaltschutz und Zwangsprostitution sowie im Referat Frauen & Arbeitsmarkt. Mit dem Wechsel ins Frauenreferat konnte sie ihr WG-Zimmer kündigen, denn sie hatte nach Jahren erstmals wieder einen planbaren Feierabend.
Von der Politik in die Natur
Zu dieser Zeit lebte Susanne Schumacher in Lüneburg in einem Wohnprojekt im Roten Feld. Das Pendeln ging ihr zunehmend auf die Nerven. „Im sechsten Jahr hatte ich die Nase voll von der Pendelei”, erinnert sie sich. Eine Kollegin zeigte ihr im richtigen Moment eine Stellenanzeige des Umweltministeriums, „ein Traum für jeden Umweltwissenschaftler”. 2009 trat sie die Stelle an der Alfred Toepfer Naturschutz Akademie in Schneverdingen an, wo sie stellvertretende Fachbereichsleiterin für Bildung & Kommunikation wurde. Der Gegensatz zur Arbeit in Hannover war frappierend: „Es gab nur Weite und ab und zu eine Schafherde, das war Natur pur.” Nach einem Jahr in Schneverdingen verspürte Susanne Schumacher erneut Aufbruchsstimmung. Sie hinterfragte ihre Ziele, suchte zwischenzeitig nach einer Immobilie näher an der Naturschutzakademie – bis ihr eine Freundin die Nachfolge in ihrem Job anbot, diesmal in Bremen. Sie bekam die Stelle, doch für Bremen gab sie das erste Mal ihren festen Wohnsitz in Lüneburg auf. Sie zog 2010 in einen Bremer Vorort und nahm ihre neue Arbeit als Marketingleiterin eines internationalen Architektur- und Ingenieur-Dienstleisters an. „Das war wieder ein 24-Stunden-Job”, erzählt die 48-Jährige. Ihr Plan war, drei Jahre Erfahrung in der freien Wirtschaft zu sammeln, doch als diese verstrichen waren, war aufgrund einer Umstrukturierung im Betrieb an einen Weggang nicht zu denken. Während ihrer Bremer Zeit, die sich auf acht Jahre erstreckte, plagte Susanne Schumacher das Heimweh nach Lüneburg. „Ich habe zunehmend gemerkt, dass ich da weg will und habe immer wieder Bewerbungen nach Lüneburg geschickt”, erzählt sie. Als sie die Stellenanzeige der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg-Wolfsburg für einen Willkommenslotsen entdeckte, war es für sie ein Volltreffer. „In diesem Job kommt alles zusammen, was ich bisher gemacht habe”, sagt sie. Und im Sommer 2018 hatte sie bereits eine Wohnung in Melbeck gekauft.
Netzwerkqualitäten zählen
Seit dem 2. Januar ist Susanne Schumacher Willkommenslotsin bei der IHK Lüneburg-Wolfsburg. Ihr Job ist die Schnittstelle zwischen Unternehmen, die händeringend nach Fachkräften suchen und jungen Geflüchteten, die einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle suchen. Sie bringt beide Seiten zusammen. In dem zunächst auf ein Jahr befristeten Projekt „Willkommenslotsen”, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird, kann Susanne Schumacher ihre Netzwerkqualitäten voll ausschöpfen. Da die Stelle ein halbes Jahr vakant war, ist sie zunächst dabei, Netzwerke neu aufzubauen. Sie knüpft Kontakte zu allen, die von ihrer Arbeit profitieren könnten. So besucht sie in ihrem Kammerbezirk, der sich von Hamburg-Harburg bis Wolfsburg und vom Heidekreis bis Lüchow-Dannenberg erstreckt, Berufswahlmessen, Regionaltreffen zu Themen wie Migration, Teilhabe und Integration von Flüchtlingen und sucht Kontakt zu Arbeitsagenturen, zu Einrichtungen wie Caritas und Diakonien oder den Landkreisen. Bei Netzwerktreffen mit Willkommenslotsen anderer Kammern werden Praxiserfahrungen ausgetauscht. „Ich vernetze mich was das Zeug hält, ich muss mich erst einmal bemerkbar machen”, meint sie. Fortbildungen sind für die Willkommenslotsin essentiell. Da sie über Fördermöglichkeiten, rechtliche Rahmenbedingungen oder zur konkreten Organisation im Betrieb berät, muss sie sich immer auf dem Laufenden halten. Geschult wird sie dafür vom KOFA, dem Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, das ihr das Rüstzeug an die Hand gibt. Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) als Organisator des Projektes stellt Informationen zur Verfügung. „Die Änderungen erschweren die Arbeit, politisch ist viel im Fluss”, so die 48-Jährige. „Auf einmal ist ein eben noch sicheres Herkunftsland ein unsicheres. Dadurch hat man es im Grunde immer mit Einzelfällen zu tun.” Hat ein Geflüchteter einen konkreten Ausbildungswunsch, kann er oder sein Betreuer einen Termin bei der IHK ausmachen. Liegen die Berufswünsche im Zuständigkeitsbereich mehrerer Kammern, stimmt sich Susanne Schumacher mit der Landwirtschafts- und Handwerkskammer ab. Eine Standardberatung gibt es bei ihr nicht. Im Gespräch werden die individuellen Wünsche des Geflüchteten erörtert, aber auch Qualifikationsbedarf, Aufenthaltsstatus und Sprachkenntnisse hinterfragt. In detektivischer Kleinstarbeit muss Susanne Schumacher herausfinden, ob der Ausbildungs- und Berufswunsch realistisch ist – und welches Unternehmen zu ihm passen könnte. Umgekehrt hält sie Kontakt zu den Unternehmen, um sie zum Thema zu sensibilisieren und davon zu überzeugen, dass Flüchtlinge als Auszubildende oder Fachkräfte eine Bereicherung für jeden Betrieb darstellen können.
Hochmotivierte Flüchtlinge
Die Erfahrungen der ersten Monate zeigen: Bisher kommen ausschließlich Männer zu Susanne Schumacher, die im Schnitt zwischen 19 und 27 Jahre alt sind. Diese stammen überwiegend aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Irak. Am nachgefragtesten ist im IHK-Kammerbezirk der Beruf des Kfz-Mechatronikers, im Handwerk ist es unter anderem der Friseurberuf. Die größte Sorge von Unternehmen bei der Beschäftigung von Flüchtlingen ist ein ungesicherter Aufenthaltsstatus, doch hierfür gibt es klare Vorgaben, so dass die Willkommenslotsin ihnen diese Angst nehmen kann. Wenn es gewünscht ist, begleitet sie Vorstellungsgespräche und bleibt Ansprechpartnerin für beide Seiten. Neben Praktika sind Einstiegsqualifizierungen eine beliebte Form der ersten Beschäftigung von Geflüchteten. Diese Möglichkeit gibt es seit 2004 und ist eine Art Langzeitpraktikum über sechs bis zwölf Monate. In dieser Zeit kann der Beschäftigte, der eine kleine Entlohnung erhält und krankenversichert ist, die Berufsschule besuchen, muss aber keine Prüfungen ablegen. Die Maßnahme wird vom Arbeitsamt gefördert, für die Unternehmen besteht kein finanzieller Aufwand. „Danach ist das Ziel, im gleichen Unternehmen eine Ausbildung anzufangen”, erklärt Susanne Schumacher. „Dafür ist eine große Offenheit da.” Die arbeitsuchenden Geflüchteten erlebt die Willkommenslotsin in ihrer Arbeit durchweg als höflich, gut vorbereitet, freundlich und hochmotiviert. „Die wollen wirklich alle hier arbeiten und ihr Bestes geben”, meint sie. Auch von den Unternehmen erhält sie nach erfolgreicher Vermittlung Rückmeldungen über überdurchschnittlich hohe Arbeitsleistungen und eine hohe Sozialkompetenz. In ihrem jetzigen Beruf kann Susanne Schumacher gebrauchen, was sie in den anderen Jobs gelernt hat. Ihr Englisch ist durch die Arbeit im internationalen Konzern sehr gut, Bewerbungstraining und andere Berufsvorbereitungen kann sie aus ihrer Zeit in der Jugendhilfe übernehmen. Ihre neue Arbeit sieht sie als ein Zwischending aus Behörde und Politik mit der richtigen Work-Life-Balance. „Und die Freude am Vernetzen ist in jedem Beruf wichtig.” (JVE)